"Die historischen Berichte der Evangelien könnten, im historischen Sinn, erweislich falsch sein, und der glaube verlöre doch nichts dadurch: aber nicht, weil er sich etwa auf >allgemeine Vernunftwahrheiten <bezöge!, sondern, weil der historische Beweis (das historische Beweis-Spiel) den Glauben gar niuchts angeht.[...]Der Glaubende hat zu diesen Nachrichten weder das Verhältnis zur historischen Wahrheit (Wahrscheinlichkeit), noch das zu einer Lehre von >Vernunftwahrheiten<.", so schreibt es der Philosoph Wittgenstein, zitiert nach: Joachim Schulte, Wittgenstein. Eine Einführung. 1989. S.103f. Eingedenk des sehr feinsinnigen Essays von R. Barthes, "Der Tod des Autors", erlaube ich mir jetzt, nicht zu erfragen, was denn die Autorenintention Wittgensteins gewesen sein mag, als er diese Aussage formulierte (und auch dem Interpreten Schulte gelingt es nicht so recht, diese Aussage auszudeuten. Vereinfachen wir das Gemeinte: ein Mann schrieb einen Text, legt in eine Flasche, verschließt sie und wirft so das als Flaschenpost ins Meer. Ein Text wird abgesandt in der Hoffnung, daß wer die Flasche aus dem Meer herausholt oder an einen Strand angespült findet und so der Leser dieses Textes wird. Die Autorenintention bleibt sozusagen im Autoren ruhen und mit jedem Meter, den sich der Text vom Autor entfernt, emanzipiert sich der Text von dem Autor, auf daß er neu gelesen wird und hier eine neue Bedeutung bekommt. Das, was wir den Sinn eines Textes nennen, kann nämlich entweder im objektivierten Text als zu erkennen vorgestellt werden,(aber der wäre dann nicht mehr einfach identisch mit der Autorenintention- zur Veranschaulichung: ein Prüfling hat die Intention, alle Prüfungsfragen richtig zu beantworten, aber kaum einem gelingt das, sodaß das objektiv Gesagte nicht identisch ist mit der Intention des geantwortet Habenden!-) oder man geht davon aus, daß der jeweilige Sinn eines Textes ein Produkt des Lesens des Textes ist, so daß der so produzierte Sinn aus zwei Quellen stammt, dem Text und dem Lesen des Lesers.)
Fragen wir bescheiden: was könnte damit gemeint sein, wenn wir uns jetzt allein auf diese Aussage kaprizieren? Warum? Weil die These der Nichthistorizität der Evangelien und daß das doch keine Bedeutung für den Glauben habe, oft vertreten wird, gerade in der modernen Bibelexegese.
Banal, aber wahr: das Gleichnis vom barmherzigen Samaritaner könnte auf ein Ereignis rekurrieren, daß eben tatsächlich drei Männer sich so zu einem Schwerverletzten verhalten haben. Die Wahrheit dieser Erzählung ist nun aber unabhängig davon, ob Jesus hier eine wahre Begebenheit erzählt oder als Lehrer diese Geschichte erfand, um zu lehren, wie man sich zu verhalten habe. Erzählte man nur, das habe sich so ereignet, daß eben diese drei Männer sich so verhielten, dann besagte das ja in keinster Weise, daß der Hörer, sich in einer ähnlichen Situation befindend, auch wie der barmherzige Samaritaner verhalten soll! So macht erst die Erzählung, als Belehrungserzählung aus ihr eine normative, die dem Leser sagt: so solltest auch du dich zu deinem Nächsten verhalten. Sollen wir nun meinen, daß alle Texte der Bibel Lehrgeschichten sind, die uns belehren, was wir glauben sollen und wie wir leben sollen und daß so das einzig Historische das wäre, daß Jesus Christus uns so belehrt?
Vernunftwahrheiten wären dann Wahrheiten, zu deren Erkennen wir diese Belehrungstexte Jesu gar nicht bräuchten, weil wir ihre Wahrheit auch ohne diese Lehrerzählungen wissen könnten. Aber sie wären uns eben als Veranschaulichung der ewigen Vernunftwahrheiten gegeben worden, sozusagen als pädagogische Maßnahme. Im Prinzip liest so Kant die Bibel. Die Vernunftwahrheiten gelten dann auch als wahr unabhängig von der Autorität des Lehrers Jesu- denn er lehrte nur das, was wahr wäre ganz unabhängig von seiner Person als Lehrer. So wäre Jesus als Lehrer nicht selbst ein Gegenstand der von ihm gelehrten Wahrheiten, denn eine Person kann nicht zu den Aussageinhalten ewig gültiger Vernunftwahrheiten gehören.
Aber daß Jesus Christus von den Toten auferstanden ist, ist keine Vernunftwahrheit und ist auch keine Belehrungsgeschichte, die uns wie etwa die Geschichte vom barmherzigen Samariter etwas lehren soll, wie wir zu leben hätten. Zuvörderst ist das- zumindest der Aussagenintention dieser Aussage nach, eine Tatsachenaussage: so hat sich das ereignet. Die Aussage behauptet ein wirklich geschehenes Ereignis. Ist ein wirkliches Ereignis identisch mit dem, was der zitierte Text als ein im "historischen Sinn" falsches oder nicht falsches Ereignis bezeichnet?, muß nun gefragt werden. Die Aussage, Goethe verfaßte den Roman: "Die Elixiere des Teufels" ist eindeutig eine falsche Aussage, weil es historisch als bewiesen und als unstrittig gilt, daß E.T. A. Hoffmann diesen Roman schrieb. Die historische Wissenschaft verfügt über eine Methodik zur Verifizierung und Falsifizierung von Tatsachgenaussagen, daß das so sich ereignet habe und kann so prüfen, ob Goethe der Autor dieses Romanes ist oder auch nicht ist. Als wahres historisches Ereignis gilt so dann eine Aussage über ein Ereignis, das so geprüft sich als wahr erwies. Das historische Ereignis ist uns ja immer nur als eine Aussage über dies Ereignis vorhanden und nur eine als wahr befundene Aussage- gemäß der Methodik gilt uns dann als wahres Ereignis.
So ergibt sich für uns eine wesentliche Unterscheidung: die Summe aller wirklichen und aller möglichen Ereignisse, als Aussagen über wirkliche und mögliche Ereignisse steht die Summe aller als wahr erkannten Ereignisse gegenüber, das sind die Aussagen über Ereignisse, die gemäß der wissenschaftlichen Methodik als wahr sich erwiesen haben. Kann es also wirkliche und mögliche Ereignisse geben, die keine historisch wahren oder historisch möglichen Ereignisse sein können? Nehmen wir jetzt ein ganz einfaches Beispiel: Die Aussage, daß eine Hexe den Teufel beschwor, sodaß die die Nachbarin der Hexe starb, bezeichnet ein Ereignis, daß a) unmöglich ist, denn die wissenschaftliche Methodik läßt Aussagesätze, in denen der Teufel als Subjekt einer Handlung in der Geschichte agiert, nicht zu. Sie läßt diese Aussage so wenig zu, wie das Regelsystem des Fußballes einen 7-Meter Handballwurf als Strafstoß zuläßt. Deshalb braucht der Historiker diese Ausage gar nicht zu prüfen, ob es wirklich eine Hexe gab, die so den Tod ihrer Nachbarin verursachte, denn die Aussage, daß der Teufel in der Wirklichkeit wirke, ist eine für die diese Wissenschaft unzulässige Aussage. Deshalb transformiert sich diese Aussage für die historische Wissenschaft in die, daß eine sich als Hexe verstehende Frau eine magische Beschwörung des Teufels vollzog mit der Absicht, daß so der beschworene Teufel die Nachbarin töte. Wenn nun tatsächlich im zeitlichen Sinne danach die Nachbarin wirklich gestorben sein sollte, so kann dies niemals den Teufel bzw. die Beschwörung des Teufels zur Ursache haben. Denn nur in der Einbildung dieser Frau existiert ein beschwörbarer Teufel. Sind nun nur die Ereignisse wirkliche oder auch nur mögliche Ereignisse, die nach der Methodik historischer Wissenschaft als historische Ereignisse gelten.
Kaprizieren wir uns jetzt auf den Begriff des "historischen Beweis-Spieles". Es gibt kein Spiel ohne Regeln, die erlaubte von unerlaubten Spielzügen unterscheidet. Es kann auch keines geben, denn jedes bestimmte Spiel existiert nur durch diese Unterscheidung. Sonst löste sich alles in Unbestimmtheit auf. Es ist also ein Regelsystem denkbar, daß wirkliche und mögliche von nichtwirklichen und unmöglichen Ereignissen anders unterscheidet als die historische Wissenschaft. Also, daß die Aussage, daß der Teufel etwas in der Wirklichkeit gewirkt habe, als zulässige Aussage anerkennt und nicht umformen muß zu der, daß der Glaube an ein Wirken des Teufels in der Wirklichkeit Auswirkungen in der Geschichte zeitigte! Für die Methodik der historischen Wissenschaft, was denn überhaupt als ein mögliches historisches Ereignis gelten kann, gilt der Grundsatz, daß Gott, oder Götter, der Teufel oder Engel und Daimonen nicht Subjekte von möglichen wahren Aussagen über Ereignisse sein können. Nur Menschen handeln in der Geschichte, wenn sie als historische definiert wird -gemäß den da geltenden Spielregeln- und Aussagen, Gott habe da gehandelt oder das gewirkt, müssen umgeformt werden zu der, daß es Menschen gab, die glaubten,daß Gott da gehandelt habe und daß dann dieser Glaube tatsächlich Auswirkungen in der Geschichte zeitigen kann und auch zeitigte. Das ist eine Spielregel! Und diese Spielregel verhält sich zu dem Gegenstand, der gemäß diesen Spielregeln zu behandeln ist in etwa so, wie die Ballsportregeln sich zum Gegenstand des so Zubehandelnden, dem Ball verhalten.
Merksatz: Aus der Analyse eines Balles ist nicht eruierbar, daß man ihm gemäß den Regeln des Fußballspieles oder den des Handballspieles zu spielen habe. Der Ball wird nämlich erst durch das Regelwerk des Fußballspieles zu einem Fußball, wie er erst durch das Regelwerk des Handballes zu einem Handball wird.
Das gilt nun auch für die Summe aller wirklichen und möglichen und auch unmöglichen Ereignisse. Erst die wissenschaftliche Methode schafft diese Unterscheidung und definiert so, was als ein historisches Ereignis und als ein mögliches historisches Ereignis gelten kann. Das ist zuvörderst der Ausschluß von unmöglichen Ereignissen, von Ereignissen, die keine historischen sein können. So kann die Aussage, Gott erweckte Jesus von den Toten unmöglich eine mögliche historisch wahre Ausasge sein, weil in ihr Gott als Subjekt der Aussage auftritt. Die Aussage,Jesus sei von den Toten auferstanden ist auch keine mögliche historisch wahre Aussage, denn von einem Menschen kann nur das als eine mögliche historisch wahre Aussage getätigt werden, die im Bereiche des Menschenmöglichen liegt. Von den Toten aufzustehen ist dann a priori eine unmögliche Aussage über einen Menschen, weil dies etwas dem Menschen Unmögliches aussagt, daß er von den Toten auferstehen könne. So gesehen sind alle wesentlichen Aussagen der Bibel mit der Methodik der historischen Wissenschaft geurteilt unmögliche Aussagen und darum auch historische Falschaussagen. Sie müßten alle in historisch erlaubte umgeformt werden, etwa, daß der Glaube, daß Jesus von Gott von den Toten auferweckt wurde, seine Jünger ermutigte, am christlichen Glauben festzuhalten.
Aber was für ein Verhältnis hat denn nun der Gläubige zu den Erzählungen der Bibel? Der einfachse und auch für das Glaubensleben sinnvollste Umgang ist wohl der, den Shakespeare uns vorschlägt mit seinem (unendlich variierten) Votum: Zwischen Himmel und Erde gibt es mehr, als unsere Schulweisheit weiß!" Es gibt eben die Menge aller möglichen Ereignisse, die nach der Methodik der historischen Wissenschaft als historisch mögliche gelten, aber es ist mit der Möglichkeit zu rechnen,daß es auch wirkliche Ereignisse geben kann, die diese Methodik als Regelsystem für unmöglich beurteilt. Da das Primärsubjekt, von dem die christliche Religion redet, Gott ist. der als allmächtig gedacht wird, ergibt sich zwingend die Möglichkeit, mit unmöglichen Ereignissen zu rechnen, weil einem allmächtigen Gott nichts unmöglich ist. Das ist so, als wenn man in der Mathematik sagt, daß keine Zahl, mit sich selbst multipliziert eine negative Zahl ergeben kann, aber man dann hinzufügt, es sei denn, man ließe die imaginären Zahlen zu, also i, das ist die Zahl, die mit sich selbst multipliziert -1 ergibt. Gott wäre sozusagen vergleichbar der imaginären Zahl i, die aus welchen Gründen auch immer in bestimmten Rechenpraxen ausgeschlossen wird. Aber kann der zitierte Text auch anders gedeutet werden? Er legt zumindest die Möglichkeit offen, zwischen wirklichen und möglichen Ereignissen in der Geschichte zu unterscheiden von der Menge aller möglichen und wirklichen historischen Ereignissen, von denen gilt, daß sie nur historische sind, wenn sie dem Regelsystem der historischen Wissenschaften entsprechen- so wie man unterscheiden kann zwischen allen möglichen Weisen des Spielenkönnens mit einem Ball von den erlaubten im Regelsystem des Handballspieles. Eine andere Deutung wäre die, daß man die Erzählungen der Bibel als Ausdruck eines religiösen Glaubens verstünde und daß die Wahrheit dieser Erzählungen gerade der ist, daß sie den Glauben, auf dem sie gründen, wahrhaft ausdrücken. Die Erzählungen wären dann ein Glaubensbekenntnis. Und zu glauben hieße dann, die Wahrheit hinter den Erzählungen zu glauben, eines Glaubens, der sich nur mitteilen kann durch solche Erzählungen, der aber etwas Verschiedenes ist von dem als wirkliche Ereignisse Erzähltem. Es würden dann nicht allgemeine Vernunftwahrheiten in Erzählform vermittelt, sondern ein spezifischer Glaube würde so vermittelt. Wem das zu unverständlich ist, der denke an weltanschaulich engagierte Literatur. Ein Bertold Brecht verfaßt keine literarischen Texte in der Intention, sich wirklich so ereignet Habendes zu erzählen, sondern um seine ideologische Weltanschauung zu vermitteln und daraufhin konzipiert er seine literarischen Texte. Die Wahrheit seiner Texte ist so nicht die einer Wiedergabe realer Ereignisse, sondern die Wahrheit seiner Weltanschauung, die er in seinen Texten so entfaltet. Das heißt aber auch, daß die Texte nicht selbst die Wahrheit seiner Weltanschauung begründen, sondern die Texte setzen die Wahrheit dieser Weltanschauung voraus und stellen diese nur dar! Und wie kein Leser von Brechts Theaterstücken diese mit der Wiedergabe von historischen Ereignissen verwechselt und sie doch als wahr ansehen kann, wenn und nur wenn er Ja sagt zur Weltanschauung, die diese Stücke ausdrücken, so verhielte sich dann auch der Gläubige zu den Erzählungen der Bibel,indem er sie liest als Ausdrücke und Darlegungen eines wahren Glaubens. Aber was macht dann die Wahrheit des zu Grunde liegenden Glaubens aus, wenn die Texte nur der Ausdruck des Glaubens sind, aber nicht die Wahrheit des Glaubens begründen? Das wäre dann wohl des Puddels Kern dieser Ausdeutung dieses Textes von Wittgenstein: es wäre die pure Irrationalität des Sichentscheidens, diesen Glauben für wahr zu halten. Die Wissenschaft könnte so nur Ereignisse als historische erkennen, wenn sie Ereignise gemäß ihres Regelsystemes als historische einstuft- der gläubige Leser dagegen liest die Bibeltexte als Ausdruck eines wahren Glaubens und dieser Glaube ist ihm der wahre und somit sind ihm auch die Bibeltexe wahre, aber auch nur so.
Aber eines ist unverkennbar: die Erzählungen der Bibel verstehen sich nicht als literarische Texte, die einen ihnen zu Grunde liegenden Glauben ausdrücken und darstellen wollen- sie wollen selbst den Grund des Wahrseins des Glaubens sein und sind so auch zu unterscheiden von dem Glauben, der die Aussagen der Bibel für wahr hält! Die Aussage, daß Gott Jesus Christus von den Toten aufeerweckte, soll nicht den Glauben darstellen, daß Gott Tote erwecken kann, sondern diese Aussage will den Glauben, daß Gott Tote erwecken kann, begründen, in dem der Text aussagt, daß sich das wirklich ereignet hat.
Corollarium 1
Nun sind die Regeln und die Methodik der historischen Wissenschaft nicht rein willkürlich, aber das gilt ebenso für das Regelsystem des Fußballspieles oder das des Handballes. Und: wie nicht ein Gegenstand: der Ball in Hinsicht auf mögliche Mannschaftsballspiele nur nach einem Regelsystem behandelbar ist, so sind auch Ereignisse in der Geschichte nicht nur nach dem Regelsystem der historischen Wissenschaft, wie sie jetzt betrieben wird, behandelbar! Es ist auch eine wissenschaftliche Bearbeitung der Ereignisse in der Geschichte denkbar, die Gott, Engel und Teufel als mögliche Subjekte von Aussagesätzen zuläßt!
Corollarium 1
Nun sind die Regeln und die Methodik der historischen Wissenschaft nicht rein willkürlich, aber das gilt ebenso für das Regelsystem des Fußballspieles oder das des Handballes. Und: wie nicht ein Gegenstand: der Ball in Hinsicht auf mögliche Mannschaftsballspiele nur nach einem Regelsystem behandelbar ist, so sind auch Ereignisse in der Geschichte nicht nur nach dem Regelsystem der historischen Wissenschaft, wie sie jetzt betrieben wird, behandelbar! Es ist auch eine wissenschaftliche Bearbeitung der Ereignisse in der Geschichte denkbar, die Gott, Engel und Teufel als mögliche Subjekte von Aussagesätzen zuläßt!
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