Es spricht einiges dafür, daß in der Nomadenzeit, als der Mensch noch Jäger und Sammler war, es keine Beerdigungskultur gab, man zog eben als Nomade von Ort zu Ort und konnte sich so um die Verstorbenen nicht kümmern. Man lies sie los. Erst mit der Seßhaftwerdung dürfte sich das verändert haben, denn nun lebte man dort weiter, wo man vordem mit den jetzt Toten zusammengelebt hatte.Wie mit den nun Toten umgehen? Die Religionen der Menschen gaben darauf Antworten und so stifteten sie eine Beerdigungskultur und eine des Umgehens mit den Verstorbenen.
Den lieben Verstorbenen loslassen können, das hört man aber heutzutage oft als gut gemeinte Maxime an Trauernde. Das Leben müsse doch auch für den jetzt noch Trauenden weitergehen, er solle herausfinden aus seiner Trauer und sich neu dem Leben zuwenden. Diese Parolen könnten als das Kurzprogramm der richtigen "Trauerarbeit" bezeichnet werden. Das Konzept der "Trauerarbeit" ist nun selbstredend komplexer und auch vom Theorieniveau anspruchsvoller, aber es endet dann praktisch doch in diesen Maximen.
Ist es nun sehr pietätlos, wenn einen dies an den Umgang mit Papiertaschentücher erinnert: Statt daß man die vollgerotzten Taschentücher reinigte, um sie dann wieder zu benutzen, wirft man das einmal Benutzbare weg, um das nächste zu gebrauchen. Das ist zeitsparender und besser, zumal der Einmalgebrauch auch hygenischer sein soll. Gehört zur Wegwerfgesellschaft nicht geradezu das Pathos des Wegwerfens als die Kunst des Sichtrennenkönnes, des Loslassenkönnes? Denken wir an die allein in ihrem Hause wohnende Witwe, die nun ihr Dahein verlassen muß, weil sie ihr Lebensende in einem Pflegeheim verbringen muß- krankheitsbedingt. Sie muß loslassen, das muß sie lernen.
So sollen nun auch die um einen Toten Trauernden ihren Toten loslassen lernen, um sich neu dem Leben zuzuwenden.Nur, spricht nicht einiges gegen diese postmoderne Variante des Nomadenlebens, in der es kein Zusammenleben mit den Toten mehr gibt? Es sei hier an den Film: "Das grüne Zimmer" von F. Truffaut erinnert (ein wunderschöner Film):
"Der Journalist Julien Davenne arbeitet nach Ende des Ersten Weltkriegs
bei einer Provinzzeitschrift und ist dort hauptsächlich für das
Verfassen von Nachrufen verantwortlich. Viele seiner Freunde sind im
Krieg gefallen und seine Frau Julie stirbt ebenfalls nach kurzer Zeit.
Für all die Verstorbenen richtet er bei sich zu Hause ein Zimmer ein, in
dem er nächtelang Gespräche mit ihnen führt. Er lernt Cécilia Mandel
kennen. Auch sie trauert um einen Toten. Davennes grünes Zimmer
wird durch ein Feuer fast vollständig zerstört. Daraufhin kauft er eine
Kapelle und richtet sie her. Er hält Andachten für seine tote Frau, alle
seine toten Freunde und alle weiteren Toten, die er verehrt, vor allem
Künstler." (Wikipedia: F.Truffaut, Das grüne Zimmer)
Das wäre das völlige Gegenteil zum Ideal des Loslassens; ein Humanist müßte einwenden: ein Zuviel an Hinwendung an Verstorbene, die so eine Neuausrichtung auf das Leben verhindert. Aber stellen wir doch mal Fragen: Was taten die frommen Makkabäer, als sie Kameraden am Tage nach der Schlacht tot auf dem Schlachtfeld fanden? Sie sahen, daß sie Talismänner getragen hatten. Gott hatte sie so dafür gestraft, daß sie nicht auf ihn vertraut hatten, sondern auf Götzen. Aber dabei blieb es nicht. Eingedenk des Tages der Totenauferstehung frugen sie nach den Heil dieser jetzt Toten. Sie ließen dann eine Totenmesse in Jerualem zugunsten ihrer gefallenen Kameraden lesen! Sie ließen ein Sühnopfer darbringen. Ist das nicht etwas völlig anderes als unsere Toten loszulassen? Den Tod von Kameraden vor Augen frugen sie sich: Was haben und was können wir jetzt zugunsten der Toten tuen? Nicht das eigene Leiden am Verlust der Gefallenen steht hier also im Mittelpunkt der sogenannten "Trauerarbeit", sondern die Sorge um das Heil der Verstorbenen.
Die Verstorbenen sind ja nicht endgültig von uns getrennt. Für den religiösen Menschen gibt es eine Hoffnung auf ein Wiederzusammenkommen mit den Verstorbenen. Diese Hoffnung setzt nun religiöse Praktiken aus sich heraus: Man betet und bringt Opfer für die Verstorbenen dar. Wo heutztage das Ideal des Loslassens den Ton angibt, kapriziert sich eine religiöse Kultur auf die Möglichkeiten, zugunsten des Verstorbenen tätig werden zu können.
Darüberhinaus: Was heißt es denn zu sterben und tot zu sein? Die Lehre der Katholischen Kirche sagt dazu, daß das Sterben der Ablöseprozeß der Seele von seinem Körper ist: Der Körper vergeht, die Seele nicht, denn sie ist unauflöslich. Die Seele ist aber das jeden Menschen Individuierende, sein Ich. Dies Ich überlebt den Tod und so nur gibt es meinen Tod, denn mein Tod setzt denknotwendig voraus, daß Ich bin, daß Ich mir den Tod als den meinigen zuschreiben kann. Löschte sich dagegen das Ich auf, gäbe es den meinigen Tod nicht (so Epikur).
Daraus resultiert aber eine gewichtige Frage: Nimmt das Ich nach dem Sterben noch wahr, was danach geschieht. Nimmt es wahr, wie seine Angehörigen nach seinem Tode mit ihm umgehen? Als Katholiken vertrauen wir auf die Fürsprache der Heiligen. Außer der Mutter Gottes sind alle Heiligen, auf deren Fürsprache wir hoffen, Verstorbene, deren Leiber auf Erden tot sind, deren Seelen aber bei und vor Gott sind. Als solche treten sie fürbittend für uns ein. Nur, wie könnten sie das, wenn sie unser Anrufen, betet für uns!, gar nicht mehr wahrnehmen könnten? Die Seelen müssen also als wahrnehmungsfähig gedacht werden, denn nur so können sie ihr Amt als Fürbitter gerecht werden.
Setzt so gesehen die Maxime des Loslassen unserer Verstorbenen nicht voraus, daß sie einfach und endgültig tot sind, sodaß es ihnen völlig gleichgültig ist, wie wir uns ihnen gegenüber nach ihrem Absterben verhalten? Wenn dagegen die Toten als Seele postmortem in das ewige Leben eingehen, dann sieht das doch ganz anders aus. Ja, es muß damit gerechnet werden, daß sie noch irgendwie mitbekommen, wie wir uns zu ihnen nach ihrem Versterben verhalten! Ist das nicht die Voraussetzung jeder Beerdigungskultur und jedes kulturellen Umganges mit unseren Toten?
So soll am Ende die These stehen, daß die implizite Voraussetzung der Maxime des Loslassens von unseren Verstorbenen die des endgültigen Totseins unserer Verstorbenen ist, daß aber in jeder religiösen Kultur das verneint wird, sodaß nicht von den Toten die Hinterbliebenden loslassen, sondern sich in religiösen Praktiken zu ihnen weiter verhalten. Man setzt auf ihr Weiterdabeisein und auf ein zukünftiges Miteinandersein. So verhält man sich dann zu den Toten.
Das wäre das völlige Gegenteil zum Ideal des Loslassens; ein Humanist müßte einwenden: ein Zuviel an Hinwendung an Verstorbene, die so eine Neuausrichtung auf das Leben verhindert. Aber stellen wir doch mal Fragen: Was taten die frommen Makkabäer, als sie Kameraden am Tage nach der Schlacht tot auf dem Schlachtfeld fanden? Sie sahen, daß sie Talismänner getragen hatten. Gott hatte sie so dafür gestraft, daß sie nicht auf ihn vertraut hatten, sondern auf Götzen. Aber dabei blieb es nicht. Eingedenk des Tages der Totenauferstehung frugen sie nach den Heil dieser jetzt Toten. Sie ließen dann eine Totenmesse in Jerualem zugunsten ihrer gefallenen Kameraden lesen! Sie ließen ein Sühnopfer darbringen. Ist das nicht etwas völlig anderes als unsere Toten loszulassen? Den Tod von Kameraden vor Augen frugen sie sich: Was haben und was können wir jetzt zugunsten der Toten tuen? Nicht das eigene Leiden am Verlust der Gefallenen steht hier also im Mittelpunkt der sogenannten "Trauerarbeit", sondern die Sorge um das Heil der Verstorbenen.
Die Verstorbenen sind ja nicht endgültig von uns getrennt. Für den religiösen Menschen gibt es eine Hoffnung auf ein Wiederzusammenkommen mit den Verstorbenen. Diese Hoffnung setzt nun religiöse Praktiken aus sich heraus: Man betet und bringt Opfer für die Verstorbenen dar. Wo heutztage das Ideal des Loslassens den Ton angibt, kapriziert sich eine religiöse Kultur auf die Möglichkeiten, zugunsten des Verstorbenen tätig werden zu können.
Darüberhinaus: Was heißt es denn zu sterben und tot zu sein? Die Lehre der Katholischen Kirche sagt dazu, daß das Sterben der Ablöseprozeß der Seele von seinem Körper ist: Der Körper vergeht, die Seele nicht, denn sie ist unauflöslich. Die Seele ist aber das jeden Menschen Individuierende, sein Ich. Dies Ich überlebt den Tod und so nur gibt es meinen Tod, denn mein Tod setzt denknotwendig voraus, daß Ich bin, daß Ich mir den Tod als den meinigen zuschreiben kann. Löschte sich dagegen das Ich auf, gäbe es den meinigen Tod nicht (so Epikur).
Daraus resultiert aber eine gewichtige Frage: Nimmt das Ich nach dem Sterben noch wahr, was danach geschieht. Nimmt es wahr, wie seine Angehörigen nach seinem Tode mit ihm umgehen? Als Katholiken vertrauen wir auf die Fürsprache der Heiligen. Außer der Mutter Gottes sind alle Heiligen, auf deren Fürsprache wir hoffen, Verstorbene, deren Leiber auf Erden tot sind, deren Seelen aber bei und vor Gott sind. Als solche treten sie fürbittend für uns ein. Nur, wie könnten sie das, wenn sie unser Anrufen, betet für uns!, gar nicht mehr wahrnehmen könnten? Die Seelen müssen also als wahrnehmungsfähig gedacht werden, denn nur so können sie ihr Amt als Fürbitter gerecht werden.
Setzt so gesehen die Maxime des Loslassen unserer Verstorbenen nicht voraus, daß sie einfach und endgültig tot sind, sodaß es ihnen völlig gleichgültig ist, wie wir uns ihnen gegenüber nach ihrem Absterben verhalten? Wenn dagegen die Toten als Seele postmortem in das ewige Leben eingehen, dann sieht das doch ganz anders aus. Ja, es muß damit gerechnet werden, daß sie noch irgendwie mitbekommen, wie wir uns zu ihnen nach ihrem Versterben verhalten! Ist das nicht die Voraussetzung jeder Beerdigungskultur und jedes kulturellen Umganges mit unseren Toten?
So soll am Ende die These stehen, daß die implizite Voraussetzung der Maxime des Loslassens von unseren Verstorbenen die des endgültigen Totseins unserer Verstorbenen ist, daß aber in jeder religiösen Kultur das verneint wird, sodaß nicht von den Toten die Hinterbliebenden loslassen, sondern sich in religiösen Praktiken zu ihnen weiter verhalten. Man setzt auf ihr Weiterdabeisein und auf ein zukünftiges Miteinandersein. So verhält man sich dann zu den Toten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen