Freitag, 11. Mai 2018

Ein Riß, aus dem das Böse hervorstürzt in die Welt?

"Dürfte man denn eine metaphysisch relevante Lektion dieses monströsen Jahrhunderts [das 20.] formulieren, sie hätte zu lauten, das Böse müsse mehr sein als die Abwesenheit des Guten.Wer unsere Epoche in ihren dunkelsten Aspekten erfuhr,kann sich dem Eindruck nicht entziehen, das Böse sei eine autonome Instanz mit einem langen Atem und unerschöpflichen Reserven;im Weltgrund selbst klafft, im mythischen Bild gesprochen, ein katastrophischer Riß, aus dem die Übel mit mutwilliger Gewalt hervorstürzen." P.Sloterdjk, Die wahre Irrlehre: Gnosis, in: ders. Nach Gott, 2017,S.70.
Ist das Kennzeichnende des modernen Denkens, alles sich in der Geschichte Ereignende auf Menschen als die Hervorbringer zurückzuführen, so daß auch alles Gute wie auch alles Böse nur den Mensch als Subjekt kennt und es nur religiös oder eben auch satanisch motivierte Menschen geben kann, so bricht hier dieser Philosoph mit diesem Grundaxiom der Moderne. Das im 20.Jahrhundert Erlebt und Erlittene könne nicht einfach mehr auf den Menschen als Täter zurückgeführt werden. 
Karl Marx urteilte einmal so über die "Macher" der Geschichte:
"Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen." Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. Das kann so gedeutet werden, als wenn die Subjkte der Geschichte nicht voll verantwortlich für ihr Tuen und Lassen sind, weil sie nicht selbstgewählt handeln. Dann könnte das Böse auf dies Nichtgewählte zurückführbar sein. Aber so konnte eben nur das 19. Jahrhundert urteilen vor dem Horror des 20., würde Sloterdijk respondieren. Sloterdijk selbst zieht daraus weitgehende Konsquenzen, indem er von einer neuen Aktualität der Gnosis spricht. Als Ursprung des gnostischen Denkens rekonstruiert er eine besondere Stellung des Menschen zur Welt, in der er sich als Seele begreift, der die ganze Welt gegenübersteht, in der sie ist, aber aus der sie nicht ist. So erst kann die Welt ihr zu einem Objekt werden, zu dem sie sich als Ganzes in ein Verhältnis setzt. Die Seele als nicht aus der Welt Seiendes kann nun die ganze Welt verneinen, ohne sich selbst dabei zu negieren. Gnosis ist diese Weltverneinung als Wille zur Erlösung aus ihr.So setzt das aus sich heraus, eine Differenz zu setzen zwischen dem Schöpfergott dieser Welt und dem, der die ihm ähnliche Seele aus dieser Welt erlösen will. 
Das ist sicher ein sehr bedenkenswerter Versuch des Verstehens des gnostischen Denkens.Auch wenn die christliche Theologie hier an der Einheit des Schöpfer- mit dem Erlösergott festzuhalten hat, kann eines nicht wegdiskutiert werden, daß das Urchristentum mit seiner Erlösungshoffnung der Gnosis näher stand als dem Christentumsverständnis etwa des 2. Vaticanums, das geradezu überschäumt vor lauter Weltbejahung. Das Böse des 20. Jahrhundertes war eben schon in diesem Konzil wieder vergessen im Meer des Fortschrittsglaubens. Und für den Satan als  autonome Instanz des Bösen war dann schon gar kein Platz mehr; vulgäre Sozialmillieutheorien verklärten das Böse als Folge defizitärer Sozialisationen. Mehr soziale Gerechtigkeit und das Böse verschwände dann schon.  
Aber ist es wirklich nur eine Fehlentwickelung des eigentlich gut Gemeinten, wenn die Französische Revolution wie auch die russische Oktoberrevolution im Terror endeten? Ist es wirklich nur ein kontingenter Zufall, daß die feministische Revolution im Massenmord an Kindern im Mutterleib endet? Oder zeigt dies "kontingent" an, daß da daimonisch Jenseitiges mitwirkt in der Geschichte und so ihr seinen Stempel aufdrückt? 
Wenn es diesen Riß gibt, aus dem heraus das Böse in diese Welt hineinfließt, ist es da vorstellbar, daß das Böse nicht zuvörderst die Kirche als den Ort der Wahrheit angreift? Ist nicht unsere Zeit gerade eine Zeit des Kampfes gegen die Kirche? 

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