Freitag, 17. Oktober 2025

Eine Fehlübersetzung des Benedictus (Lk1, 68-79),die bedeutsamer ist als es scheint

 

Eine Fehlübersetzung des Benedictus (Lk1, 68-79),die bedeutsamer ist als es scheint


Die deutsche Übersetzung lautet nun: „Du wirst sein Volk mit der Erfahrung des Heiles beschenken“. (Lk 1,77). Der griechische Urtext heißt hier aber „die Erkenntnis des Heiles! Die Vulgata übersetzt mit „scientia“ und somit nicht mit „Erfahrung“. Ist das jetzt nur ein Flüchtigkeitsfehler, daß aus der „Erkenntnis“ die „Erfahrung“ wurde?

Einen Aufschluß bietet der Lexikonartikel :“Erfahrung“ in: Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe“1: „der Begriff bezeichnet das Faktum,etwas zu empfinden,einen Eindruck zu empfangen – es darf sich jedoch nicht um ein nur flüchtiges Phänomen handeln,das,sofort ausgelöscht, keine Spuren hinterläßt, sondern es muß etwas sein,das in welcher Form auch immer , eine bleibende Erweiterung des Bewußseins bildet.“2 Beachtenswert sind dabei die Verben: „empfinden“,“empfangen“, Spuren hinterlassen und das Bewußtsein erweitern. Die Rezipität überwiegt,daß die Erfahrung in den sie Machenden einwirkt.

Deutlicher wird dieser Primat der Rezipität in der weiteren Ausführung des Begriffes der Erfahrung. Ihr Charakteristisches sei „ihre Unmittelbarkeit und infolgedessen ihre für sich selbst sprechende Art. Erfahrung sagt ein Erkennen aus, das nicht in erster Linie dem diskursiven Denken entspringt.sondern zuvörderst dem unmittelbarem Wahrnehmen eines Eindrucks oder eines Er-Lebnisses.“3 Die Zentralaussage besteht in der antithetischen Gegenüberstellung von einem „unmittelbarem Wahrnehmen“ und einem Erkennen aus dem diskursiven Denken“.Bildet man auf diese Antithetik die von der Erfahrung zu der Erkenntnis ab,ergibt sich, daß die Erfahrung dies unmittelbare Wahrnehmen, die Erkenntnis das Produkt eines diskursiven Denkens meint.

Das Unmittelbare soll dann als das echte, so wie es ist, assoziiert werden, wohin das Denken unter dem Verdacht gestellt wird, daß es als die Aufhebung der Unmittelbarkeit das Eigentliche des Erlebten verfehlt.Das diskursive Denken bringt in seinen Exzessen ganze Theoriegebäude hervor, dogmatische Lehrsysteme und in diesen verschwände dann das Eigentliche,die unmittelbar wahrgenommene Wahrheit. Diese Antithetik könnte dann so angewandt werden: Ursprünglich sei in der Begegnung mit Jesus die faszinierende Ausstrahlung seiner Persönlichkeit,die zu mir sagt:“Du bist angenommen, wie Du bist“ und dann hätte eine Reflexion angehoben, in der aus Jesus von Nazareth im Johannesevangelium ein präexistenter Logos wurde, und Theologen erdachten sich dann gar die Trinitätstheologie, in der die unmittelbar erfaßte Wahrheit zugrunde gegangen ist.Die Erfahrung als mein unmittelbares Wahrnehmen ist die Wahrheit, im Denken wird dann diese Unmittelbarkeit durch das Reflektieren zerdacht und in blutleeren grauen Theorien genichtet, wenn es nicht gelingt, aus diesen Theorien das Ursprüngliche herauszudestilieren.

Jesus, so wie er unmittelbar erfahren, erlebt wurde, das ist der wahre Jesus, wohingegen der dogmatische nur noch eine blutleere graue Theorie über ihn liefert. Die theologie- und somit auch kirchenkritische Intention ist dabei unverkennbar.

Nur was ist von diesem Pathos des unmittelbarem Wahrnehmens zu halten?Ist es dem Sehen zu eigen, das Gesehene so wahrzunehmen, wie es wirklich ist und daß dann Verzerrungen des ursprünglichen Wahrnehmens dem reflektierenden Denken anzulasten sind? Adorno qualifiziert dagegen die Erfahrung „bereits“ als ein Reflexionsprodukt“.4 und zerschlägt damit die ganze Konstruktion des Pathos eines unmittelbaren Wahrnehmens! Bei jeder Wahrnehmung ist doch zu distinguieren,das, was gesehen wird, von dem wie es der Mensch dann´vermittels seiner sinnlichen Aufnahme sieht.Wenn ich etwas sehe, dann sehe ich das Bild von dem von mir Gesehenen und dieses Bild produziere ich. Jedem Brillenträger ist das ad hoc einsichtig: Er sehe sich einen beliebigen Gegenstand an,setze dann die Brille ab und vergleiche das Objekt,wie er es mit der Brille gesehen hat mit dem wie er es ohne die Brille sieht.Das Objekt als an sich seiend bleibt sich identisch, aber meine Sicht von ihm variiert.Aber das Objekt an sich ist mir nie unmittelbar gegeben, sondern es wird nur durch mein Sichbeziehen darauf zu einem Objekt. Das Begreifen von etwas, daß ich etwas als ein Buch identifiziere, bedeutet, daß ich etwas Singuläres unter den Begriff des Buches subsumiere und so als ein Exemplar der Idee des Buches bestimme.Hier entsteht die Erkenntnis des Gegenstandes als den eines Buches.

Es liegt sozusagen ein Rohstoff vor, aber durch meine sinnliche „Wahrnehmung“ wird es bearbeitet,und wird dann zu einer Erfahrung gemacht, die selbst schon ein erster Schritt zur Erkenntnis dessen ist,was als ein Rohstoff dem Erkenntnisproduktion vorausliegt. Man stelle sich ein Holzstück vor, aus dem ein katholischer Künstler eine Marienfigur schnitzt: Von der Möglichkeit her war die Marienfigur schon in dem Holz präsent und der Künstler realisierte dann die in diesem Holze schon präsente Möglichkeit.Dieser künstlerische Hervorbringungsakt hat mehr gemein mit dem eine Erfahrung machen als die Vorstellung, daß es ein unmittelbares Wahrnehmen gäben könnte.

Aber damit ist ein theologisch relevantes Begreifen dessen, was eine Erkenntnis von etwas ist,noch nicht erreicht. Ludig Ott erfaßt das Erkennen als das Erkennen der Dingwahrheit von etwas,womit er unterscheidet von wahren Aussagen über einen Sachverhalt:“Es ist wahr, daß Maria eine immerwährende Jungfrau ist“ und der Frage: „Ist etwas so, wie es sein soll?“ , der ontologischen Wahrheit. Diese definiert er so: „Die ontologische Wahrheit oder >Dingwahrheit< besteht in der Übereinstimmung eines Dinges mit seiner Idee“,5.der Idee, wie sie Gott in sich selbst hervorgebracht hat. Die Erkenntnis dieser Übereinstimmung kann selbstredend nie etwas unmittelbar Erkennbares sein, aber jedes theologisch relevante Erkennen bezieht sich auf die ontologische Wahrheit.Die historische Wissenschaft kann das Kreuz Jesu als einen Justizirrtum des Pilatus rekonstruieren, aber die ontologische Wahrheit dieses Ereignisses, daß Gott Jesu Christi Kreuzestod als das Sühnopfer wollte ist unmöglich einfach unmittelbar erkennbar.

Ott erfaßt dabei als die Voraussetzung dieses Verständnisses von Erkenntnis in seiner Anlehnung an den hl.Kirchenlehrer Thomas von Aquin die Wahrheit der Theologie so: die Theologie“ ist „eine wahre Wissenschaft,weil sie von sicher feststehenden Grundwahrheiten (principia),den Offen-barungslehren,ausgeht,in einem streng wissenschaftlichen Beweisverfahren neue Erkenntnisse, theologische Folgesätze (conckusiones)daraus ableitet und das Ganze zu einem geschlossenen System vereinigt.“6 Daraus ergibt sich zwingend, daß etwas nur erkannt wird, wenn es in seiner Stellung im ganzen System begriffen wird,und daß so jede unmittelbare Erkenntnis von etwas, abstrahiert aus der Totalität,das erst in einem System begriffen werden kann,eine Verkennung des Zuerkennenden sein muß!

Aber der antiintellektualistische Zeitgeist, dem das Denken nur eine Variante des (Erbsen)Zählens ist, der vulgäre Empirismus bringt eben keine Erkenntnisse hervor und auch nicht etwas, was rechtens als eine „Erfahrung“ qualifizierbar ist, denn jede Erfahrung ist bereits ein Reflexionsprodukt und deswegen nichts Unmittelbares. Im Denken ist so Gott für uns „erfahrbar“,nicht in einer Unmittelbarkeit eines persönlichen Erlebens!

Angesichts der Religionskritik durch Feuerbach,Marx und Nietzsches soll durch den Begriff der " Erfahrung" als eines unmittelbaren  Wahrnehmens, gern verbunden mit dem des Erlebens die Religion gegen diese Kritik immunisiert werden,denn ob dieser Unmittelbarkeit und Nichtrelektiertheit sei das so Wahrgenommene und Erlebte wahr.




1„Erfahrung“ in: „Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe Bd , 1984,S.230-241,Hrsg: Peter Eicher.

2A.a.O. S.231.

3A.a.O.S.232.

4Adorno, Einführung in die Dialektik, stw 2128,S.139.

5Luwig Ott, Grundriss der Dogmatik,11.Auflage,2005,S.67.

6A.a.O.S.24.


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