Christa
Meves: „Ic habe ein Problem“-Lebensfragen junger Menschen
Es geht mal wieder um die Sexualmorallehre
Frau
Meves schreibt in ihrem Buch: „Ich habe ein Problem“1
unter der Überschrift:“Der einzelne und die Gruppe“ eine so
tiefsinnige Geschichte, daß ich sie hier auszugsweise zitieren
möchte. Da ist ein Oberflächentext, der sich dem Lesenden auf den
ersten Blick erschließt und jedem Conservativen gefallen wird, eine
heroische Geschichte vom Einzelnen, der es wagt, wider den Strom zu
schwimmen, dafür mißachtet und gedemütigt zu werden von Allen, der
aber doch daran festhält, daß er auf dem rechten Wege ist. Ja,
gerade weil er dies gar nicht hervorhebt, sondern nur als das Opfer
der Intoleranz der Anderen erscheint, gewinnt das Opfer die Sympathie
der Leser. Es ist eine Geschichte von der Lebenskunst des Nein-Sagen
Könnens in und wider die Fluten der Mitläufer.
Geben
wir Frau Meves das Wort2:
„Karsten ist mit einer Jugendgruppe in den Skiurlaub gefahren. Er
kommt davon verstört zurück. Er kann nicht mehr schlafen, sich
nicht mehr konzentrieren, möchte nur noch heulen.“ Der dramatische
Auftakt-was war mit Karsten geschehen?. In der Sprechstunde enthüllt
er sein Leiden:
„Bereits
am zweiten Tag [der Skifreizeit]hätten die meist 18-20 jährigen
beiderlei Geschlechts beschlossen, sich gegenseitig in den
Schlafräumen zu besuchen und Bett und Schlafsack miteinander zu
teilen...Die meisten Mädchen seien damit einverstanden gewesen, und
so hätte ein ziemlich geräuschvolles nächtliches Treiben begonnen.
Karsten
(Hervorbegung durch mich) hatte schon bei der anfänglichen
Diskussion über diesen Punkt erklärt, daß er da nicht mitmachen
würde. Er hätte eine andere Auffassung über Liebe und
Sexualität,[...]“.Die
Jungens wollten also...und die meisten Mädchen sagten dann: Ja-also
die klassische Rollenverteilung des Mannes, der will und der Frau,
die dann „nachgibt“. Aber da ist einer, der nicht mitschwimmt.
Defensiv gestimmt kündigt er den Gruppenkonsens, der gerade
idealtypisch „demokratisch“ erstellt worden ist-als hätten
unsere Buben und Madels Habermas „herrschaftsfreien Diskurs zuvor
studiert- es wurde diskutiert, argumentiert und basisdemokrstisch die
Norm für das Wie des Mitinanderumgehens zwischen Frauen und Männern
festgelegt. Er sagt nicht: was ihr da wollt, ist nicht in Ordnung-nur
für mich ist es nicht.
Das
reicht, um sich ihn in die Rolle des Außenseiters zu kapultieren.
„Einer
hatte erwidert, das sei dann eben sein
Bier“
Das ist die praktiziere Toleranz Dissidenten gegenüber-aber eine
seltene Praxis in von Menschen als wichtig angesehenen Fragen-nur in
unwichtigen, uns unwichtig erscheinenden schätzen wir die Toleranz-
aber: „Die anderen“ [das sind alle Anderen]hatten dazu gelacht
und ein paar dreckige Bemerkungen gemacht.“ Das ist der Hordentrieb
in Reinkuktur, das ist, daß der Herdeninstinkt jedes abweichende
Verhalten als Gefährdung der Einheit der Herde wahrnimmt und so den
Abweichler anfängt zu diskriminieren. Daran sehen wir schon, wie
treffend Meves diese Geschichte mit dem Titel: „Der einzelne und
die Gruppe“ überschrieben hat. Der Titel trifft hier des Pudels
Kern!
Das
Leiden des Außenseiters beginnt nun: „Aber es wäre ihm nicht
möglich gewesen,in einer der folgenden Nächte auch nur ein Auge
zuzutun.“
Der
Außenseiter reagiert: „Eines Morgens habe er wütend gesagt, daß
das doch so nicht weitergehe. Er wolle auch mal seine Ruhe haben.“
Die
„Lösung“-die Geschichte spielt noch in den Zeiten des Glaubens
an die Demokratie-daß alle vorgegebenen Ordnungen und Regeln im
demokratischen Pro-und Contra-Argumentieren in Frage gestellt und
durch neue Regeln ersetzbar seien, die sich dann durch ihr
demokratisches Zustandegekommensein legitimierten-statt daß sie
einfach autorotativ als ewige Norm proklamiert würden.
Die
demokratische „Lösung“: „Die Gruppe hätte daraufhin
beschlossen, nicht mehr im Jungenschlafraum, sondern den der Mädchen
zum Treffpunkt zu machen. „damit Baby auch genug Schlaf bekommt.“,
hatte es feixend geheißen. Seitdem sei er faktisch allein im
Schlafraum zurückgeblieben und auch sonst in eine verhöhnte
Isolation gefallen.“
Das
ist wahrlich eine Geschichte wahren Bekennertums-da tritt jemand-auch
wenn er es nicht explizite ausdrückt-aber der kundige Leser weiß es
sofort-für die christliche Sexualmorallehre ein und wird darum von
den Weltkindern verachtet-denn er lebt nicht so wie sie, denn er ist
nicht aus der Welt wie sie. Und damit wäre diese Geschichte doch
schon zu Ende erzählt-fast eine Märtyrergeschichte,
Nur
eines-eine kleine Störung-eine Erinnerung aus meinem Leben: da
sitzen Männer und Frauen,jüngere beisammen im Jugendtreff-alle
rauchen. Da sagt ein Bub: mich stört das Rauchen! Betretendes
Schweigen...bis einer sagt: „Da gibt es nen Nebenraum.da kannst du
ungestört vom Tabakqualm deinen Kaffee trinken.“ Der empfindsame
Nichtraucher saß dann-allein-ganz allein-im separierten
Nichtraucherzimmer. Das hielt er nicht lange aus, er kam zurück und
setzte sich wieder zu den rauchenden Freunden. Es ist wohl eine
bittere Lebenswahrheit: will ich mit Anderen zusammenleben,muß ich
auch Zugeständnisse und Abstriche machen: ich kann nicht von allen
verlangen, daß sie auf ihren Tabakgenuß verzichten, bloß weil es
mich stört. Und wenn mir der Tabakqualm wirklich so zuwider ist,
dann muß ich eben auf die Geselligkeit mit Rauchern verzichten-denn
nur allein kann ich leben, wie ich es möchte.
Aber
in Christa Meves Erzählung geht es ja um etwas anderes: daß nämlich
der Dissident im moralischen Recht ist, weil er Nein zur vorehelichen
Liebe und dem voreheliche Sex sagt und daß es bewunderswert ist, daß
er an seinem Glauben festhält, der der wahre ist. Trotz der
Verachtung der Welt bewahrt er seinen wahren Glauben!. Denn wenn es
nur um Karstens subjektive Abneigung gegen die auf dieser Freizeit
praktizierten Liebe ginge, dann dürfte er sich doch über die
„demokratische“ Lösung nicht mokieren: er kann schlafen, wie er
es möchte und alle anderen schlafen -Beischlaf praktizierend-wie sie
es möchten. Und er ist isoliert, weil nur er „allein“schlafen
möchte und so schläft er dann auch „allein“ im
Jungenschlafsaal.
Aber
eine kleine Dissonanz bleibt doch: wenn ich so ganz anders leben will
als alle anderen, darf ich mich da wundern, wenn die anderen dann
auch nicht mehr mit mir zusammenleben wollen? Ist es nicht das
Schicksal aller Karstens, als Dissidenten und Steppenwölfe-außerhalb
der Herde leben zu müssen, den Massen der Ja-Sager und Mitläufer?
Darf man sich darüber beklagen?
Jetzt
lesen wir: „Auf der Rückfahrt in der Bahn hätte schließlich auch
keins der Mädchen mehr ein Wort mit ihm [dem
Dissidenten]gesprochen.“ Seltsam-als ich diesen Satz zum ersten
male las, stockte ich-las ihn noch mal und noch mal-immer
irritierter werdend...Das gibt es nicht: ein Bub, ein junger Mann,
der Nein! sagt, ich will nicht mit Madels intim sein, den ziehen
junge Frauen an wie das Kerzenlicht die Motten! Ob frau den nicht
erobern und verführen kann? Ja, die Männer, die mit jeder ins Bett
gehen, die ...aber so einer, der Nein sagt-Frauen „erobern“
anders als Männer- aber auch sie wissen zu „verführen“! Und
keine wollte es mit ihm versuchen? Das kann ich mir nicht vorstellen!
Ein
Verdacht entsteht in mir und ich lese die Geschichte noch einmal! Ich
zitiere jetzt den Nebensatz,den
ich bisher ausgelassen habe, der, der diese ganze Geschichte zum
Einstürzen bringt! Oder zeitgenössischer, den Text dekonstruiert
und uns eine ganz andere Geschichte erzählt, den subkutanen Text
unter dem Oberflächentext!
„er
hätte auch keine Freundin unter den Mädchen dieser Gruppe.“
(hervorgehoben von mir).
Jeder
junge Mann dieser Freizeit hatte ein Madel für die intimen
Liebesnächte und jedes Madel einen Buben für die nächtliche
Liebe-nur Einer nicht. „Dich will ich nicht!“ sagte zu ihm jede
der jungen Frauen. Keine wollte ihn!
Wir
denken jetzt an die Klugheit des Fuches: da sitzt er unter dem
Kirschbaum, lieblich leuchten die süßen Kirchen, eine appetitlicher
als die andere und die Vögel des Himmels delektieren sich an
ihnen-nur für den Fuchs hängen die Früchte zu hoch-viel zu
hoch-unerreichbar hoch. Da wendet er sich ab zum Fallobst, das da
unter dem Baum herumliegt, faulig und angebissen und er ruft aus: Das
sind die wahren Genüsse des Lebens-das faulige Fallobst! Plumper
Selbstbetrug-oder die Kunst, mit dem, was man erreichen kann, sich
zufrieden zu geben:
Hat
Karsten von der Klugheit der Füchse gelernt: ich mag die süßen
Trauben nicht-ich habe andere Vorstellungen vom Essen-ich bevorzuge
das Fallobst?
Die
schöne Moral gerät so unter einen Generalverdacht: es ist die
(Sexual)Moral der Ewig.Zukurzkommer! Weil keine junge Frau mit ihm
wollte, betrügt er sich selbst mit der Moral: ich habe eine
moralische
Vorstellung von der Liebe -und deshalb will ich gar nicht eine Frau
so wie es jetzt hier all die anderen Männer wollen! Boshaft
polemisch überspitzt: die einen Männer liebten in der Nacht ihr
Madel und Karsten nahm die Moral unter seine Bettdecke. Und auf der
Heimfahrt: noch immer wollte kein Mädchen ihn: „Du nicht!“ Das
schmerzt-das ist eine schwere Wunde-und der Text erzählt von dieser
Herzensverwundung Karstens: „Er kann nicht mehr schlafen, sich
nicht mehr konzentrieren, möchte immerzu heulen“. Das
„geräuschvolle Treiben“ jener Liebesnächte der Freizeit in den
Ohren-jede Nacht nach dieser Freizeit -und er allein mit seiner
Moral- jede Nacht. So wird der Text plötzlich-ganz gegen die
Intention der Verfasserin zu einer ganz anderen Geschichte: der
eines Außenseiters, des „Schmuddelkindes der Klasse, mit dem
Niemand will, der sich dann mit der „Moral“ des: ich mag die
süßen Trauben ja gar nicht-sie schmecken mir nicht.hinwegzutäuschen
versucht und der doch daran scheitert-Nacht für Nacht, in denen auch
er von den süßen aber für ihn zu hohen Kirschen träumt.
Und
so enthüllt un+ dieser von Frau Meve+ gescriebene Text-fast wie eine
freudsce Fehlleistung- eine Gescicte, die ganz und gar der Intention
der Autorin zuwiderläuft, al+ Wahrheit dieser Gescicte unterhalb de+
Oberfläcentexte+! Und dieser Tiefentext ist gerade für un+
Conservative auc eine wirklice Anfrage: könnte die cristlice Moral
nict auc mißbraucbar sein-oder enthält sie vielleict gar Aussagen,
die denen de+ Fuce+ gleicen: weil ic die Kirscen nict bekommen kann,
de+halb erkläre ic sie für unmoralisc? Ist da+ nict auc die Anfrage
Nietzsce+ an un+ Christen, an unsere Moral, daß sie nur der
Vertröstung der „Verlierer“ dient? Man mace e+ sic hier nict zu
leict mit dem Nein-Sagen. Gersade weil die hier von Frau Meve+ so
gut erzählte Gescicte -gegen ihre Intention-diese bittere Wahrheit
selbst au+sprict, sprict da+ für die Wahrheit dieser Anfrage,
So
haben wir jetzt ein Problrem mit Frau Meve+!
1Meves,
Christa, Ich habe ein Problem. Lebensfragen junger Menschen,1978.
2Meves,
Christa, a.a.O. S.25.
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