Jesus-die
Antwort auf alle Fragen?
Schenkt
man Schülern Glauben, so wäre Religion das einfachste Fach in der
Schule: was immer auch die Lehrkraft frägt, immer sei die richtige
Antwort, Jesus oder die Liebe. Seit dem protestantischen Theologen
Paul Tillich suchte nun die moderne Religionspädagogik nach der
Frage des Menschen, isb. des Schülers, auf die „Jesus“ und/oder
die Liebe die richtige Antwort sei. Es wurde dabei konstatiert, daß
der Mensch im Laufe der Zeiten verschiedene Fragen stellte, so der
antike Mensch, wie überwinde ich mein Todesschicksal?, der
spätmittelalterliche Mensch, wie bekomme ich einen gnädigen Gott?
und der heutige, wie finde ich einen Sinn für mein Leben? Auf all
diese drei Fragen sei „Jesus“ schon die richtige Antwort; es
müsse die Christologie eben so entfaltet werden, daß sie als die
Antwort auf diese Frage zu stehen komme. In Predigten vernimmt man
manchmal noch einen Nachhall dieser Religionsunterichtkonzeption,
wenn dann von orientierungslosen, auf der Suche nach ihrem Lebenssinn
befindlicher junger Menschen die Rede ist.
Gustve
Flaubert malt uns mit wenigen Strichen das Muster einer solchen
Sinnsuche vor Augen in seinem Roman: „November“. Erteilen wir ihm
also das Wort.
„Was hienieden beginnen? Wovon träumen? Was erschaffen? Sagt es mir doch,
ihr, denen das Leben eine Lust ist, die ihr einem Ziel nachstrebt und
euch um etwas härmt? Ich fand nichts, das meiner würdig gewesen wäre,
und andrerseits fand ich mich für nichts tauglich.Arbeiten, alles einer
Idee, einem Ehrgeiz opfern, einem verächtlichen Alltagsergeiz, eine
Stellung im Leben erringen, sic einen Namen machen? Und was dann?
Warum das alles? Und überdies war mir der Ruhm gleichgültig; der
lauteste hätte mich nicht befriedigt, weil er sich niemals der
Eintönigkeit meines Herzens gesellt hätte. Ich bin geboren mit dem
Wunsche zu sterben.Nichts dünkte mich dümmer als das Leben, nichts schmachvoller, als darin zu verweilen. Wie alle Menschen meiner Zeit bin
ich ohne Religion aufgewachsen; das dürre Glück der Atheisten und die
ironische Sorglosigkeit der Skeptiker waren mir fremd. Manchmal bin ich,
zweifellos aus Laune, in eine Kirche gegangen, um Orgelmusik zu hören
und die kleinen Statuen in ihren Nischen zu bewundern; bis zum Dogma
jedoch drang ich nicht vor; ich fühlte mich durchaus al+ Nachkomme
Voltaires.“1
Soweit
Flaubert. Fangen wir ab ovo an: Was meint denn eigentlich Sinn?
Entweder, ich tue etwas um seiner selbst willen oder ich tue es, um
eines Zieles willen. Ich lese dies Buch, weil ich dies Buch lesen
will. Dann ruht der Zweck der Handlung in der Handlung selbst und
dies Insichruhen würde der hl. Augustin als das „Genießen“
bezeichnen, das sich einstellt, wenn etwas um seiner selbst willen
getan wird. Lese ich das Buch, weil ich eine Prüfung zu bestehen
habe über dieses Buch, dann ist das Prüfungsbestehen das Ziel und
das Lesen des Buches ein Mittel, um dieses Ziel zu errreichen. Das
Buchlesen „genieße“ ich nicht (der hl Augustin), weil ich es
nur als Mittel zu einem Zweck außerhalb des Lebens gebrauche.
Gebrauchen oder Genießen wären die beiden Zentralbegriffe
augustinischen Denkens, um zu unterscheiden, was ich nur tue, um ein
Ziel zu erreichen von dem, was ich um seiner selbst willen
unternehme. Eine sinnvolle Handlung wäre dann die, die ich um seiner
selbst willen tue, während eine Handlung, die ich nur um eines
Zweckes außerhalb der Handlung liegend tue, eine in sich sinnlose
Handlung wäre. Wäre sie nicht auf dieses Ziel bezogen und nur ob
dieses Bezuges wäre sie auch sinnvoll.
Das
Empfinden eines sinnlosen Lebens ergäbe sich so gesehen aus dem
Gefühl, daß alle meine Taten Taten sind, die nicht um ihrer selbst
willen getätigt werden, sondern die auf ein Ziel außerhalb der
Taten ausgerichtet ist und daß ein solches Endziel nicht erkennbar
ist oder gar nicht existiert. Eine bedeutsame Umformung des einfachen
Handlungsschemas hat sich dabei ereignet.Nicht mehr eine Handlung
steht im Mittelpunkt des Aufmerksamkeitsinteresses, sondern das ganze
Leben eines Menschen wird angesehen als eine Gesamthandlung und es
wird gefragt: wie kann diese Gesamthandlung sinnvoll sein? Daß das
ganze Leben als ein Projekt betrachtet wird, über das es gilt, zu
urteilen, verschiebt selbstredend das Problem. Und damit ist auch
schon die prinzipielle-postmoderne- Antwortmöglichkeit auf diese
Sinnfrage verortet. Man löse das Gesamtleben in eine beliebige
Anzahl von Einzelprojekten auf, und bestimme die als jeweils für
sich seiende Unternehmungen, die selbstzwecklich sinnvoll sind und
betrachte das Gesamtleben als den Ermöglichungsgrund solcher
Einzelprojekte. (Für Sartre war das ganze Leben eines Menschen noch
ein Projekt, ein Entwurf-aber warum nicht viele entwerfen, fragt da
der postmoderne Mensch.)
Implizite
haben wir dabei eine gewichtige Voraussetzung gemacht, daß der Sinn
nicht etwas ist, das in den Handlungen selbst ist, sondern daß der
Sinn etwas ist, daß wir erst den Handlungen geben. So denken wir
eigentlich die Welt der Ereignisse als eine Anzahl von sinnlosen
Handlungen, die erst einen Sinn bekommen, durch den, der die Tat
vollzog und ihr diesen oder jenen Sinn gab. Oder aber andere Menschen
interpretieren die geschehene Handlung so, indem sie ihr einen
bestimmten Sinn als Deutung der Handlung geben. Die Handlungen wären
so sinnlos, an sich betrachtet-sie können aber durch unseren Akt der
Sinngebung zu sinnvollem Tun werden, entweder, indem ich sie als um
eines Zieles willen als sinnvoll deute, sodaß dann das Ziel etwas um
seiner selbst willen Erstrebtes ist oder ich deute gleich die
Handlung als um seiner selbst willen getane.
Aber
Flaubert frägt nach dem Ganzen, nach einem Sinn für das ganze
Projekt eines menschlichen Lebens. „Alles einer Idee zu opfern“,
das ist der Zentralbegriff, bei dem das ganze Leben als etwas
Sinnvolles zu stehen kommen soll, indem es eine Idee geben sollte,
für die der Mensch sein ganzes Leben aufopfern könnte, um es so als
Ganzes zu gewinnen als ein sinnvolles. Nur, es bleibt die Anfrage:
warum sich nicht mit der Vorstellung begnügen, das Leben als den
Ermöglichungsraum für viele Einzelprojekte anzusehen und somit auch
dem Ganzen einen Sinn zu geben? Damit wird eines deutlich! Der so
fragende Mensch kann,ohne religiös und metaphysisch zu werden, das
heißt, ohne nach einem letzten Zweck des Ganzen zu fragen, Antworten
auf die Sinnfrage sich geben. Nur wo metaphysisch nach einem letzten
Ziel des ganzen Lebens gefragt wird, dort erst öffnen sich die Tore
des Antworthimmels der Religion für den Frager.
Aber
meint Sinn nicht eher, daß das Gesuchte in der Welt der Handlungen
ist, und daß es nun für den Beobachter und diese Welt Bedenkenden
gilt, den da verborgenen Sinn zu finden? Der hl. Augustin setzt hier
ein, indem er eine objektive Ontologie des Seienden entwirft mit der
Unterscheidung des Einen, das nur um seiner selbst willen ist und der
Vielen, die nur um des Einen willen sind. Das Eine ist Gott, die
Vielen das von Gott Geschaffene, daß er um seinetwilen geschaffen
hat. Jetzt kann das Viele, weil es ontologisch nur um des Einen
willen ist, also nicht selbstzwecklich ist, auch nur als Mittel
gebraucht werden und es darf nur das Eine, weil es allein
selbstzwecklich ist, um seiner willen allein genossen werden. Der
Sinn von den Vielen ist ihr Sein für das Eine. Und darin haben die
Vielen ihren Sinn und der Mensch findet in seiner bewußten
Ausrichtung auf Gott seinen Sinn. Er entwirft ihn nicht, sondern er
findet ihn als von Gott her gegebenen vor. So gesehen ist
tatsächlich die Religion der Ort der Antwort auf die Frage nach dem
letzten Sinn des Lebens.
Aber
ein Einwand muß nun noch reflektiert werden. Was spricht denn
dagegen, dem Leben als den letzten Sinn zu behaupten und mein Leben
als Teilhabe an diesem Leben zu werten? Etwas, was um seiner selbst
willen getan wird oder ist, das ist das, das den Sinn in sich trägt.
Aber Nietzsche belehrt uns hier, daß das bloße Dasein, auch das
Ganze des Lebens ohne Sinn ist, solange wir ihm diesen nicht geben!
Nietzsche formuliert das so: „Unsere neue Welt: wir müssen
erkennen, bis zu welchem Grade wir Schöpfer unserer Wertgefühle
sind-also Sinn in die Geschichte legen können.“2Offensichtlich
gibt es keinen Sinn, wenn er nicht hineingelegt wird. Die Religion
sagt so, daß Gott der Sinngeber des Lebens ist, er gibt dem Leben
als Ganzes und somit auch dem Einzelleben Sinn. Wenn wir Gott
streichen, dann müssen wir die Rolle des Schöpfers übernehmen und
selbst dem Leben Sinn einhauchen. Denn der von uns gefundene Sinn ist
immer nur entweder der Sinn, den wir dem Leben eingeben oder den Gott
dem Leben eingegeben hat. Geben wir Nietzsche noch einmal das Wort:
„Ein Ding an sich ebenso verkehrt wie ein Sinn an sich, eine
Bedeutung an sich. Es gibt keinen Tatbestand an sich, sondern ein
Sinn muß immer erst hineingelegt werden, damit es einen Tatbestand
geben kann.“3
Nun
stehen wir vor der Frage: worin besteht denn nun der Sinn des Lebens
als Ganzes und meines Lebens im Besonderen? Und jetzt können wir
schon sagen, daß wir einen Sinn in dem Leben und auch in unserem
eigenen nur finden können, wenn wir danach fragen, welchen Sinn Gott
dem Leben gegeben hat. Oder wir müssen sagen, daß wir etwas
eigentlich Sinnlosem etwas einhauchen müssen, was es an sich nicht
in sich trägt. Und hier erahnen wir dann auch schon den Grund des
Scheiterns dieses religionspädagogischen Konzeptes, indem es auch
den von Gott eingegebenen Sinn des Lebens als Deutungsleistung des
persönlichen Glaubens auffaßt im Sinne von: Gläubige deuten ihr
Leben als sinnvoll, indem sie es als von Gott Gegebenes verstehen und
bejahen. Wenn der christliche Glaube nur noch eine mögliche Deutung
des Lebens ist, dann ist er auch nichts anderes als ein
Sinngebungsakt eines an sich sinnlosen Lebens.Wenn dann noch das
Ideal der Tolerierung aller möglichen und unmöglichen Sinngebungen
des Lebens in dies Konzept eingetragen wird, dann haben wir wieder
den politisch korrekten Unterricht: jeder akzeptiere die Sinngebung
des Anderen, denn keine ist objektiv wahr sondern immer nur
subjektiv.
Aber
wenn nun an der Objektivität des Sinnes festgehalten werden soll:
das Leben hat Sinn, weil Gott ihm Sinn eingegeben hat, wie erkennt
dann der Mensch diesen objektiven, ihm vorgegebenen Sinn? L.
Lütkekaus kommt in seinem dieser Frage gewidmeten Buch „Nichts“
zu dem Ergebnis, daß es für das philosophische Denken keinen
erkennbaren Sinn des Lebens gebe und es so auch keinen Grund dafür
gäbe, dem Nichtsein (dem Tode) das Leben vorzuziehen.4
(Dies ist wohl auch der tiefere Grund, warum so leidenschaftlich für
das Recht auf den Freitod und das Recht auf eine Beihilfe zum Freitod
gestritten wird.)
Wenn
man den Schülern glaubt,müßte die korrekte Antwort im
Religionsunterricht Jesus und die Liebe heißen.Aber stimmt das auch?
Jesus Christus beantwortet uns die Frage: was muß ich tuen, um das
ewige Leben zu gewinnen. Er entfaltet uns einen „Weg des Heiles“,
bestehend aus der objektiven Komponente, was hat er für unser Heil
getan und der subjektiven, was müssen wir tuen, um das Heil zu
erlangen. Die Voraussetzung dieser Erlösungslehre ist aber schon,
daß wir den Sinn des Lebens im ewigen Leben, im Sein bei und mit
Gott, bzw. im Reiche Gottes sehen. Er offenbart uns, wie wir das Ziel
dann erreichen. Wie nun aber, wenn das Ziel uns selbst fraglich
geworden ist? Frägt ein Religionslehrer die Schüler, ob es
erstrebenswert ist, ewig zu leben -im Himmel gar, oder in innigster
Gemeinschaft mit Gott, mehr als ein müdes Abwinken wird darauf nicht
erfolgen. Wenn aber das Ziel schon nicht mehr attraktiv ist, wie
sollte dann der Weg zu diesem Ziel, die Kreuzesnachfolge noch auf ein
Interesse stoßen?Denn die Kreuzesnachfolge ist ja nicht in sich der
Sinn des Lebens, sondern nur das Mittel, um das Ziel, den Sinn des
Lebens zu erreichen. Wenn aber das nicht mehr bejaht wird, dann muß
plötzlich die Kreuzesnachfolge als das sinnvolle Leben in sich
expliziert werden. Das geht sicher daneben. Faktisch wird aber der
Begriff des Sinns des Lebens in der Religionspädagogik eher als
Alternative zur Verheißung des ewigen Lebens angewendet.
Wer
die Frage, was habe ich zu tuen, um das ewige Leben zu erreichen,
nicht mehr als sinnvolle Frage verstehen kann, dem wird gesagt, daß
mit dieser-etwas antiquiert formulierten Frage-gemeint ist: wie kann
mein Leben sinnvoll werden? Das hat dann die Folge, daß der Weg der
Kreuzesnachfolge als Entwurf für ein sinnvolles Leben zu stehen
kommen müßte und nicht mehr als der Weg zu dem sinnvollen Leben.
Douglas Adams hat wohl in seinem unverkennbar englischen Humor Jesus
als Angebot für ein sinnvolles Leben im Sinne modernen
Religionsunterrichtes so zusammengefaßt: „nachdem ein Mann an
einem Baumstamm genagelt worden war, weil er gesagt hatte, wie
phantastisch er sich das vorstelle, wenn die Leute zur Abwechslung
mal nett zueinander wären“.5Das
sinnvolle Leben im Sinne Jesu bestünde also darin, daß wir Menschen
mal versuchen, alle zueinander lieb und nett zu sein. Politisch
korrekt darf man dann eingrenzend hinzufügen, natürlich gilt das
für Asylanten, Menschen mit Migrationshintergrund und Behinderte,
aber nicht für alle politisch Unkorrekten, wie Fundamentalisten,
Tradiotionalisten, Islamphobisten, Rechte ...aber trotzdem sind das
noch so viel Nächste, sodaß dann die obligatorische Schülerantwort
lautet: warum sollte ich zu wem nett und lieb sein, den ich nicht
leiden kann? Und lebenspragmatisch betrachtet hat diese
Schülerantwort manches für sich im Gegensatz zu diesem
humanistischen Universalismus, der nur die Feinde der Politischen
Korrektheit ausschließt.
Wenn
Jesus Christus der Lehrer der Gerechtigkeit ist, dann hat diese Lehre
für uns potentielle Schüler nur einen Sinn, wenn wir es als unser
Ziel ansehen, gerecht zu sein. Der religiöse Hintergrund dieser
Lehrerberufung Jesu Christi ist natürlich die Vorstellung von einem
göttlichen Endgericht über alle Menschen. Nur die, die da in den
Augen Gottes als Gerechte zu stehen kommen, werden dabei ins ewige
Leben eingehen, die anderen in die ewige Verdamnis. Wird dieser
Hintergrund, vor dem Jesus als der Lehrer der Gerechtigkeit wirkt,
als nicht mehr Schülern vermittelbar wegrationalisiert, als pure
Mythologie, dann haben wir einen Weg ohne Ziel vor uns. Warum soll es
dann sinnvoll sein, gerecht zu sein, wenn oft die Ungerechten besser
leben als die nach Gerechtigkeit Strebenden? Der Sinn des Lebens
würde so-implizite-der des Gutlebens sein und es müßte der
Unterricht andemonstrieren, daß gerade ein Leben, als Streben nach
Gerechtigkeit ein Garant für das Gutleben sei. Aber das wird keinen
Hedonisten als nach einem Gutleben überzeugen können.
Es
drängt sich der Verdacht auf, daß die Frage nach dem Sinn des
Lebens, und der Klage, es habe alles keinen Sinn, die Manifestation
einer Kultur in der Phase ihrer Dekadenz ist, und gar nicht die
metaphysische Frage des Menschen ist.Das würde heißen, daß jede
Religion, auch die christliche den Willen des Menschen zum Leben als
Voraussetzung in sich haben und somit gar nicht auf diese Frage eine
Antwort enthalten, weil die Frage schon außerhalb des Raumes der
Religion ist. Nur in Zeiten des geschwächten Lebenswillens frägt
der Dekadenzmensch, ob nicht das Nichtsein dem Leben vorzuziehen sei.
Und dann findet er in den Religionen keine ihn ansprechende Antwort,
weil diese Frage keine der Religion ist. Aber könnte nicht doch aus
der Religion nun eine Antwort auf diese Frage gefunden werden? Nehmen
wir den Kandidaten des ewigen Lebens als Antwort. Inwiefern gibt die
Verheißung des ewigen Lebens dem, der ernsthaft frägt, wozu
überhaupt leben, eine Antwort?Wenn nun das Gewicht auf das ewig in
und mit Gott leben gelegt wird, was bedeutet das dem, dem das
Nichtsein vorzüglicher als das Sein erscheint? Die Krise aller
Religionen durch den Nihilismus nehmen wir noch nicht ernst genug,
wenn wir diese Möglichkeit des Neinsagens zum Leben als die
„sinnvolle“ Antwort des Menschen auf sein fragliches Dasein nicht
ernst nehmen. Oder sollten wir nun doch auf die Standardantwort des
Religionsunterrichtes, die der Liebe zurückgreifen: mein Sinn des
Lebens besteht in dem Geliebtwerden. Das klingt nun gut, aber es hat
auch seinen Pferdefuß. Da nimmt sich der Mann ein Herz und wagt es,
ihr zu sagen: „Ich liebe dich!“ und sie sagt-im realen Leben,
nicht im Liebesroman: „ich dich nicht!“. Geliebt werden will der
Mensch nur von dem, den er auch liebt, sonst ruft das: „Ich liebe
dich!“ beachtliche Beziehungsprobleme hervor. Nun könnte
eingewandt werden, daß das bei der göttlichen Liebe ganz anders
sei. Der Sinn des Lebens bestünde nun gerade in dem von Gott
Geliebtwerden. Das könnte eine sinnvolle Antwort sein, wenn Gott
nicht ein Synonym für das Lieben und das Geliebtwerden wäre. In der
traditionellen Lehre von Gott war Gott mehr als das Lieben und dann
inkludierte das: Gott liebt dich, daß Gott für Menschen ihr Gott
war, der sie z.B. ins ewige Leben führt, der für die Seinen sorgt
und sie bewahrt....aber wenn Gott nur noch das Lieben ist, dann fällt
das auch als mythologische Vorstellungen weg, denn Gott „handelt“
nicht in der Welt-er liebt nur.
Könnte
es sein, daß die Frage nach dem Sinn des Lebens, wenn das denn noch
eine Frage im Religionsunterricht ist oder sein soll, viel tiefer und
abgründiger zu beantworten ist in unseren Zeiten der
Dekadenz?(Nebenbei: es könnte einen Zusammenhang zwischen unserer
Dekadenzkultur und dem Phänomen geben,daß gerade der militante
Islam mit seiner Vorliebe für Selbstmordattentaten auf so
fruchtbaren Boden gerade auch in Westeuropa stößt!) Die
abgründigere Frage hieße: warum will Gott menschliches Leben und
warum ist gerade dieser Grund der Sinn unseres Lebens? Und diese
Frage meint dann etwas ganz anderes als daß ein Jesus von Nazareth
mal vorgeschlagen habe, daß wir es mal mit
Zueinander-Nett-Sein-versuchen sollten, wie Adams das humanistisch
sich verstehende Christentum so feinsinnig persifliert. Aber das
sprengt dann bei weitem die Konzeption von:Jesu Leben ist die Antwort
auf unsere Sinnfrage. Es ist nämlich eine metaphysische Frage nach
dem Sinn des geschaffenen Lebens für Gott. Und die zu erörtern,
würde den Rahmen dieses kleinen Essays sprengen-also später in
diesem Theater Gottes, was wir Leben nennen!
1Flaubert,
Gustave, November, übers. Ernst Sander, 1946, S.36f.
2Nietzsche,
F. , Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, in: Friedrich Nietzsche,
Werke IV, hersg: Karl Schlechta, 1984, S.918.
3Nietsche.
F.,a.a.O. S.487.
4Lütkehaus,
L., Nichts. Abschied vom Sein. Ende der Angst, 1999.
5Adam,
Douglas, Per Anhalter durch die Galaxis,übers. Benjamin Schwarz,
17.Auflage 1993, S.7.
Guten Tag Herr Lay! Haben Sie die Frage, deren Beantwortung den obigen schönen Essay gesprengt hätte, inzwischen noch einmal aufgegriffen? Vielen Dank! Gruß, Theresa B.
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