Künstliche
Befruchtung oder die Verteufelung des Künstlichen
Auch ein Beitrag zur Technikpobie
Nicht
in medias res
Ein
schwer Erkrankter im Spital. Auf natürliche Weise kann er keine
Nahrung mehr zu sich nehmen. Damit er nicht stirbt, wird er künstlich
ernährt. Eine fast alltägliche Praxis in den Krankenhäusern der
Welt. Wie nun aber, es stünde ein gläubiger Christ auf und
erklärte, angesichts eines Patienten, künstlich ernährt und
beatmet werdend, angeschlossen an einen ganzen Maschinenpark: „Das
widerspricht der Würde des Menschen! Gott habe ihn geschaffen, daß
er natürlich atme und sich natürlich ernähre. Hier aber erhalten
nur noch künstliche Maschinen diesen armen Menschen. Das ist
widernatürlich, weil künstlich. Deshalb: diese Technikapparate
müssen alle abgeschaltet werden, auch wenn dann der Schwererkrankte
stirbt. Lieber natürlich sterben als künstlich am Leben erhalten zu
bleiben.“ Gottes Wille sei das natürliche Leben, der Mensch dürfe
es deshalb nicht verkünsteln!
Leben
ist seit dem Sündenfall-nicht von Natur aus- immer ein vom Tode
gefährdetes Leben. Es muß atmen und Nahrung aufnehmen, sonst stirbt
es, und es muß sich fortpflanzen, sonst stirbt es aus. Die Natur
des Menschen ist es nun, das nennen wir Zivilisation oder auch
Kultur, das Natürliche zu „humanisieren“. Der Sportler, gerade
der Spitzensportler lernt auch „richtig“ zu atmen, um gute
Leistungen erbringen zu können. Wir haben eine große Kultur der
Nahrungszubereitung entwickelt und eine des Wie der Nahrungsaufnahme,
basierend auf dem zivilisatorischen Fortschritt der Optimierung der
Naturbeherrschung, z.B. der Domestikation des Feuers, sodaß wir nun
kochen können, anstatt daß Alles roh gegessen werden muß mangels
von Feuer.
So
entspricht es dieser Tendenz der Menschheitsentwicklung, Natürliches
zu kultivieren, daß auch die andere Seite des Lebensnotwendigen
„kultiviert“ wird. Ganz banal: durch die Medizintechnik gelang
es, die Rate der Totgeburten und der im Kindbett schon sterbenden
Kinder zu senken.
Einem
besonderen Problem des medizintechnischen Fortschrittes soll nun in
den Mittelpunkt gerückt werden! Es gibt Frauen, bzw Ehepaare, die
keine Kinder bekommen können oder nicht mehr bekommen können. Weil
sie es auf natürliche Weise nicht (mehr) können, bietet nun die
Medizin verschiedene Möglichkeiten an, „künstlich“ Kinder zu
bekommen. Geht man unbedarft -ohne vorher in theologische
Fachliteratur oder in den jetzt gültigen Katechismus nachzulesen- an
dies Problem heran, gibt es eigentlich keines.Wenn der Mensch, das,
was er will, wenn es ein moralisch erlaubtes Ziel ist, „natürlich“
nicht erreichen kann, dann erreicht er es eben „künstlich“. Wer
nicht mehr mit seinen Augen gut sehen kann, nimmt eine Brille oder
Kontaktlinsen, und wer keine Zähne zum Beißen und Kauen mehr hat,
der nimmt als Surrogat ein Gebiß. Das Technisch-Künstliche ersetzt
hier das Natürliche. Auch fromme Christen fordern nicht dazu auf,
die Sehschwäche oder den Verlust der Zähne als gottgewolltes
Schicksal hinzunehmen und so auf künstliche Hilfen zu verzichten.
Man möge sich diesen Satz mal aus dem Munde eines Katholischen
Priesters vorstellen: es gäbe wichtigeres als gut sehen und mit
Zähnen beißen und kauen können. Man dürfe nicht zu künstlichen
Hilfsmitteln greifen, um wieder sehen und beißen zu können. Denn
das widerspräche der Würde des Menschen! Es gäbe kein Recht auf
Sehen und Beißen. Deshalb müsse der Mensch solche Schwächen
geduldig ertragen, ohne wider Gott zu murren! So redet doch kein
Katholischer Pfarrer? Aber so urteilt Papst Johannes Paul II., nur
nicht in der Materie der Sehschwäche oder des Verlustes der Zähne,
sondern auf die Frage, ob, wenn auf natürliche Weise keine
Schwangerschaft möglich ist, ob dann sie künstlich gewirkt werden
darf! (Nebenbemerkung: dürfen wir darauf vertrauen, daß dieser
Papst nur einmal einen öffentlichen Fehltritt tat, als er den Koran
küßte, in dessen Namen heuer so viele Christen um ihres Glaubens
willen, nicht „getötet“, sondern wahrlich abgeschlachtet
werden?)
Eine
eigentümliche Antithetik von „natürlich“ und „künstlich“
belebt geradezu das Denken dieses Papstes. Schon der Titel:
„Eingriffe in die menschliche Fortpflanzung“ in der Instruktion
der Glaubenskongregation, Leben und Fortpflanzung, ist davon
gekennzeichnet. Das Problem muß wie folgt differenziert werden:
der
Fall, daß ein verheiratetes Paar auf natürliche Weise kein Kind
bekommen kann, aber auf natürliche,
der
Fall, daß das verheiratete Paar auch auf künstliche Weise kein Kind
bekommen kann, so daß anstelle der Ehefrau oder des Ehemannes eine
„Ersatzperson“ eintritt, die durch eine Ei-oder Samenspende dann
erst eine künstliche Fortpflanzung ermöglicht,
und
die Fälle, in denen ein unverheiratetes Paar oder eine Frau allein
auf natürliche Weise keinen Nachwuchs bekommen kann.
Die
Katholische Ehelehre besagt, daß nur in der Ehe Fortpflanzung
moralisch legitim sei. Das sagt auch eindeutig diese Instruktion des
Papstes: „Warum muß die menschliche Fortpflanzung in der Ehe
stattfinden? (DH 4799) Es muß aber akzeptiert werden, daß diese
katholische Position nicht die Position des Staates sein kann, schon
allein aus bevölkerungspolitischer Sicht, zumal die dort
dargebrachte Begründung auch sehr dürftig ausfällt. So soll die
Treue der Eheleute notwendige Voraussetzung für die moralisch
legitime Fortpflanzung sein. Nähme man das ernst, wäre die
Fortpflanzung in einer Ehe selbst unmoralisch, wenn einer der
Eheleute dem anderen gegenüber untreu sei oder gewesen sei und
könnten Paare, unverheiratet, aber sich treu, doch legitim Kinder
bekommen. Denn nicht in jeder Ehe leben Mann und Frau treu zueinander
, man denke an das bekannte Phänomen des Seitensprunges, und nicht
alle unverheirateten Paare sind untreu zueinander. Unverbesserliche
Realisten halten so wie so die voreheliche Treue für häufiger als
die eheliche! Daß nur ein in der Ehe geborenes Kind „seine
Identität erkennen und seine Menschenbildung zur Reife bringen“1
könne, ist wohl auch nur vertretbar, wenn man dem Idealehen zugrunde
legt und dem gegenüber Liebespaargemeinschaften nur als: wir wollen
Spaß und Sex sich! sich vorstellt.
Also
bleibt nur die Frage übrig: ist es moralisch legitimierbar, wenn ein
Paar (verheiratet oder unverheiratet) ein Kind „künstlich“
bekommen möchte, weil es es auf „natürliche“ Weise nicht kann?
Es wird dabei unterschieden zwischen einer homologen und einer
heterologen Befruchtung. Ersteres meint eine Befruchtung zwischen den
Ehepartnern auf künstliche Weise, das zweite eine künstliche, in
der die Eizelle oder der Same durch eine dritte Person gestellt wird.
„Die
homologe künstliche Besamung innerhalb des Raums der Ehe kann nicht
zugelassen werden, mit Ausnahme des Falls, in dem das technische
Mittel nicht einen Ersatz für den ehelichen Akt darstellt, sondern
als Hilfsmittel zum leichteren Erreichen seines natürlichen Zieles
erweisen würde..“2
Wie immer man diese Ausnahme interpretieren mag, sie schließt wohl
aus, daß wenn der eheliche Akt nicht mehr gesetzt werden kann, daß
dann eine künstliche Befruchtung stattfindet.
Die
homologe In-Vitro-Befruchtung (DH 4803) wird gänzlich untersagt:
„Diese ist in sich unerlaubt und widerstreitet der Würde der
Fortpflanzung und der ehelichen Verbindung“. Auch als aufmerksamer
Leser kann man hier kein anderes Argument finden als das, daß, weil
es künstlich es, es widernatürlich ist und daß das
Widernatürlichsein der Würde des Menschen und des Kindes
widerspricht. Das provoziert geradezu die Frage, ob die Versorgung
von Frühgeburten in „Brutkästen“ der Würde des Kindes
widerspricht, weil es unnatürlich ist, in einem Brutkasten statt im
Mutterleib zu sein, sodaß diese Praxis unerlaubt sei! Die heterologe
künstliche Befruchtung wird dagegen einfach mit der These, daß nur
innerehelich eine Fortpflanzung legitim sei, verworfen. Auch das
Unehelichgeborensein soll der Würde des Kindes widersprechen!3
Ist das alles überzeugend?
Eines
fällt sofort auf! Das Gebot Gottes, das erste, das Er den Menschen
gab, findet in dieser Instruktion keinerlei Berücksichtigung! Das
heißt: seid fruchtbar und mehret euch! Es wird nicht klar gesagt,
daß die Ordnung der Ehe für diesen Zweck von Gott hervorgebracht
wurde. Die Grundsatzentscheidung dieser Instruktion beruht darauf,
daß die Ordnung der Ehe wichtiger ist als ihr Zweck. Zur Ordnung der
Ehe gehört dabei, daß das Ehepaar sich nur auf „natürliche“
Weise fortpflanzen darf. Ist einer oder gar beide in irgendeiner
Weise erkrankt, sodaß die Fortpflanzung nicht natürlich erreicht
werden kann, dann darf eine künstliche Weise nicht gewählt werden.
Der Zweck der Ehe wird so durch das Verbot künstlicher Mittel für
dies Ehepaar unrealisierbar.
Man
möge sich Folgendes mal vorstellen: ein Kleinkind, schwer krank,
kann auf natürliche Weise von ihrer Mutter nicht gesäugt oder
irgendwie sonst ernährt werden. Eine künstliche Ernährung wäre
für das Überleben des Kindes lebensnotwendig. Jetzt würde die
Kirche lehren: weil die Ordnung von Mutter und Kind eine natürliche
Ernährung des Kindes durch seine Mutter vorsieht, darf das Kind
nicht künstlich ernährt werden, weil das der Würde der Mutter und
des Kindes widerspräche, denn alles Unnatürliche widerspricht der
Würde des Menschen! Im Falle der Frage der moralischen Erlaubbarkeit
künstlicher Befruchtung wird nun einerseits ein Ehideal konstruiert,
um dann zu urteilen, daß das Kind ein Recht darauf hätte, in so
einer Idealehe geboren zu werden. Dann wird diese Idealehe
gleichgesetzt mit jeder realen Ehe, um zu folgern: wenn das Kind
nicht in einer Ehe natürlich geboren werden kann, dann darf es auch
nicht geboren werden. Aus dem Recht, natürlich in einer Ehe geboren
zu werden, wird für das Kind das Verbot, künstlich in einer Ehe
geboren zu werden oder natürlich in einer nichtehelichen Beziehung.
Aber
eines verblüfft dabei: die Kirche lehrt, daß der Mensch nach seinem
Leibe aus der geschlechtlichen Zeugung entsteht, daß aber die Seele,
das dem Menschen Identität Stiftende unmittelbar von Gott geschaffen
in den werdenden Leib inkarniert wird,im Akt der geschlechtlichen
Zeugung. In der Instruktion wird diese wesentliche Unterscheidung
nicht einmal erwähnt. Dadurch erst bekommt der natürliche
Geschlechtsakt diese überbordende Bedeutung, als würde allein durch
ihn, wenn er rein natürlich gesetzt, der Mensch entstehen. Aber es
muß daran festgehalten werden: erst durch die Inkarnation der Seele
wird der Mensch und diese geschieht zwar, wenn die Eizelle befruchtet
wird, aber nicht ist die natürliche Befruchtung der Grund der
Einwohnung der Seele in die befruchtete Eizelle, sondern nur der
äußerliche Anlaß, daß Gott sie inkarniert. Man kann sich des
Eindruckes nicht entziehen, daß die Instruktion eine naturalistische
Tendenz in sich trägt, als Apotheose des Natürlichen-der Mensch
müsse zumindest im Bereich der Fortpflanzung natürlich sie
gestalten und als Perhorreszierung des Künstlichen, nicht dürfen
moralisch legitime Ziele mit künstlichen Mitteln erstrebt werden
und als eine Tendenz zu einem naturalistischen Menschenbild, daß der
Mensch aus der natürlichen Zeugung hervorginge und die Seele, als
direkte Gabe Gottes vergessen wird. Würde das Augenmerk auf die
menschliche Seele gelegt, als direkt von Gott geschaffene und dann
durch ihn inkarnierte, dann dürfte nicht so viel Gewicht auf den
natürlichen Zeugungsakt gelegt werden.
Der
Gott Jesu Christi ist ein Gott des Lebens. Er will, daß das Leben
ist und nicht stirbt. Darum setzt Gott die zwei Erhaltungsordnungen,
die Ehe und den Staat, weil das Leben ein immer auch gefährdetes
Leben ist. Diese beiden Ordnungen haben ihr Recht und ihre
Legitimation in ihrem Dienst am Leben. Nun ist es geradezu eine
Verquerung dieser Ordnung, wenn nun die Ordnung der Ehe zum Hindernis
für das Leben wird. Ganz fatal wirkt sich dabei die Apotheose der
Natürlichkeit des Fortpflanzungsaktes aus, als dürfte der Mensch
nur auf natürliche Weise und nicht auf künstliche sein Leben
fortpflanzen! Dafür gibt es außer der Litanei, daß das Künstliche,
weil es nicht natürlich ist, dem Menschen, seiner Würde
widerspricht, keine Begründung!
Ganz
anders die hl. Schrift, die erste Quelle des wahren Glaubens! Zwei
Menschen schuf Gott, Adam und Eva. Sie sind die Eltern aller
Menschen. Das konnte aber nur geschehen, weil die Kinder und die
Kinder der Kinder sich per Inzest vermehrten. Hätten sie das nicht
getan, wäre die Menschheit mit dem Tode der ersten Kinder des einen
Elternpaares schon ausgestorben. Selbstverständlich verlangt die
Ehemoral des Alten Testamentes, wenn die Ehefrau unfruchtbar ist, daß
der Ehemann sich eine „Ersatzfrau“ nimmt, um zu legitimen Kindern
in der unfruchtbaren Ehe zu kommen. Und wenn ein Mann starb, bevor er
mit seiner Ehefrau einen Nachwuchs zur Welt gebracht hatte, waren
Nahverwandte des Verstorbenen moralisch verpflichtet, die Witwe zu
„ehelichen“, damit so der Verstorbene zu legitimen Nachkommen
kommt! Wie ein roter Faden durchzieht dies Problem der unfruchtbaren
Ehe die Bibel und immer lautet die Lösung, daß die Ehe dann um des
Zweckes willen zu relativieren ist. Wenn schon die Inzestehe am
Anfang von Gott selbst vorgesehen war, weil nur so die Menschen vom
Aussterben zu bewahren waren, um wie viel mehr wird dann eine
künstliche Befruchtung erlaubt sein, wenn sie dem Leben dient. Und
es gibt keinen einsichtigen Grund dafür, künstliche Mittel, wenn
sie dem Leben dienen als Ermöglichung menschlicher Fortpflanzung zu
perhorreszieren! Diese Instruktion ist so wohl nur erklärbar, daß
gerade dieser Papst, so geprägt und eingebunden in die
philosophische Schule des Personalismus es sehr schwer fällt, der
Technik und dem „Künstlichen“ gerecht zu werden und das nicht
aus kirchlich theologischen Traditionen heraus!
1DH,
4799
2DH,4804
3Vgl:
DH, 4800.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen