Kein Text des Neuen Testamentes ist wohl so bekannt wie der der Bergpredigt, aber er gehört doch zu den schwierigsten der Bibel. Als Präludium der Bergpredigt ist Psalm 15 anzusehen, betitelt in der Einheitsübersetzung mit: "Die Einlaßbedingungen für den Eintritt ins Heiligtum". Jesus lehrt in seiner Bergpredigt die Einlaßbedingungen in das Reich Gottes, anknüpfend an diesen Psalm. Der Psalm frägt, wie muß der leben, der Eintritt bekommen will in das Heiligtum Gottes.
Als Bedingungen werden gelehrt:
makellos leben , das Rechte tuen, die Wahrheit sagen, und nicht verleugnen (V2)
seinem Freunde nichts Böses tuen, seinen Nächsten nicht schmähen (V3)
den Verworfenen verachten und die Gott fürchten, ehren (V4)
sein Versprechen nicht ändern (V5)
Geld nicht auf Wucher ausleihen und keine Bestechung zum Nachteil von
Schuldlosen annehmen (V6)
Eine Frage erhebt sich uns da sofort: müssen alle Bedingungen erfüllt werden, oder reicht es, eine der vielen zu erfüllen? Aber man könnte auch fragen, ob nicht das "makellos Leben" die anderen Bedingungen inkludiert, sodaß wer eben Böses tut, Bestechungsgelder nimmt eben nicht makellos lebt. Dann wäre das "makellos Leben" der Oberbegriff und die weiteren Bestimmungen wären Explikationen dessen, was es heißt, makellos zu leben. Es fällt auf, daß rein moralisches Verhalten verlangt wird, daß dagegen spezifisch religiöses Verhalten nicht erwähnt wird. Oder weist dies Fehlen daraufhin, daß hier keine Vollständigkeit erreicht ist? "Gott fürchten" könnte aber auch so gedeutet werden, daß die Grundvoraussetzung des Lebens, so wie es hier der Psalm veranschaulicht, die Gottesfurcht ist.
Eines präsumiert dieser Psalm als Selbstverständlichkeit: daß es für den Menschen erstrebenswert ist, das Ziel des Eintrittes in Gottes Heiligtum zu erreichen und daß darum der Mensch sich bemühen will, die Einlaßbedingungen zu erfüllen. Nicht sind also diese Weisen des Lebens, makellos zu leben, das Rechte zu tuen an sich etwas Positives, so daß der Mensch so lebt, weil es für ihn gut ist, so zu leben. Es ist eine auf ein Ziel hin ausgerichtete Ethik, die ihr Ziel nicht in der Immanenz des rechten Verhaltens hat, sondern in der Transzendenz des Zieles.
Was lehrt Jesus Christus nun in der Bergpredigt? "Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen." Mt 5.20. Er lehrt die Einlaßbedingungen in das Reich Gottes und betont, daß es möglich ist, daß Menschen, weil sie nicht den Einlaßconditionen Genüge tuen, nicht eingelassen werden. Und Jesus sagt auch hier eindeutig, daß die Pharisäer und Schriftgelehrten nicht eingehen können in das Reich Gottes. Der Grund verblüfft aufs erste: daß ihre Gerechtigkeit nicht groß genug ist. Jesus setzt hier einen quantitativen Gerechtigkeitsbegriff voraus, daß ein Mensch mehr oder weniger gerecht sein kann und keinen absoluten, daß man entweder gerecht oder nicht gerecht ist. Das ist so, als wenn ich beim Eintrittsticketkauf statt des ganzen Preises nur die Hälfte der geforderten Geldsumme bezahlen könnte. "Euer Lohn im Himmel wird groß sein", verheißt Jesus (V12)
Auch bei Jesus gilt. daß das geforderte Tun seinen Sinn nicht in sich selbst hat, sondern daß der Mensch so zu leben hat, damit er eingehen darf in das Reich Gottes. Unklar ist nun, ob nun der Lohn noch einmal verschieden ist von dem Sein im Reich Gottes und somit eine Gratifikatation über das Eintretendürfen in das Reich Gottes hinaus meint.
Eines wird man jetzt wohl nicht meinen dürfen, daß Jesus als Lehrer der Gerechtigkeit die Einlaßconditionen des Psalmes 15 einfach außer Kraft gesetzt und sie durch neue ersetzt hätte. Es muß wohl eher an eine Explikation der Einlaßconditionen gedacht werden. Oder sollte hier Jesus die Bestimmungen des Psalmes wirklich für nicht hinreichend erklären? Dann würde er urteilen, daß die Conditionen des Psalmes 15 wohl ausreichen, um in das Heiligtum Gottes einzutreten (den Tempel), aber sie reichten nicht aus für den Eintritt in das Reich Gottes. Dann ergäbe auch das Urteil über die Pharisäer und Schriftgelehrten einen klaren Sinn: ihre Gerechtigkeit reicht aus für den Einlaß in den Tempel, nicht aber für den Eintritt in das Reich Gottes als dem ewigen Leben.
Was sind nun die Einlaßconditinen?
arm sein vor Gott (V3)
trauern (V4)
keine Gewalt anwenden
nach der neuen Einheitsübersetzung, traditionell:
sanftmütig sein (V5)
hungern und dürsten nach Gerechtigkeit (V6)
barmherzig sein (V7)
ein reines Herz haben (V8)
Frieden stiften (V9)
um Gottes Gerechtigkeit verfolgt werden (V10)
beschimpft und verfolgt werden um Christi willen (V11)
Offenkundig ist die Übersetzung keine Gewalt anwenden dem pazifistischen Zeitgeist geschuldet. Sanftmütig ist die traditionelle, dem griechischen Text entsprechende Übersetzung! Von Mose sagt die hl. Schrift, daß er der sanftmütigste aller Menschen war und von ihm wird gesagt, daß er einen ägyptischen Aufseher tötete, er also sehr wohl Gewalt ausgeübt hatte. Zudem widerspräche diese Übersetzung dem Geiste des AT in Gänze, denn in ihm werden Israels Könige nie verurteilt, bloß weil sie Kriege führten und das ist eindeutig eine Gewaltanwendung.
Wenn nun ein Mensch nun nur dann in das Reich Gottes eingehen kann, wenn er all diese Conditionen erfüllt, was, wenn er, obwohl ein Christ nicht verfolgt und beschimpft wird? Oder sollte Jesus hier meinen, daß wer ein wahrer Schüler von ihm ist, daß der immer verfolgt werden wird, weil er sein Schüler ist?
Es sind also Tugenden, die Jesus hier von seinen Schülern einfordert, daß sie sie erlernen sollen. Aber wie erlernt man es, zu trauern? Wie, nach der Gerechtigkeit zu dürsten? etc...Der Lehrer der Gerechtigkeit hält dies wohl für etwas Erlernbares! Aber kann man sich des Eindruckes erwehren, daß dann nur sehr wenige in das Reich Gottes eingehen werden können?
Gehört jetzt das Verbot der Ehescheidung (5,31f) auch so den Konkretionen der Einlaßbedingungen?
Wie verhält sich diese Lehre von den Einlaßconditionen zu der paulinischen Lehre vom Glauben, durch den wir vor Gott gerecht werden? Wie zu Jakobus, daß nur der in guten Werken tätige Glaube uns vor Gott gerecht macht? Eines ist aber unüberlesbar: Jesus Christus kennt keine bedingungslose Liebe Gottes, wenn darunter verstanden wird, daß, weil Gott bedingungslos liebe, jeder auch als so Geliebtwerdender in das Reich Gottes eingehen wird!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen