Seit Anselm von Canterburys Werk, warum Gott Mensch wurde, könnte diese Frage als hinreichend respondiert betrachtet werden, wenn es heutzutage nicht als Selbstverständlichkeit gälte, die anselmsche Antwort abzulehnen. Die Frage wird so kontrovers respondiert, daß man sich genötigt sieht zu urteilen, daß es angesichts der Unübersehbarkeit der jetzt im theologischen Diskurs präsenten Antworten keine Antwort mehr gibt. In einem stimmen die Antworten meist aber überein: "Aus Liebe!", aber frägt man nach, dann bleibt es oft bei dieser stets wiedergekäuten Parole. Und schon die Nachfrage, was denn das Kreuz Christi mit der göttlichen Liebe zu tuen habe, läßt diese Antwort wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Die Aussage,Gott lasse den Tod seines Sohnes zu aus Liebe, obgleich er ihn leicht hätte retten können vor diesem so grausamen Kreuzestod, macht aus der göttlichen Liebe etwas sehr Befremdliches.
Die Hauptkontroverse in den Respodierungsversuchen kann aber bestimmt werden: Wurde Gott Mensch, damit sich objektiv die Beziehung Gottes zum Menschen und somit auch die Beziehung des Menschen zu Gott ändere, oder wurde Gott nur Mensch, um etwas zu offenbaren, was unabhängig von der göttlichen Offenbarung schon wahr war und auch ist.
Letztere Konzeption läßt sich auf das Grundschema reduzieren: Gott liebt seine Schöpfung und alle Menschen. Da sich die Menschen aber falsche Vorstellungen von ihm gemacht haben, daß er auch zornig, heilig sei, Opfer und Buße wolle, gar strafe und verdamme, kam der göttliche Lehrer, um uns den einzig wahren Gott zu verkünden in Wort und Tat: Euch alle hab ich lieb. Bedauerlicherweise gab es dann auch Nicht-Gutmenschen, die von solcher Liebe nichts hören wollten (etwa so wie es Männer gibt, die sich weigern, Liebesfilme sich anzuschauen), und die töteten dann Jesus, aber Gott erweckte ihn, um zu demonstrieren: Er ist der wahre Verkünder, denn er verkündet Gott als Nur-Liebe.
Damit ist streng genommen Jesus von Nazareth überflüssig, denn er verkündet ja nur, was auch unabhängig von ihm wahr war, ist und sein wird. Er schuf keine neue Wirklichkeit, er sagt uns nur an, was der Fall ist.
Die Soteriologie wird so ganz in die Schöpfungslehre hineingezogen und als analytisches Urteil expiziert: Weil ich ein von Gott Geschaffener bin, bin ich ein von Gott Geliebter und Angenommener! Ich täuschte mich selbst, meinte ich, durch mein Tun und Lassen aus der göttlichen Liebe herauszufallen. Was wird dann aus dem göttlichen Gericht? Es fällt aus, es muß ausfallen, weil Gott nur noch Liebe ist. Es bleibt dann nur noch übrig die Vorstellung, daß Gott mein Nein zu ihm respektiert und mich nur dann nicht in sein ewiges Leben aufnehmen wird, wenn ich das partout nicht möchte. Gott zwinge eben Niemanden zu seinem ewigen Glück!
Merke: Gab es für Dostojewski einen atheistischen Nihilismus, wenn es keinen Gott gibt, ist alles erlaubt, so gibt es jetzt einen theologischen Nihilismus, weil, wenn Gott nur Liebe ist, ist auch alles erlaubt. Unter der Flagge der autonomen Moral tritt dann dieser Nihilismus innerkirchlich auf, um faktisch die Suspendierung der christlichen Morallehre zu fordern, aber nur, um den Christenmenschen der politischen Korrektheit und dem Gutmenschentum zu unterwerfen!
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