Donnerstag, 7. Juni 2018

Der Mensch ohne große Ziele, zur Postmoderne

"Das radikale Vorantreiben der Säkularisierung, die Hinwendung zu unserem profanen Leben, verwandelt dieses Leben sebst in einen >abstrakten<anämischen Prozß." S. Zizek, Das >aufregende Abenteuer der Orthodoxie<, in: ders: Die Puppe und der Zwerg, 2003, S.43. Erläuternd wird hinzugefügt, daß der heutige "Letzte Mensch", der postmoderne sämtliche höheren Ziele als "terroristisch" verurteilt und sein Dasein nur noch mit mehr oder weniger raffinierten Lüsten dekoriere. Das  carpe diem hat so alle großen Ziele ersetzt.
Bevor nun gefragt wird, was aus dem Menschen wird, wenn er ohne höhere Ziele lebt, fragen wir zuerst: Ist hier die Säkularisation wirklich begriffen worden? Meine These dazu: Das, was der religiöse Mensch von Gott erhoffte und erwartete, nämlich die christliche Hoffnung auf das Reich Gottes und auf das ewige Leben, das wurde durch die Säkularisation zur Aufgabe des Menschen. Es entstand der Glaube an die Bildung als Selbstbefreiung des Menschen hin zur Humanität und es entstand der Glaube an die Politik,daß durch Revolutionen die wahre Humanisierung der Welt möglich ist. Die religiösen Hoffnungsgehalte wurden aus der Religion emanzipiert und zur Aufgabe des Menschen umgestaltet.
Der Terror wurde dabei als notwendiges Mittel zur Schaffung dieser neuen Welt legitimiert- von der Französischen Revolution bis zur bolschewistischen. (Der Nationalsozialismus enthält dagegen keine universalistische Erlösungshoffnung und so legitimierte er seinen Terror auch nicht mit dem Endziel einer säkularisierten Utopie.)
Der Letzte Mensch entsteht so erst, wenn alle Hoffnungspotentiale der Religion in ihrer säkularisierten Umformungsgestalt verbraucht sind, sich als Illusionen erwiesen haben. Jetzt erst tritt der postmoderne desillusionierte Mensch auf der Bühne auf, für den es keine gr0ßen Ziele mehr gibt. Der Mensch wird klein ohne große Ziele. Brot und Spiele,solche Vergnügungen sollen uns darüber hinwegtäuschen, daß der postmoderne Mensch ohne Ziel lebt. 
Aber das hat auch wieder Rückwirkungen auf die christliche Religion: Auch sie hat längst ihre großen Erlösungsziele im Archiv eingemottet: Das Reich Gottes und das ewige Leben sind in der Verkündigung der Kirche und isb. im Religionsunterricht nur noch Marginalien.Man kann sagen, daß das 2.Vaticanische Konzil mit seinem Dokument: "Gaudium et spes" versucht hat, die säkularistische Umformung des Reich Gottes Zieles positiv zu rezipieren, der bekannteste Versuch war ja das Konzept der Befreiungstheologie, aber mit dem endgültigen Scheitern des real existierenden Sozialismus 1989 endete diese Rezeption.
Die großen Geschichtsphilosophien werden ersetzt durch Konzepte der "Begegnungsideologie". War der Gott des Alten Bundes noch der, der einem Abraham verhieß, daß aus ihm ein großes Volk werden wird, daß eine große Zukunft vor sich hat, verkündete Jesus Christus noch das Ende der Welt und der Zeit, weil nun das Reich Gottes anfänge, so reduziert die Begegnunsideologie die Geschichte auf punktuelle Ereignisse, in denen einem Menschen Gott begegnet, und daß er in dieser Begegnung Gottes Ja zu ihm erfährt.  Dieser Punktualität korrespondiert das carpe diem in ihrer geschichtslosen Punktualität. Nicht mehr auf eine Zukunft ausgerichtet existiert der Mensch, sondern nur noch in der Intensivität des persönlichen Erlebens im erfüllten Augenblick.Gott eröffnet dem Menschen keine Geschichte mehr, kein Endziel, sondern nur noch seine Bejahung des Menschen in einer Ich--Du-Beziehung. 
Lyotard bezeichnet in seinem Essay: "Das postmoderne Wissen" ja den Glaubwürdgkeitsverlust aller großen Erlösungserzählungen für das Spezifische der Postmoderne. Wo alle großen Erlösungserzählungen entwertet sind, ob es das Hoffen auf das Reich Gottes ist oder auf die humanisierte Welt, da beginnt die Herrschaft des postmodernen letzten Menschen.   

Der letzte Mensch, wie ihn Nietzsche in seiner Vorrede zum "Zarathustra" erfaßt:

Und also sprach Zarathustra zum Volke:
Es ist an der Zeit, dass der Mensch sich sein Ziel stecke. Es ist an der Zeit, dass der Mensch den Keim seiner höchsten Hoffnung pflanze.
Noch ist sein Boden dazu reich genug. Aber dieser Boden wird einst arm und zahm sein, und kein hoher Baum wird mehr aus ihm wachsen können.
Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch nicht mehr den Pfeil seiner Sehnsucht über den Menschen hinaus wirft, und die Sehne seines Bogens verlernt hat, zu schwirren!
Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Ich sage euch: ihr habt noch Chaos in euch.
Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch keinen Stern mehr gebären wird. Wehe! Es kommt die Zeit des verächtlichsten Menschen, der sich selber nicht mehr verachten kann.
Seht! Ich zeige euch den letzten Menschen.
»Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern« – so fragt der letzte Mensch und blinzelt.
Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte Mensch, der Alles klein macht. Sein Geschlecht ist unaustilgbar, wie der Erdfloh; der letzte Mensch lebt am längsten.
»Wir haben das Glück erfunden« – sagen die letzten Menschen und blinzeln.
Sie haben den Gegenden verlassen, wo es hart war zu leben: denn man braucht Wärme. Man liebt noch den Nachbar und reibt sich an ihm: denn man braucht Wärme.
Krankwerden und Misstrauen-haben gilt ihnen sündhaft: man geht achtsam einher. Ein Thor, der noch über Steine oder Menschen stolpert!
Ein wenig Gift ab und zu: das macht angenehme Träume. Und viel Gift zuletzt, zu einem angenehmen Sterben.
Man arbeitet noch, denn Arbeit ist eine Unterhaltung. Aber man sorgt dass die Unterhaltung nicht angreife.
Man wird nicht mehr arm und reich: Beides ist zu beschwerlich. Wer will noch regieren? Wer noch gehorchen? Beides ist zu beschwerlich.
Kein Hirt und Eine Heerde! Jeder will das Gleiche, Jeder ist gleich: wer anders fühlt, geht freiwillig in's Irrenhaus.
»Ehemals war alle Welt irre« – sagen die Feinsten und blinzeln.
Man ist klug und weiss Alles, was geschehn ist: so hat man kein Ende zu spotten. Man zankt sich noch, aber man versöhnt sich bald – sonst verdirbt es den Magen.
Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht: aber man ehrt die Gesundheit.
»Wir haben das Glück erfunden« – sagen die letzten Menschen und blinzeln –
 

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