Eine verdrängte Wahrheit: unsere Weltfremdheit
„War für den antiken Menschen die Welt die Heimat gewesen – für das AT die Welt als Schöpfung Gottes, für die griechische Antike der von der Gottheit durchwaltete Kosmos – so ist in der Gnosis wie im Christentum zum erstenmal die grundsätzliche Verschiedenheit des menschlichen Seins von allem welthaften Sein zum Bewußtsein gekommen und deshalb die Welt dem menschlichen Ich zur Fremde geworden.“1 Bultmann spricht da von dem „Bewußtsein seiner Weltüberlegenheit.“ 2
Daß der Mensch sich in seinem eigenen Selbstverständnis verfehlen kann, gründet sich in der Möglichkeit, daß er sich auch als ein Element der Welt, aus ihr entstanden und in ihr verhaftet bleibend mißverstehen kann. Die Gnosis, wie aber auch die christliche Religion vermitteln nun die Erkenntnis seiner prinzipiellen Weltfremdheit, um so ihn auf ein Projekt der Repatrisierung vorzubereiten. Dem Bibelleser ist zwar meistens die Aussage, daß unsere Heimat der Himmel sei, sodaß wir auf Erden weilend, in der Fremde leben, so wie es der Apostelfürst Paulus in dem 5.Kapitel seines zweiten Korintherbriefes entfaltet, vertraut, aber es gilt nun, diese Aussage in ihrem ganzen Gehalt zu begreifen.
Wie kann oder konnte es denn dann in der Antike zu diesem Bruch mit dem Selbstverständnis des Menschen als eines Elementes der Welt, des gut und schön geordneten Kosmos bzw der gut von Gott geschaffenen und angeordneten Welt kommen? R. Bultmann nimmt hier nur die Differenz des christlichen und gnostischen Seinsverständnisses des Menschen zu dem des AT und der Antike wahr und erachtet so dies nach seinem Urteile angemessenere Seinsverständnis des Menschen, auch wenn es noch in einer mythologischen Sprache sich hier artikuliert, als etwas nur Neues wahr,das nicht aus dem Vorherigen sich ableiten lassen könne.
Das evoziert diese Anfragen: Setzt nicht schon der Dualismus zwischen der Welt der Ideen und der Welt seiner abbildhaften Realisierungen, um es an der platonischen Philosophie zu veranschaulichen,die Möglichkeit, daß dem Mensch, auf die ideele Welt sich ausrichtend, die nichtideele Welt zu etwas Nurvorläufigen, nicht Wahrhaftigen wird? Alles, was seiend ist, ist so doch auch schon ein nichtseiend, der Vergänglichkeit Unterworfenes, sodaß der Mensch sich von dieser Welt abwendend sich auf das Unvergängliche und Wahre ausrichten will. Paulus schreibt deshalb ja im 1.Korintherbrief 7,27, daß der Christ sein Herz nicht an diese vergängliche Welt heften solle, da die zum Untergang bestimmt sei, sodaß er auf Erden nur mit einer Reservatio mentalis leben solle, so „als ob nicht“, dabei hier einen Zentralgedanken der antiken Stoa in den christlichen Glauben integrierend.
Aber dem AT müßten doch solch weltflüchtigen Gedanken völlig ferne liegen, könnte selbst ein aufmerksamer Bibelleser meinen. Bultmann meint das selbst so. Aber dieser Anschein trügt. Den Anfang des Bewußtseins der Weltfremdheit des Menschen bildet die theologische Reflexion über das babylonische Exil des jüdischen Volkes: Weil wir gegen Gott gesündigt haben, seinen Bund mit ihm gebrochen haben, hat Gott uns exiliert, uns aus der Heimat vertrieben. Das jüdische Volk konnte somit sein Leben in Babylon als eines der Vertreibung und Gottferne begreifen. Die bedrängendste Frage hieß nun: Wie können wir zurückkommen in die Heimat? Die Sünenfallgeschichte radicalisiert nun diese Deutung des Exiles: Der Mensch ist ursprünglich, da er in Adam und Eva gesündigt hat, ein aus dem Paradiese Vertriebener, ein Exilierter. Das wunderschöne Lied: „Salve Regina“ drückt dies in herrlchster Klarheit aus, daß wir Menschen die exilierten Kinder Evas sind, die in der Fremde weilend auf den Heimführer hoffen, auf Jesus Christus. Die Sündenfallgeschichte bedeutet für das Seinsverständnis des Menschen, daß ihm diese Welt die Fremde ist.Zwei Optionen entstehen ihm daraus: Die fremde Welt sich untertan zu machen, sie zur Zweitheimat des Menschen umformen oder sich auf eine Erlösungshoffnung zu kaprizieren, daß der Mensch wieder repatriiert wird.
Als eine Erlösungsreligion steht die christliche wie die Gnosis, wie Bultmann hier konstatiert, für das Hoffen auf eine Repatriierung. Aber die christliche Religion kann auch ihrers Zentrumes verlustig gehen, wenn sie den Menschen, biologistisch- naturalistisch nur noch als ein besonderes Element der von Gott erschaffenen Welt deutet, als wäre er in dieser Welt beheimatet oder beheimatbar. Das Pojekt der Humanisierung der Welt ist so der heutige Versuch, die prinzipielle Weltfremdheit des Menschen zu überwinden, bei dem die Kirche ihre Erlösungsbotschaft, die der Repatriierung des Menschen zu vergessen droht.
1R.Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, Paragraph 15, 1 Die gnostische Bewegung.
2a.a.O.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen