Alles ändert sich Ein neuer Wertehimmel?
„Zu Lebzeiten
Djerzinskis [das meint unsere Zeit] war man größtenteils der
Meinung, die Philosophie besäße keinerlei praktische Bedeutung, ja
nicht einmal einen Gegenstand.In Wirklichkeit bestimmt die unter den
Mitgliedern einer Gesellschaft zu einem gegebenen Zeitpunkt am
weitesten verbreitete Weltanschauung deren Wirtschaft, Politik und
Sitten.“ schreibt Houellebecq1
„Die metaphysischen Wandlungen-das heißt, die radikalen, globalen
Veränderungen der von der Mehrzahl der Menschen geteilten
Weltanschauung-sind in der Geschichte der Menschheit selten. Als
Beispiel einer solchen kann das Aufkommen des Christentums angeführt
werden.“ führt Houlebecq fort2.
Philosophie, Metaphysik und Weltanschauung, das sind für das Meinen
unserer Zeit Plesierchens von weltfremden Gedankenmenschen, die mit
dem realen Leben nun gar nichts zu tun haben. Nur, vielleicht ist
diese Meinung ja gerade ein Moment der unserigen Weltanschauung, daß
wir genau so denken! Wenn das Christentum eine metaphysische Wandlung
in der Geschichte des Abendlandes erbrachte, wie Houellebecq hier
urteilt, dann meint das erstmal, daß die Grundlage der europäischen
Kultur das Christentum bildete und diese Grundlage ist von
metaphysischer Natur, weil es die Fragen nach dem Ursprung, dem
Ersten und nach dem Letzten, dem Endziel stellt und beantwortet und
in den so eröffneten Vorstellungsraum das Leben der Menschen mit all
seinem Wirken einzeichnet. Houellebecq sieht nun-was nicht
überrascht-das Ende dieser metaphysisch-christlichen Fundierung
unserer Kultur gekommen und das Anbrechen eine neuen metaphysischen
Ordnung kommen.
Conservative
Kulturkritiker sehen dagegen oft nur die Auflösung des alten
Wertehimmels, eingeleitet durch die Parole vom Tode Gottes, den
Zerfall des Alten, aber nicht die Geburt des Neuen. Aber es ist für
die Kirche eine wesentliche Frage, ob sie vor einer Welt ohne Werte
und Normen steht, eine Welt ohne eine metaphysische Grundordnung,
sodaß sie in einen Leerraum hinein zu wirken hätte, oder ob sie
einer neuen Werteordnung gegenübersteht, zu der sie entweder in
Konkurrenz oder in Anlehnung an ihr zu wirken hat. Daß faktisch die
Kirche kein von der Welt vollkommen separiertes Wesen ist, wird sie
dann auch das außerhalb der Mauern von ihr Anzutreffende auch in
sich vorfinden und gerade deshalb gilt es zu fragen: was für ein
neuer metaphysischer Himmel an Werten und Normen breitet sich über
uns postmodernen Menschen aus und wie verhält sich dazu die Wahrheit
der christlichen Religion?
Wohl unbeabsichtigt
liefert uns R. Müller in der FAZ in seinem Kommentar: „Das
deutsche Tabu“ dazu ein paar bedenkenswerte Anregungen3.
Er urteilt, daß wie in allen Religionen es etwas Heiliges gäbe, so
müsse es auch für jedes Sozialwesen Tabus geben. Ein Tabu ist dem
öffentlichen Diskurs und des Widerstreites der Meinungen enthoben-es
darf nicht zerredet werden, weil es sozusagen das Fundament eines
Sozialwesens ausmache. Ein einfacher Vergleich möge dies uns
veranschaulichen: auf einem Schiff darf auf keinen Fall Löcher in
den Boden geschlagen werden, auch wenn das noch so kreativ gemeint
ist, weil so das Schiff sinken und versinken würde. Die
metaphysische Fundierung einer Gesellschaft wäre so gesehen ihr
Fundament, ohne das sie einstürzen würde. Es ist eine Weise des
Denkens, die das ganze Leben eines Gemeinwesens bestimmt. Das
Blasphemiegesetz, das es in Deutschland noch gibt, auch wenn es nicht
oder kaum noch angewendet wird, wie Müller erfreut feststellt,
erinnert uns daran, daß einst Gott der höchste Wert unserer
abendländischen Kultur war und daß deshalb auch die Staaten in
Europa es als ihre Aufgabe und Pflicht ansahen, diesen höchsten Wert
mit staatlichen Mitteln zu schützen.Aber Gott ist tot.Das besagt
jetzt nicht, daß der christliche Glaube verschwunden wäre, noch
weniger, daß es wirklich keinen Gott gäbe, sondern meint viel
oberflächlicher: daß Gott für den öffentlichen Diskurs keine
Größe mehr ist. Wenn Gottgläubige ihr religiös fundiertes
Anliegen , (weil Gott die Liebe ist, darf das oder jenes nicht
geschehen) in den öffentlichen Diskurs einbringen wollen, dann
müssen sie dies in eine säkularisierte Aussageform übersetzen, in
der Gott nicht mehr vorkommt! Gott „lebt“ sozusagen nur noch
innerkirchlich oder in religiösen Milieus.Aber was ist jetzt der
höchste Wert, von dem aus sich der neue Werte und Normen Himmel des
einstigen Abendlandes fundiert.Müller sagt: es ist der Holocaust.
Der Holocaust ist das Tabu der deutschen Gesellschaft. Und weil er
das Tabu ist, ist er auch der Meinungsfreiheit entzogen. Es herrsche
bei uns -zu recht-nur eine eingeschränkte Meinungsfreiheit, denn
eine Gesellschaft dürfe es nicht dulden, daß ihr metaphysisches
Fundament durch die Meinungsfreiheit zersetzt wird. Die christliche
Religion ist der Meinungsfreiheit ausgesetzt und darum darf die
Satire Alles gegen diese Religion. Alles darf die Satire-weniger als
Alles wäre eine unzumutbare Einschränkung!, tönt es jetzt aus
allen Munden seit dem Pariser Attentat. Aber das gilt nicht für das
Tabu, die metaphysische Fundierung unserer Gesellschaft. Wer den
Holocaust verleugnet oder verharmlost, oder gar billigt, mißbraucht
die Meinungsfreiheit und ist zu bestrafen, mit Geld-oder gar mit
Gefängnisstrafen. Daß in einem Rechtsstaat Menschen wegen einer
Meinungsäußerung bestraft werden, sei aber kein Widerspruch zum
Rechtsstaat und den Grundrechten, denn der Staat dürfe und müsse
-um des Erhaltes des Sozialwesens willen- die metaphysische
Fundierung schützen durch die Tabuisierung und somit durch die
Einschränkung der Meinungsfreiheit, so Müller in der FAZ. Auch hier
erweist sich die FAZ mal wieder als ein Schlachtschiff der
Politischen Korrektheit. Und die FAZ weißt zurecht darauf hin, daß
dieses Sichindinstnehmen für die herrschende Weltanschauung nichts
mit dem zu tun hat, was der Volksmund die „Lügenpresse“ nennt.
Aber, und nun fangen erst
die eigentlichen Fragen an: wie kann ein historisches Ereignis eine
metaphysische Ordnung fundieren? Es gibt darauf nur eine mögliche
Antwort: wir haben es bei dem Holocaust um einen Begriff zu tun, der
zwei ganz verschiedenen Ordnungen angehört und somit auch etwas ganz
anderes meint. Einmal benennt es ein Ereignis der Geschichte und wäre
so ein Objekt der Geschichtswissenschaft. Das andere Mal ist der
Holocaust der Zentralbegriff der Weltanschauung der Politischen
Korrektheit. Als weltanschaulicher Begriff fundiert er nun seine
metaphysische Funktion, die der Letztbegründung von Gut und Böse.
Damit dieser Begriff seine metaphysische Funktion erfüllen kann,
darf er im Raume der Geschichtswissenschaft nicht historisch
kritisiert werden. Einfach:in einer theokratisch verfaßten
Gesellschaft darf die Kritik der Gottesbeweise, ist Gott wirklich?,
nicht Bestandteil der legitimem Wissenschaften sein. Was für eine
theokratisch verfaßte Gesellschaft das Verbot der Gotteskritik ist,
ist für unsere auf den Holocaust aufgebaute Werte und Normen Ordnung
die Tabuisierung des Holocaustes. Er darf nicht durch eine
historische Kritik geleugnet oder verharmlost werden Ketzer ist, wer
gegen dies Tabu verstößt, indem er eine uneingeschränkte
Meinungsfreiheit einfordert, ja sogar Forschungsfreiheit.Dieser
Ketzer werden so als „Revisionisten“ verunglimpft. Dieser Begriff
ist nun selbst sehr spannend. Er entstammt der Kritik an Eduard
Bernstein, dem Ketzer schlechthin imnnerhalb der marxistischen
Orthodoxie! Ihm wird vorgeworfen, das große Ziel, die klassenlose
Gesellschaft als unerreichbar abgewertet zu haben und stattdessen
einen unendlich währenden Reformprozeß vorgesehen zu haben, in dem
die Gesellschaft Schritt für Schritt optimiert wird, statt durch die
Revolution zu erlösen. Der Revisionist ist dem Marxisten, was dem
Christen ein Häretiker ist. Mit diesem Begriff belegt nun die
orthodoxe Zunft der Historiker die Häretiker unter den Historikern.
Sie mißbrauchen die Meinungsfreiheit, weil sie die Einschränkung
der Freiheit nicht akzeptieren, daß der Holocaust das Tabu unserer
Gesellschaft ist.
Damit ist aber eines
mitausgesagt: das Christentum bildet nicht mehr das weltanschauliche
Fundament unseres Gemeinwesens. Es ist somit enttabuisiert-jeder darf
es kritisieren, wie es ihm Spaß macht.Im Prinzip befindet sich der
Islam in Deutschland in der selben Lage-auch er darf kritisiert
werden, und die Satire darf alles gegen Mohammed wie gegen Jesus.
Nur, es gibt einen Unterschied: der Islam reagiert auf
Blasphemisches, als blasphemisch Empfundenes mit Militanz und Gewalt
und aus Angst und Furcht vor dieser Militanz schränkt sich jetzt die
Meinungsfreiheit selbst ein. Das Verbot der Pegida-Kundgbung in
Dresden war so der Erfolg des militanten Islam.Auch im jetzt
anlaufenden Karneval wird das aufmerksame Auge Zeichen der
Selbstzensurais Furcht vor dem Islam finden.Ganz anders der Umgang
mit der christlichen Religion-hier gilt die Parole: Feuer frei-Alles
ist erlaubt. Wer nun aber meint, das läge daran, daß wir in einer
völlig enttabuisierten Gesellschaft lebten, in der alles erlaubt
sei, der irrt. Die alten Tabus der alten christlichen Wertordnung
sind alle entwertet worden, um jetzt Raum zu schaffen für die neue
metaphysische Ordnung. Ob ein Sozialwesen ohne eine metaphysische
Grundordnung auskommt, ist eine schwer zu beantwortende Frage, denn
wir kennen keine so strukturierte Gesellschaft. Der Einzlmensch mag
und kann ohne so eine Ordnung auskommen, aber sobald er seine
Haustüre verläßt, lebt er in einer Gesellschaft, die metaphysisch
fundiert ist. Nur, daß diese Weltanschauung ihm so
selbstverständlich zur Sehbrille seines Lebens geworden ist, daß er
ihren weltanschaulichen Charakter gar nicht mehr wahrnimmt. Das
Christentum dagegen wird als eine besondere Weltanschauung
wahrgenommen, weil sie sich von der herrschenden unterscheidet und
ihr Sein der herrschenden gegenüber zu legitimieren hat. Das
Christentum ist zu einer beliebigen Option geworden, weil unsere
Gesellschaft sich eine neue alle verpflichtende metaphysische Ordnung
schon gegeben hat, die als ausreichend für das Leben dieser
Gesellschaft reicht. Das ist unsere Lage.
1Houellebecq,
M., Elementarteilchen, 8.Auflage 2003, S.7.
2Houellebecq,
a.a,O., S7f-
3Müller,
R., das deutsche Tabu, in FAZ, 27.1.2015.
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