Donnerstag, 29. Januar 2015

"Wir leben heute in einer ganz neuen Ordnung" Houellebecq

Alles ändert sich Ein neuer Wertehimmel?

„Zu Lebzeiten Djerzinskis [das meint unsere Zeit] war man größtenteils der Meinung, die Philosophie besäße keinerlei praktische Bedeutung, ja nicht einmal einen Gegenstand.In Wirklichkeit bestimmt die unter den Mitgliedern einer Gesellschaft zu einem gegebenen Zeitpunkt am weitesten verbreitete Weltanschauung deren Wirtschaft, Politik und Sitten.“ schreibt Houellebecq1 „Die metaphysischen Wandlungen-das heißt, die radikalen, globalen Veränderungen der von der Mehrzahl der Menschen geteilten Weltanschauung-sind in der Geschichte der Menschheit selten. Als Beispiel einer solchen kann das Aufkommen des Christentums angeführt werden.“ führt Houlebecq fort2. Philosophie, Metaphysik und Weltanschauung, das sind für das Meinen unserer Zeit Plesierchens von weltfremden Gedankenmenschen, die mit dem realen Leben nun gar nichts zu tun haben. Nur, vielleicht ist diese Meinung ja gerade ein Moment der unserigen Weltanschauung, daß wir genau so denken! Wenn das Christentum eine metaphysische Wandlung in der Geschichte des Abendlandes erbrachte, wie Houellebecq hier urteilt, dann meint das erstmal, daß die Grundlage der europäischen Kultur das Christentum bildete und diese Grundlage ist von metaphysischer Natur, weil es die Fragen nach dem Ursprung, dem Ersten und nach dem Letzten, dem Endziel stellt und beantwortet und in den so eröffneten Vorstellungsraum das Leben der Menschen mit all seinem Wirken einzeichnet. Houellebecq sieht nun-was nicht überrascht-das Ende dieser metaphysisch-christlichen Fundierung unserer Kultur gekommen und das Anbrechen eine neuen metaphysischen Ordnung kommen.
Conservative Kulturkritiker sehen dagegen oft nur die Auflösung des alten Wertehimmels, eingeleitet durch die Parole vom Tode Gottes, den Zerfall des Alten, aber nicht die Geburt des Neuen. Aber es ist für die Kirche eine wesentliche Frage, ob sie vor einer Welt ohne Werte und Normen steht, eine Welt ohne eine metaphysische Grundordnung, sodaß sie in einen Leerraum hinein zu wirken hätte, oder ob sie einer neuen Werteordnung gegenübersteht, zu der sie entweder in Konkurrenz oder in Anlehnung an ihr zu wirken hat. Daß faktisch die Kirche kein von der Welt vollkommen separiertes Wesen ist, wird sie dann auch das außerhalb der Mauern von ihr Anzutreffende auch in sich vorfinden und gerade deshalb gilt es zu fragen: was für ein neuer metaphysischer Himmel an Werten und Normen breitet sich über uns postmodernen Menschen aus und wie verhält sich dazu die Wahrheit der christlichen Religion?
Wohl unbeabsichtigt liefert uns R. Müller in der FAZ in seinem Kommentar: „Das deutsche Tabu“ dazu ein paar bedenkenswerte Anregungen3. Er urteilt, daß wie in allen Religionen es etwas Heiliges gäbe, so müsse es auch für jedes Sozialwesen Tabus geben. Ein Tabu ist dem öffentlichen Diskurs und des Widerstreites der Meinungen enthoben-es darf nicht zerredet werden, weil es sozusagen das Fundament eines Sozialwesens ausmache. Ein einfacher Vergleich möge dies uns veranschaulichen: auf einem Schiff darf auf keinen Fall Löcher in den Boden geschlagen werden, auch wenn das noch so kreativ gemeint ist, weil so das Schiff sinken und versinken würde. Die metaphysische Fundierung einer Gesellschaft wäre so gesehen ihr Fundament, ohne das sie einstürzen würde. Es ist eine Weise des Denkens, die das ganze Leben eines Gemeinwesens bestimmt. Das Blasphemiegesetz, das es in Deutschland noch gibt, auch wenn es nicht oder kaum noch angewendet wird, wie Müller erfreut feststellt, erinnert uns daran, daß einst Gott der höchste Wert unserer abendländischen Kultur war und daß deshalb auch die Staaten in Europa es als ihre Aufgabe und Pflicht ansahen, diesen höchsten Wert mit staatlichen Mitteln zu schützen.Aber Gott ist tot.Das besagt jetzt nicht, daß der christliche Glaube verschwunden wäre, noch weniger, daß es wirklich keinen Gott gäbe, sondern meint viel oberflächlicher: daß Gott für den öffentlichen Diskurs keine Größe mehr ist. Wenn Gottgläubige ihr religiös fundiertes Anliegen , (weil Gott die Liebe ist, darf das oder jenes nicht geschehen) in den öffentlichen Diskurs einbringen wollen, dann müssen sie dies in eine säkularisierte Aussageform übersetzen, in der Gott nicht mehr vorkommt! Gott „lebt“ sozusagen nur noch innerkirchlich oder in religiösen Milieus.Aber was ist jetzt der höchste Wert, von dem aus sich der neue Werte und Normen Himmel des einstigen Abendlandes fundiert.Müller sagt: es ist der Holocaust. Der Holocaust ist das Tabu der deutschen Gesellschaft. Und weil er das Tabu ist, ist er auch der Meinungsfreiheit entzogen. Es herrsche bei uns -zu recht-nur eine eingeschränkte Meinungsfreiheit, denn eine Gesellschaft dürfe es nicht dulden, daß ihr metaphysisches Fundament durch die Meinungsfreiheit zersetzt wird. Die christliche Religion ist der Meinungsfreiheit ausgesetzt und darum darf die Satire Alles gegen diese Religion. Alles darf die Satire-weniger als Alles wäre eine unzumutbare Einschränkung!, tönt es jetzt aus allen Munden seit dem Pariser Attentat. Aber das gilt nicht für das Tabu, die metaphysische Fundierung unserer Gesellschaft. Wer den Holocaust verleugnet oder verharmlost, oder gar billigt, mißbraucht die Meinungsfreiheit und ist zu bestrafen, mit Geld-oder gar mit Gefängnisstrafen. Daß in einem Rechtsstaat Menschen wegen einer Meinungsäußerung bestraft werden, sei aber kein Widerspruch zum Rechtsstaat und den Grundrechten, denn der Staat dürfe und müsse -um des Erhaltes des Sozialwesens willen- die metaphysische Fundierung schützen durch die Tabuisierung und somit durch die Einschränkung der Meinungsfreiheit, so Müller in der FAZ. Auch hier erweist sich die FAZ mal wieder als ein Schlachtschiff der Politischen Korrektheit. Und die FAZ weißt zurecht darauf hin, daß dieses Sichindinstnehmen für die herrschende Weltanschauung nichts mit dem zu tun hat, was der Volksmund die „Lügenpresse“ nennt.
Aber, und nun fangen erst die eigentlichen Fragen an: wie kann ein historisches Ereignis eine metaphysische Ordnung fundieren? Es gibt darauf nur eine mögliche Antwort: wir haben es bei dem Holocaust um einen Begriff zu tun, der zwei ganz verschiedenen Ordnungen angehört und somit auch etwas ganz anderes meint. Einmal benennt es ein Ereignis der Geschichte und wäre so ein Objekt der Geschichtswissenschaft. Das andere Mal ist der Holocaust der Zentralbegriff der Weltanschauung der Politischen Korrektheit. Als weltanschaulicher Begriff fundiert er nun seine metaphysische Funktion, die der Letztbegründung von Gut und Böse. Damit dieser Begriff seine metaphysische Funktion erfüllen kann, darf er im Raume der Geschichtswissenschaft nicht historisch kritisiert werden. Einfach:in einer theokratisch verfaßten Gesellschaft darf die Kritik der Gottesbeweise, ist Gott wirklich?, nicht Bestandteil der legitimem Wissenschaften sein. Was für eine theokratisch verfaßte Gesellschaft das Verbot der Gotteskritik ist, ist für unsere auf den Holocaust aufgebaute Werte und Normen Ordnung die Tabuisierung des Holocaustes. Er darf nicht durch eine historische Kritik geleugnet oder verharmlost werden Ketzer ist, wer gegen dies Tabu verstößt, indem er eine uneingeschränkte Meinungsfreiheit einfordert, ja sogar Forschungsfreiheit.Dieser Ketzer werden so als „Revisionisten“ verunglimpft. Dieser Begriff ist nun selbst sehr spannend. Er entstammt der Kritik an Eduard Bernstein, dem Ketzer schlechthin imnnerhalb der marxistischen Orthodoxie! Ihm wird vorgeworfen, das große Ziel, die klassenlose Gesellschaft als unerreichbar abgewertet zu haben und stattdessen einen unendlich währenden Reformprozeß vorgesehen zu haben, in dem die Gesellschaft Schritt für Schritt optimiert wird, statt durch die Revolution zu erlösen. Der Revisionist ist dem Marxisten, was dem Christen ein Häretiker ist. Mit diesem Begriff belegt nun die orthodoxe Zunft der Historiker die Häretiker unter den Historikern. Sie mißbrauchen die Meinungsfreiheit, weil sie die Einschränkung der Freiheit nicht akzeptieren, daß der Holocaust das Tabu unserer Gesellschaft ist.
Damit ist aber eines mitausgesagt: das Christentum bildet nicht mehr das weltanschauliche Fundament unseres Gemeinwesens. Es ist somit enttabuisiert-jeder darf es kritisieren, wie es ihm Spaß macht.Im Prinzip befindet sich der Islam in Deutschland in der selben Lage-auch er darf kritisiert werden, und die Satire darf alles gegen Mohammed wie gegen Jesus. Nur, es gibt einen Unterschied: der Islam reagiert auf Blasphemisches, als blasphemisch Empfundenes mit Militanz und Gewalt und aus Angst und Furcht vor dieser Militanz schränkt sich jetzt die Meinungsfreiheit selbst ein. Das Verbot der Pegida-Kundgbung in Dresden war so der Erfolg des militanten Islam.Auch im jetzt anlaufenden Karneval wird das aufmerksame Auge Zeichen der Selbstzensurais Furcht vor dem Islam finden.Ganz anders der Umgang mit der christlichen Religion-hier gilt die Parole: Feuer frei-Alles ist erlaubt. Wer nun aber meint, das läge daran, daß wir in einer völlig enttabuisierten Gesellschaft lebten, in der alles erlaubt sei, der irrt. Die alten Tabus der alten christlichen Wertordnung sind alle entwertet worden, um jetzt Raum zu schaffen für die neue metaphysische Ordnung. Ob ein Sozialwesen ohne eine metaphysische Grundordnung auskommt, ist eine schwer zu beantwortende Frage, denn wir kennen keine so strukturierte Gesellschaft. Der Einzlmensch mag und kann ohne so eine Ordnung auskommen, aber sobald er seine Haustüre verläßt, lebt er in einer Gesellschaft, die metaphysisch fundiert ist. Nur, daß diese Weltanschauung ihm so selbstverständlich zur Sehbrille seines Lebens geworden ist, daß er ihren weltanschaulichen Charakter gar nicht mehr wahrnimmt. Das Christentum dagegen wird als eine besondere Weltanschauung wahrgenommen, weil sie sich von der herrschenden unterscheidet und ihr Sein der herrschenden gegenüber zu legitimieren hat. Das Christentum ist zu einer beliebigen Option geworden, weil unsere Gesellschaft sich eine neue alle verpflichtende metaphysische Ordnung schon gegeben hat, die als ausreichend für das Leben dieser Gesellschaft reicht. Das ist unsere Lage.
1Houellebecq, M., Elementarteilchen, 8.Auflage 2003, S.7.
2Houellebecq, a.a,O., S7f-

3Müller, R., das deutsche Tabu, in FAZ, 27.1.2015.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen