Samstag, 24. Januar 2015

Wenn es nur noch ein Leben gibt!

Die Gesundheit-das höchste Gut?

Manchmal sagen kleine Begebenheiten mehr über uns Menschen aus als die Debatten um die großen Fragen des Daseins. Einst saß ein Reisender in einem Zugabteil, er hatte sich das Nichtraucherabtei ausgesucht und genoß nun die Zugfahrt. Im selben Zug saß im Raucherabtei auch ein Reisender, genüßlich seine Pfeife rauchend. Zwei zufriedene Menschen und sie konnten zufrieden miteinander leben, weil sie getrennt von einander reisten. Der Nichtraucherwagon war separiert vom Raucherwagon, so daß der Nichtraucher nicht durch den Tabakduft des Rauchenden gestört wurde und der Raucher konnte sein Plesierchen nachgehen, Eigentlich könnten wir hier das archetypische Modell der Konfliktbeseitigung durch Grenzziehungen erblicken. Damit jeder so leben kann, wie er möchte, muß er seinen Lebensraum abgrenzen von dem der Anderen, sodaß jeder in seinem nach seinen Wünschen leben kann. Es verlangte aber auch den Verzicht auf eine „missionarische“ Existenz, daß der Nichtraucher ins Raucherabtei ging, um dort die Menschen aufzufordern, das Rauchen einzustellen, weil sie damit ihre Gesundheit gefährden. Das gilt auch umgekehrt für den Raucher;auch er muß auf den Versuch, die Freuden des Tabakgenusses Nichtrauchern gegenüber zu propagieren, verzichten. Wie halte ich es mit dem Ideal des Strebens nach einem Maximum an Gesundheit und dem Wunsche nach viel oder intensiven Genuß?
Solange der Mensch noch höhere Werte als den der Gesundheit kannte, konnte diese Frage entspannt erörtert und verschieden beantwortet werden: der eine rauchte um des Genusses willen und nahm damit ein gewisses Gesundheitsrisiko ein und der andere verzichtete auf diesen Genuß ob des Gesundheitsrisikos. So lebten Raucher und Nichtraucher friedlich miteinander in einem Zug und alle waren zufrieden.
Aber jetzt: die Raucherabteile sind aus den Zügen verschwunden, stattdessen erlebt oder erleidet man gelegentlich raucherfüllte Zugtoiletten und Verbotsschilder überall: Rauchen verboten!
Was hat sich geändert? Warum ist es auf einmal dem Nichtraucher eine Unzumutbarkeit, wenn in einem anderen Zugabteil geraucht wird? Eine Gefährdung seiner Gesundheit durch die vermeintlichen Gefahren des Passivrauchens ist ausgeschlossen durch die Abseparierung des Raucherabteils von den Nichtraucherabteilen! Trotzdem verlangt der Nichtraucher einen völlig rauchfreien Zug, auch wenn für seine Gesundheit ein rauchfreies Abteil genügte. Die von politisch Korrekten bejubelte Tugend der Toleranz würde, auf diese Causa appliziert, bedeuten, daß dem Nichtraucher sein Nichtraucherraum und dem Raucher sein Raucherraum gewährt wird! Aber mitnichten. Im Namen der Toleranz verlangt der Nichtraucher völlig rauchfreie Züge und auch völlig rauchfreie Restaurationen und Diskotheken.
Ein Verdacht drängt sich auf: weil die Gesundheit zum höchsten Gut avanciert ist, hört hier jede Toleranz auf. Jetzt wird der Raucher zum „Feind“ der Gesundheit erklärt, der nicht mehr tolerierbar ist, selbst wenn er in einem vom Nichtraucherraum abgetrennten Raum seinen Tabakgenuß frönt. Denn zum Schutz des Nichtrauchers vor den vermeintlichen Gefährdungen des Passivrauchens reichte ja die Abtrennung des Rauchers- von dem Nichtraucherraum. Aber wenn die Gesundheit zum höchsten Gut erklärt wird, dann ist damit der Toleranz in Gesundheitsfragen das Ende bereitet. Und so findet sich eine breite Zustimmung zur Diskriminierung von Rauchern in einer Zeit, deren liebste Parole die der Toleranz ist.
Ein zweiter Verdacht drängt sich uns auf: nur in Bereichen, die nicht als besonders wichtig angesehen werden, wird die so bejubelte Tugend der Toleranz wirklich praktiziert. Daß in allen Fragen, die die Religion betreffen, unbedingte Toleranz eingefordert wird, besagt somit nur, daß die Religion als unwichtig angesehen wird. Und darum und nur darum soll hier auch das Prinzip der Tolerierung von jeder religiösen Vorstellung praktiziert werden. Das jetzt von politisch Korrekten heiß und innig ersehnte Konzept eines „europäischen Islams“ wäre so die Anforderung auch an diese Religion zu akzeptieren, daß in postmodernen Gesellschaften die Religion nicht das höchste Gut sein soll und kann. Das heißt nun nicht, wie es Conservative gern sehen, daß wir nun in einer Gesellschaft ohne Werte lebten-mitnichten. Wir haben und leben längst schon postmoderne Werte, die die christlichen ersetzt haben. Das führt zum Beispiel zu solchen Abstrusitäten, daß die kirchlichen Fastenzeiten als Zeiten für Gesundheitsdiäten „verkauft“ werden, als wäre der Zweck des Fastens, dieses Bußwerkes die Steigerung der Gesundheit! Da kann man dann selbst aus christlichen Mündern hören, daß der Fleischverzicht in der Fastenzeit der Gesundheit diene, weil zu viel Fleisch der Gesundheit abträglich wäre!
Und es drängt sich ein weiterer Verdacht auf: wenn es absolute Werte gibt, wie jetzt der der Gesundheit, gibt es wieder etwas, in dessen Namen man guten Gewissens intolerant sein darf. Die totalen Rauchverbote in Zügen und Restaurationen beweisen das gerade in Bayern. Intoleranz bedeutet dann, daß man es dem Mitmenschen nicht gönnt, daß ihm etwas Vergnügen bereitet. Christlich Sozialisierten ist die Vorstellung der Mitfreude am Glück und Wohlbehagen anderer eine Selbstverständlichkeit-aber das ist eben ein Produkt christlicher Erziehung. Genauso ursprünglich ist dem postlapsarischen Menschen die Freude am Schlechtergehen des Mitmenschen, von der kleinen Schadenfreude bis hin zur Häme. Wir kennen ja den Weisheitsspruch: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen!
Einst rauchte ich selbst noch und gönnte mir nach der hl.Messe ein Zigarettchen. „Wir Raucher sind doch die letzten, die noch an die Auferstehung der Toten und ein ewiges Leben glauben“ scherzte man dann im Tabakgenuß. Tatsächlich ist es einsichtig, daß wenn der Glaube an das ewige Leben verloren geht, und wir nur noch eines hier auf Erden haben, daß dann die Gesundheit zum höchsten Gut werden kann, ja wird, wenn die traditionelle Vorstellung von einem Weiterleben in den eigenen Kindern verblaßt wie auch die des Weiterlebens im eigenen Volke. Erst dann sieht sich der Einzelmensch ganz auf ein kurzes, viel zu kurzes Erdenleben zurückgeworfen und reduziert, das er nun so weit wie möglich ausdehnen will!
Gäbe es eine Statistik, die bewiese, daß der regelmäßige Meßbeduch die durchschnittliche Lebenserwartung um 10 Lebensjahre steigerte, unsere Kirchen wären voll- aber von der Medizin zum ewigen Leben, der Eucharistie will kaum mehr jemand etwas wissen, selbst 90% der Katholiken nicht, wahrscheinlich sogar noch mehr, die die Sonntagsmesse nicht aufsuchen!
Wenn es das Hoffen auf das jenseitige Leben nach dem Tode nicht mehr gibt, dann muß sich auch unser Verhältnis zum Tode wie auch zur Krankheit ändern! Aus der Wahrheit: weil wir zum Sterbenmüssen verurteilt sind, kommen die Krankheiten als Vorboten des Todesschicksales wird: weil es Krankheiten gibt, müssen wir sterben. Im Kampfe um die Gesundheit und also im Kampfe gegen die Krankheit steckt so immer auch ein säkularisierter Versuch der Todesschicksalsüberwindung! Und man halte das jetzt nicht bloß für eine reine Allmachtsphantasie. Der französische Starautor Houellebecq, jetzt in aller Munde ob seines islamkritischen Romanes über die zukünftige Machtübernahme des Islam in Frankreich hat, inspiriert von der Sekte der Raelisten in seinem Roman, „Die Möglichkeit einer Insel“ ja gedanklich die technische Möglichkeit künstlicher „Unsterblichkeit“ schon durchgespielt: durch Klonen und durch einen Bewußtseinstransfer des alten sterbenden Menschen in seinen Klon-als Datenspeicherübertragungsproblem. Erschreckende Horrorvisionen oder doch menschliche Möglichkeiten des gottlos gewordenen Menschen, der sich nun selbst technisch ein ewiges Leben in Gesundheit verschaffen will? Wer hier zu schnell Houellebecq als Phantasten abschreiben will,möge eines bedenken: was würde Goethe sagen, sähe er, wie heute seine Schriftstellerkollegen am Computer schreiben und die Texte per ePost versenden!

Gerade der Verlust des Glaubens an das jenseitige Leben führt nicht nur zur Resignation und dem Willen, dies Erdenleben, weil es so kurz ist, optimal auszuleben, es evoziert auch den dunkleren und abgründigeren Gedanken der Beseitigung des Todes durch eine verewigte Gesundheit. Erst dadurch wird verständlich,warum gerade der Wert der Gesundheit in postmodernen Zeiten zu dem höchsten Wert avancieren konnte.Dabei wäre der „Gral der Unsterblichkeit“ doch so leicht zu finden-in jeder heiligen Messe ist er da für uns!                           

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen