Die
Gesundheit-das höchste Gut?
Manchmal
sagen kleine Begebenheiten mehr über uns Menschen aus als die
Debatten um die großen Fragen des Daseins. Einst saß ein Reisender
in einem Zugabteil, er hatte sich das Nichtraucherabtei ausgesucht
und genoß nun die Zugfahrt. Im selben Zug saß im Raucherabtei auch
ein Reisender, genüßlich seine Pfeife rauchend. Zwei zufriedene
Menschen und sie konnten zufrieden miteinander leben, weil sie
getrennt von einander reisten. Der Nichtraucherwagon war separiert
vom Raucherwagon, so daß der Nichtraucher nicht durch den Tabakduft
des Rauchenden gestört wurde und der Raucher konnte sein Plesierchen
nachgehen, Eigentlich könnten wir hier das archetypische Modell der
Konfliktbeseitigung durch Grenzziehungen erblicken. Damit jeder so
leben kann, wie er möchte, muß er seinen Lebensraum abgrenzen von
dem der Anderen, sodaß jeder in seinem nach seinen Wünschen leben
kann. Es verlangte aber auch den Verzicht auf eine „missionarische“
Existenz, daß der Nichtraucher ins Raucherabtei ging, um dort die
Menschen aufzufordern, das Rauchen einzustellen, weil sie damit ihre
Gesundheit gefährden. Das gilt auch umgekehrt für den Raucher;auch
er muß auf den Versuch, die Freuden des Tabakgenusses Nichtrauchern
gegenüber zu propagieren, verzichten. Wie halte ich es mit dem Ideal
des Strebens nach einem Maximum an Gesundheit und dem Wunsche nach
viel oder intensiven Genuß?
Solange
der Mensch noch höhere Werte als den der Gesundheit kannte, konnte
diese Frage entspannt erörtert und verschieden beantwortet werden:
der eine rauchte um des Genusses willen und nahm damit ein gewisses
Gesundheitsrisiko ein und der andere verzichtete auf diesen Genuß
ob des Gesundheitsrisikos. So lebten Raucher und Nichtraucher
friedlich miteinander in einem Zug und alle waren zufrieden.
Aber
jetzt: die Raucherabteile sind aus den Zügen verschwunden,
stattdessen erlebt oder erleidet man gelegentlich raucherfüllte
Zugtoiletten und Verbotsschilder überall: Rauchen verboten!
Was
hat sich geändert? Warum ist es auf einmal dem Nichtraucher eine
Unzumutbarkeit, wenn in einem anderen Zugabteil geraucht wird? Eine
Gefährdung seiner Gesundheit durch die vermeintlichen Gefahren des
Passivrauchens ist ausgeschlossen durch die Abseparierung des
Raucherabteils von den Nichtraucherabteilen! Trotzdem verlangt der
Nichtraucher einen völlig rauchfreien Zug, auch wenn für seine
Gesundheit ein rauchfreies Abteil genügte. Die von politisch
Korrekten bejubelte Tugend der Toleranz würde, auf diese Causa
appliziert, bedeuten, daß dem Nichtraucher sein Nichtraucherraum und
dem Raucher sein Raucherraum gewährt wird! Aber mitnichten. Im Namen
der Toleranz verlangt der Nichtraucher völlig rauchfreie Züge und
auch völlig rauchfreie Restaurationen und Diskotheken.
Ein
Verdacht drängt sich auf: weil die Gesundheit zum höchsten Gut
avanciert ist, hört hier jede Toleranz auf. Jetzt wird der Raucher
zum „Feind“ der Gesundheit erklärt, der nicht mehr tolerierbar
ist, selbst wenn er in einem vom Nichtraucherraum abgetrennten Raum
seinen Tabakgenuß frönt. Denn zum Schutz des Nichtrauchers vor den
vermeintlichen Gefährdungen des Passivrauchens reichte ja die
Abtrennung des Rauchers- von dem Nichtraucherraum. Aber wenn die
Gesundheit zum höchsten Gut erklärt wird, dann ist damit der
Toleranz in Gesundheitsfragen das Ende bereitet. Und so findet sich
eine breite Zustimmung zur Diskriminierung von Rauchern in einer
Zeit, deren liebste Parole die der Toleranz ist.
Ein
zweiter Verdacht drängt sich uns auf: nur in Bereichen, die nicht
als besonders wichtig angesehen werden, wird die so bejubelte Tugend
der Toleranz wirklich praktiziert. Daß in allen Fragen, die die
Religion betreffen, unbedingte Toleranz eingefordert wird, besagt
somit nur, daß die Religion als unwichtig angesehen wird. Und darum
und nur darum soll hier auch das Prinzip der Tolerierung von jeder
religiösen Vorstellung praktiziert werden. Das jetzt von politisch
Korrekten heiß und innig ersehnte Konzept eines „europäischen
Islams“ wäre so die Anforderung auch an diese Religion zu
akzeptieren, daß in postmodernen Gesellschaften die Religion nicht
das höchste Gut sein soll und kann. Das heißt nun nicht, wie es
Conservative gern sehen, daß wir nun in einer Gesellschaft ohne
Werte lebten-mitnichten. Wir haben und leben längst schon
postmoderne Werte, die die christlichen ersetzt haben. Das führt zum
Beispiel zu solchen Abstrusitäten, daß die kirchlichen Fastenzeiten
als Zeiten für Gesundheitsdiäten „verkauft“ werden, als wäre
der Zweck des Fastens, dieses Bußwerkes die Steigerung der
Gesundheit! Da kann man dann selbst aus christlichen Mündern hören,
daß der Fleischverzicht in der Fastenzeit der Gesundheit diene, weil
zu viel Fleisch der Gesundheit abträglich wäre!
Und
es drängt sich ein weiterer Verdacht auf: wenn es absolute Werte
gibt, wie jetzt der der Gesundheit, gibt es wieder etwas, in dessen
Namen man guten Gewissens intolerant sein darf. Die totalen
Rauchverbote in Zügen und Restaurationen beweisen das gerade in
Bayern. Intoleranz bedeutet dann, daß man es dem Mitmenschen nicht
gönnt, daß ihm etwas Vergnügen bereitet. Christlich Sozialisierten
ist die Vorstellung der Mitfreude am Glück und Wohlbehagen anderer
eine Selbstverständlichkeit-aber das ist eben ein Produkt
christlicher Erziehung. Genauso ursprünglich ist dem
postlapsarischen Menschen die Freude am Schlechtergehen des
Mitmenschen, von der kleinen Schadenfreude bis hin zur Häme. Wir
kennen ja den Weisheitsspruch: Wer den Schaden hat, braucht für den
Spott nicht zu sorgen!
Einst
rauchte ich selbst noch und gönnte mir nach der hl.Messe ein
Zigarettchen. „Wir Raucher sind doch die letzten, die noch an die
Auferstehung der Toten und ein ewiges Leben glauben“ scherzte man
dann im Tabakgenuß. Tatsächlich ist es einsichtig, daß wenn der
Glaube an das ewige Leben verloren geht, und wir nur noch eines hier
auf Erden haben, daß dann die Gesundheit zum höchsten Gut werden
kann, ja wird, wenn die traditionelle Vorstellung von einem
Weiterleben in den eigenen Kindern verblaßt wie auch die des
Weiterlebens im eigenen Volke. Erst dann sieht sich der Einzelmensch
ganz auf ein kurzes, viel zu kurzes Erdenleben zurückgeworfen und
reduziert, das er nun so weit wie möglich ausdehnen will!
Gäbe
es eine Statistik, die bewiese, daß der regelmäßige Meßbeduch die
durchschnittliche Lebenserwartung um 10 Lebensjahre steigerte, unsere
Kirchen wären voll- aber von der Medizin zum ewigen Leben, der
Eucharistie will kaum mehr jemand etwas wissen, selbst 90% der
Katholiken nicht, wahrscheinlich sogar noch mehr, die die
Sonntagsmesse nicht aufsuchen!
Wenn
es das Hoffen auf das jenseitige Leben nach dem Tode nicht mehr gibt,
dann muß sich auch unser Verhältnis zum Tode wie auch zur Krankheit
ändern! Aus der Wahrheit: weil wir zum Sterbenmüssen verurteilt
sind, kommen die Krankheiten als Vorboten des Todesschicksales wird:
weil es Krankheiten gibt, müssen wir sterben. Im Kampfe um die
Gesundheit und also im Kampfe gegen die Krankheit steckt so immer
auch ein säkularisierter Versuch der Todesschicksalsüberwindung!
Und man halte das jetzt nicht bloß für eine reine
Allmachtsphantasie. Der französische Starautor Houellebecq, jetzt in
aller Munde ob seines islamkritischen Romanes über die zukünftige
Machtübernahme des Islam in Frankreich hat, inspiriert von der Sekte
der Raelisten in seinem Roman, „Die Möglichkeit einer Insel“ ja
gedanklich die technische Möglichkeit künstlicher „Unsterblichkeit“
schon durchgespielt: durch Klonen und durch einen Bewußtseinstransfer
des alten sterbenden Menschen in seinen Klon-als
Datenspeicherübertragungsproblem. Erschreckende Horrorvisionen oder
doch menschliche Möglichkeiten des gottlos gewordenen Menschen, der
sich nun selbst technisch ein ewiges Leben in Gesundheit verschaffen
will? Wer hier zu schnell Houellebecq als Phantasten abschreiben
will,möge eines bedenken: was würde Goethe sagen, sähe er, wie
heute seine Schriftstellerkollegen am Computer schreiben und die
Texte per ePost versenden!
Gerade
der Verlust des Glaubens an das jenseitige Leben führt nicht nur zur
Resignation und dem Willen, dies Erdenleben, weil es so kurz ist,
optimal auszuleben, es evoziert auch den dunkleren und abgründigeren
Gedanken der Beseitigung des Todes durch eine verewigte Gesundheit.
Erst dadurch wird verständlich,warum gerade der Wert der Gesundheit
in postmodernen Zeiten zu dem höchsten Wert avancieren konnte.Dabei
wäre der „Gral der Unsterblichkeit“ doch so leicht zu finden-in
jeder heiligen Messe ist er da für uns!
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