Wärest
Du doc kalt oder heiß!
Liberalismus und Religion
„Feindschaft
gegen Liberale gilt vielen Leuten als anstößig“, mußte schon A.
Mohler in seinem Traktat: „Gegen die Liberalen“1988 konstatieren.
„Sind sie denn gegen die Freiheit? Sollen die Menschen nicht nett
zueinander sein?“1
Wer vermag, da mit einem: „Nein“ zu antworten? Freisein und
Netzueinandersein, wenn das gelebte Liberalität ist, wer wollte dann
ein antiliberaler Geist sein? Und es hält sich ja hartnäckig das
Gerücht, daß dieser Jesus von Nazareth, selbstredend nicht der
kirchlich dogmatisch verzerrte Gottessohn Jesus Christus auch ein
wahrer Jünger gelebter und gelehrter Liberalität gewesen sein soll
in seinem Dauerkonflikt mit den zeitgenössischen Dogmatikern und
Scholastikern seiner Zeit, den Pharisäern und Schriftgelehrten. Und
vervollständigt werden soll dieses Liberalenbild nun durch die
Erinnerung an Pontius Pilatus mit seiner großen Frage: „Was ist
Wahrheit?“, die ihm eine unbeantwortbare und nicht beantwortet
werden sollende Frage ist im Kontrast zu den fanatisierten
Volksmassen, die den Tod Jesu einfordern, so daß Pilatus agnostisch
gestimmt Jesu freilassen will, da er sich so der Anfrage Jesu: „Ich
bin die Wahrheit“; „Glaubst Du das?“ entziehen will.
Aber
fangen wir langsam an, um hier die Zusammenhänge in den Blick zu
bekommen. Heinrich R. Robben hat in dem Artikel: „Der Mensch steht
im Zentrum“2
sehr feinsinnig und treffend das Fundament der Ideologie des
liberalen Denkens ergründet in der These des Agnostizismuses, des
Nichterkennenkönnens des Wahrheit als dem Fundament liberaler
Lebenspraxis. Jede Ideologie als Weltdeutung
gibt auch Rechenschaft über das Verhältnis von Denken, Ideen,
Begriffen zur Realität als Fundamentierung der Bestimmung des
Weltverhältnisses des Menschen. Daß auch die liberale
Weltanschauung keine voraussetzungslose spontan sich ereignet habende
Weltdeutung ist, sondern ideengeschichtlich
gesehen auf den spätmittelalterlichen Nominalismus eines W. von
Occam zurück-verweist, ist eine wirklich plausible These, die aber
die Frage unbeantwortet läßt, warum denn eine so
skeptizistische Erkenntnistheorie so viele zeitgenösische Jünger
findet, daß sie fast schon zum Gemeinsinn und Vulgärgut aller
Zeitgenossen werden konnte. Ja, daß sie selbst unter den
Nachfolge-jüngern Jesu, der von sich sagt: „Ich bin die Wahrheit“
in Liebe aufgenommen wird, so sehr, daß da der
bekannt- vertraute Vorwurf der lauen Liebe aus der
Johannesoffenbarung nicht recht trifft ob der Feurigkeit
und Leidenschaft des liberalen Ansinnens, wie es in liberal-
katholischen Kreisen zelebriert wird.
Drei
Begriffe, die der Freiheit, der Wahrheit und des Netzueinanderseins
(gleich tolerantsein) sollen nun, wie sie dem liberalen
Deutungsparadigma zu Grunde liegen, in ihrer wechselseitigen
Bezogenheit aufeinander rekonstruiert werden, um so das zutiefst
problematische und spannungs-reiche Verhältnis von liberaler
Weltanschauung und dem theologischen Denken zu begreifen.Nähern wir
uns dieser Problematik an, indem wir nun einen Umweg in Kauf nehmen,
nicht in medias res einsteigen, sondern um von der gelebten
Toleranzliberalität in der Praxis zeitgenössischen Unter-richtens
her erste Einsichten und Erkenntnisse zu gewinnen.
Imaginieren
wir uns eine Religionsunterrichtsstunde höherer Klassen zum Thema:
„Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ (Markus 8,29), worauf die
Schüler zwischen Interesse und Desinteresse schwankend die
mannigfaltigst verschiedensten Antworten zum besten geben und der
Lehrkörper, ganz angetan von der Lebendigkeit des Unterrichtes und
der Vielzahl der Antworten betont, daß es wichtig sei, daß jeder
und jede seine und ihre ganz persönliche Antwort auf diese Frage
gäbe, daß hier nicht zwischen wahren
und unwahren Aussagen zu unterscheiden sei, oder gar einige
verurteilt werden dürften, sondern daß wir alle, die Klasse lernen
solle, diese zu Tage tretende Mannigfaltigkeit ganz persönlichen
Meinens und Glaubens als bereichernde Pluralität und Vielfalt zu
bejahen. In höheren Schulklassen
ist dann diese Urteilspluralität ein gediegener Anlaß, die
individuelle subjektive Bedingtheit jedes persönlichen Urteilens
ansichtig zu machen: jeder sähe nur durch seine Brille und so sähe
jeder Jesus anders als der andere und nur dogmatisierende
Fundamentalisten verstiegen sich dazu, ihrige Sicht als die allein
wahre und selig machende zu behaupten, während doch die tiefste
Einsicht in das Erkenntnisvermögen des Menschen die sei, daß
Niemand wissen könne, was wahr sei. Und darum solle jeder Schüler
jede Meinungsäußerung seines Mitschülers tolerieren und auch
akzeptieren, daß es nicht die Aufgabe des Religionslehrers sei, nun
zu sagen, was wahr und was unwahr sei, sondern auch der Lehrer bringe
nur seine ganz persönliche Überzeugung in das Rundgespräch ein,
authentisch und unverbindlich. Das pädagogische Lernziel dieser
Unterrichtseinheit war ja auch nicht, wie es in vorkonziliaren
Zeiten möglich war, zu erkennen, wer Jesus war und ist, sondern zu
erkennen, daß diese Frage Jesu unendlich viele persönliche
Antwortmöglichkeiten evoziert und daß alle irgendwie gleich wahr
sind und daß jede jede andere zu akzeptieren habe als nur
individuell gültige. Das Unvermögen, objektiv zu erkennen, wer
denn nun wirklich dieser Jesus war und ist, erlaubt die Freiheit des
unbegrenzt beliebigen Meinens, was er sei, oder für mich ist und
schafft ein
Klima
der Beliebigkeit, der postmodernistischen „Any thing goes“
Beliebigkeit, in der jedes Urteil akzeptiert
wird. „Seid nett zu einander!“, das ist dann nur der trivial
ausgedrückte Fassung des Imperatives: Streite nicht mit Deinem
Nächsten über Fragen des Glaubens und der Religion, denn hier ist
jeder Glaube gleich wahr und unwahr, weil es keine Möglichkeit zur
sachgemäßen objektiven Erkenntnis gibt. Alles ist nur ein Ausdruck
individuell persönlicher Vorlieben und Abneigungen.
Aber
eine Rechenstunde, in der der Lehrer fragt: „Wieviel ist drei plus
sieben?“ und die Schüler munter drauf losen antworten: 5, 6, 4, 7,
und dann die Antwort käme, schön, daß ihr so mannigfaltig
verschiedene Ergebnisse präsentiert, jeder so ganz spontan und
persönlich, niemand wüsse eigentlich
das rechte Ergebnis, das mache aber nichts, denn schuldidaktisch sei
es schon ein Erfolg, daß jedes Schulkind sich einbrachte in das
Unterrichtsgespräch, ist selbst bei ultraorthodoxen Liberalen
unvorstellbar. Nicht dominiert im zeitgenössischen Schulbetrieb in
allen Fächern der Agnostizismus, die These der Unmöglichkeit
adäquater Erkenntnisse, sondern wir haben die Simultanität eines
Meeres von exaktem Wissen und eines Reiches, indem alles nur
willkürlich beliebiges Meinen ist, in dem jeder Wahrheitsanspruch
als hybrischer Abt vermaledeit wird.
Eine
Rekonstruktion der Lage des Wissens3
in Hinsicht auf die Vorliebe des liberalen Zeitgeistes für alle
Spielarten eines Agnostizismuses muß also Rechenschaft darüber
abgeben, warum es uns
Heutigen möglich erscheint, zu errechnen, wie viele Sandkörner am
Ufer eines Flusses liegen, aber die Frage, ob Gott ist, als
unbeantwortbare und unwißbare Frage des Wissens reprobiert. Und so
drängt sich die Mutmaßung auf, daß der sinnvolle Hinweis auf die
Geburt des Nominalismuses im Spätmittelalter als Ursprung einer
nicht realistischen Erkenntnistheorie nicht hinreicht, um diese in
sich differenzierte Lage des Wissens zu begreifen.
Es
sollen nun ein paar Thesen aufgestellt werden, in denen Vermutungen
der Genese dieser jetzigen Situation des Wissens zusammengefasst
werden, die so der Leserschaft zur Diskussion präsentiert werden,
ohne daß damit der Anspruch erhoben werden soll, so schon das
Problem vollständig begriffen zu haben.
Der
Krieg, das Erleiden des Krieges genauer gesagt, ließ es als
erstrebenswert erscheinen, der Religion wie
auch jeder ideologischen Weltanschauung jeden Wahrheitsgeltung
abzusprechen um des innerweltlichen Friedens willen. Die
Religionskriege des 17. Jahrhundertes, als innerchristliche
Konfessionskriege wahrgenommen und die Erfahrung des
Weltanschauungskrieges des 20. Jahrhundertes, wahrgenommen als Krieg
der Ideen des Kommunismuses und des Nationalsozialismuses
evozierten eine Skepsis gegenüber jeder Art von weltanschaulichem
Wahrheitsgeltungs-anspruch: „Wie könnte eine erkannte und gewußte
Wahrheit neben sich die Nichtwahrheit tolerieren?“ „Kann Wahrheit
ein Recht auf den Irrtum bejahen, um einen Weltfrieden zwischen den
verschiedensten Wahrheitsansprüchen zu ermöglichen? (Daß diese
Frage im 2. Vatikanum in der Debatte um das Verhältnis der
Katholisch- Christlichen Religion zu den anderen Verständnissen des
Christentumes und den anderen Religionen und dem Atheismus von
zentraler Bedeutung war, ist unverkennbar!)
Der liberale Agnostiztismus will nun, damit es keine
friedensgefährenden Wahrheitsgeltungsansprüche mehr geben kann,
alle religiösen und weltanschaulichen Wahrheits-ansprüche als
illegitime Verabsolutierungen subjektiven Willkürmeinens
delegitimieren. Nicht steht am
Anfang eine Erkenntniskritik, sondern der Wille, daß es im
Vorstellungsraume der Religion und der Weltanschauungen keine
Wahrheitserkenntnisse geben soll, die Anspruch auf objektive
universale Gültigkeit erheben. Nur die Erkenntnis, daß keine
Religion und keine Weltanschauung objektiv wahr ist, soll als die
Wahrheitserkenntnis von allen affirmiert werden. Die Aporie
diesesStandpunktes
ist unübersehbar: Wie kann erkannt werden, daß alles religiöse
und weltanschauliche Wissen kein Wissen ist?4
Die philosophische Aufklärung nach dem großen innerchristlichen
Religionskrieg wollte gerade in Deutschland, das am meisten unter
diesem Krieg gelitten hatte, den Wahrheits-und Geltungsanspruch der
differenten christlichen Kirchen so reduzieren, daß die
Glaubensdifferen-zen als irrelevant zu stehen kamen. Nur, um es
kantisch zu formulieren, die Vernunftreligion ist wahr und jede über
das Vernünftige hinausgehende Glaubenswahrheit ist nur eine
subjektiv willkürliche Dekoration dieses in jeder Religion lebenden
Vernunftkernes. Die aufklärerische Erkenntniskritik gerade auch in
der erfolgreichen Version Kants dient so primär dem Anliegen, den
Wahrheitsan-spruch jedes kirchlichen Christentumes zu
dysqualifizieren, um die Religion auf wenige Basis-wahrheiten zu
reduzieren. Die Erfahrung des 2. Weltkrieges als Weltanschauungskrieg
und der Erfahrung des Kalten Krieges als beinahe Selbstvernichtung
der Menschheit im Atomkrieg ließ erst den postmodernen Liberalismus
zu der zeitgenössischen Haltung avancieren. Der Postmoderniusmus
reüssiert, indem er auf die friedensgefährdenden Auswirkungen von
weltanschaulichen und religiösen Wahrheits- und Geltungsansprüchen
rekurriert, um ein Leben ohne Wahrheit als Leben im Frieden zu
proklamieren.
Weil
das Idealpaar der Wahrheit und des Friedens als kontradiktorisches
Gegensatzpaar gedeutet wird, gilt nun, daß es im Raume der Religion
wie in dem der Weltanschauung keine Wahrheit mehr geben darf sondern
nur noch individuell subjektiv willkürliche Präferenzen ohne einen
Anspruch auf eine überindividuelle Bedeutung. Einfach gesagt: „Ich
glaub das so, aber ich billige es jedem zu, es auch
ganz anders zu glauben!“ Oder um es an der postmodernistischen
Umformung des Luthervotums: „Hier stehe ich und kann nicht anders!“
es zu verdeutlichen: „Hier stehe ich und könnte auch anders und
ich toleriere es, wenn jeder anders votiert als ich!“ Genau dieser
Standpunkt ist
die spezifische Lauheit des Glaubens unter dem Vorzeichen der
Postmoderne. Der Glaube ist nicht
heiß, weil er nicht an die allgemeingültige Verbindlichkeit der
Glaubenswahrheit glaubt und er ist nicht kalt, weil er den Glauben
nicht als Unwahrheit verwirft und der Glaube wird dem Gläubigen auch
selbst zu einer lau unverbindlichen Haltung, weil er ihn nur als
individuell frei präferierte Vorliebe
ansieht. Und gerade darum kann dieser Glaube auch es gut heißen,
wenn jeder andere anders wählt und glaubt.
Um
des „Seid nett zueinander“ wird so jede Wahrheitsverbindlichkeit
im Religiösen wie im Weltanschaulichen als erkenntnistheoretisch
nicht legitime Aussage perhorrresziert. Das ist der Kern des
postmodernistischen Liberalismuses, der sich darin auch signifikant
vom innerkirchlich umkämpften Modernismus des 19. Jahrhundertes
unterscheidet in seiner Aufgabe des Strebens nach wahrer Erkenntnis
um des Friedens willen. So ist der Wille zur Vermeidung eines Krieges
aus Wahrheitsgründen der letzte Grund des zeitgenössischen
Agnostizismuses in der Ausgestaltung des Postmodernismuses.
Und
dieser Postmodernismus findet seinen adäquaten Ausdruck im
Religionsunterricht im Stuhlsitzkreis,
in dem jeder, gleich weit entfernt von der unerkennbaren Wahrheit
sitzt und seine Meinung einbringt in das Kreisgespräch, das immer
weiter kreisend keinen Erkenntnisgewinn kennt außer der Einsicht in
die Unsachgemäßheit jeder Meinungsäußerung, da jedes Meinen im
Raume der Religion und der Weltanschauung nur ein subjektiv bedingtes
Vorstellen ist. Und der Lehrer ist nicht mehr den Schülern
Entgegengesetzte, der sie zur Wahrheit führt sondern der
Kreismoderator, der für das unendliche Kreisen aller Meinungen sorgt
und der jeden Wahrheitsgeltungsanspruch als unerlaubten
Fundamentalismus exkommuniziert.
Solange
nicht die geschichtlich kontingente Leidenserfahrung, daß Wahrheit
auch gefährlich ist, weil eine
erkannte Wahrheit das Nein zum Irrtum und zur Lüge in sich
einschließt, mitberücksichtigt wird, wird es schwerlich gelingen
die Katholisch- Christliche Religion als die wahre Religion zu
bewahrheiten, weil gerade das zeitgenössische Ohr keine wahre
Religion mehr haben will um des Friedens
willen!
Aber
Frieden ist nicht der Hauptwert der Moderne, nein, das ist
unbestreitbar der Wert der Freiheit.Und es ist wohl das
Frappierendste, daß um der Freiheit willen auch der Wert der
Wahrheit als erstrebenswertes Ziel in Frage gestellt wird. „Freiheit
statt Wahrheit“ könnte so die subkutane Parole zeitgenössischen
Denkens heißen. Daß wäre dann der letzte selbst schon wieder
metaphysische Grund des Ablehnung aller Wahrheitsansprüche und somit
gerade auch der Christlichen Religion.
Stimmte
diese Vermutung, würde jede traditionelle Apologetik des
Christentumes, die die Wahrheit dieser
Religion andemonstriert zum Scheitern verurteilt sein, würde sie
nicht als ersten Schritt die Frage Nietzsches diskutieren: „Warum
überhaupt nach Wahrheit suchen?“ Jean Paul Sarte kann uns eine
Hilfe sein, dieses Problem zu erfassen. In seinem Essay: „Ist der
Existentialismus ein Humanismus?“ in seiner Auseinandersetzung mit
der kirkegaardschen Interpretation des Opfers Abrahams konstatiert
er: „Ein Engel hat Abraham befohlen, seinen Sohn zu opfern. Alles
ist in Ordnung,
wenn es wirklich ein Engel ist, der gekommen ist und der gesagt hat:
Du bist Abraham, du wirst
deinen Sohn opfern.“5
Und kurz darauf: „Wenn eine Stimme sich an mich richtet, so bin ich
es immer,
der entscheidet, daß diese Stimme die des Engels ist.“ Damit ist
gemeint: wüßte Abraham, daß Gott durch den Engel zu ihm spräche,
opfere, dann müßte er der Stimme gehorchen, die Erkenntnis, daß da
Gott spricht, hebt die Freiheit auf, sich für oder gegen den
Gehorsam entscheiden zu können.
Abstrakter
formuliert: Ist das Wahre und Gute erkannt, kann der Erkennende sich
nicht mehr gegen das als wahr Erkannte entscheiden. Der freie Will
folgt der Erkenntnis des Wahren. Wenn also eine Freiheit wieder
gewonnen werden soll, muß die Gewißheit des Erkennens in Frage
gestellt werden. Ist
es ungewiß für Abraham, ob da ein Engel Gottes oder ein Daimon zu
ihm spricht, hat er die Freiheit, sich zu entscheiden, ob er glauben
will, daß da ein Engel spricht, so daß er der Stimme gehorcht oder
daß er urteilt, hier spräche nicht Gott, so daß er nicht zu
gehorchen brauche. Unter der Prämisse, daß, wenn das Gute, das
Gottgewollte erkannt ist, so dann der Mensch auch nur noch gehorchen
kann, kann es nur eine Wahlfreiheit geben, wenn das Gute und Wahre
nicht eindeutig erkannt werden kann und jede behauptete Erkenntnis
des Wahren, da spräche Gott und fordere, als freie Entscheidung des
Menschen aufgelöst wird: Er habe sich frei dazu entschieden, zu
glauben, daß da Gott spräche. Hier leuchtet auf einmal die tiefste
Furcht des Liberalen vor der Erkenntnis des Wahren auf, es ist die
Furcht vor dem Freiheitsverlust. Es ist die Einsicht, daß, wäre die
Wahrheit erkennbar, dann so und nicht mehr anders gehandelt werden
müßte. Pontius Pilatus könnte, hätte er im
Menschen Jesus von Nazareth den Gottessohn erkannt, nicht mehr frei
entscheiden, ob er ihn dem Volke ausliefert, um die Volksgunst zu
gewinnen oder ob er seinem Gerechtigkeitsempfinden folgt,und den
offensichtlich Unschuldigen frei läßt. Die eindeutige Erkenntnis
der Wahrheit raubt dem Liberalen seine Freiheit, in Distanz zu allen
stehend nur aus sich heraus dies oder das zu präferieren.
Gäbe
es eine eindeutig von jedem Menschen als wahr erkennbare Religion,
wie könnte dann noch positiv eine Glaubens- und Religionsfreiheit
gefordert werden als Grundrecht des Menschen. Sollte es ein
Grundrecht auf den Irrtum geben, auf das Recht, bewußt wissend
willig die Unwahrheit für sich zu wählen in Gestalt einer eindeutig
als falsch erkannten Religion? Die liberale Freiheit erheischt
notwendig die Unerkennbarkeit der Wahrheit als Prämisse dafür, daß
jeder frei für sich erwählen kann, was ihm als seine Privatwahrheit
gelten soll. Und ist die Wahrheit reduziert als das von mir nur für
mich Geltende, dann ergibt sich daraus, daß unendliche viele
Privatwahrheiten friedlich- lieblich nebeneinander her existieren
können, weil kein liberal Denkender verlangen kann, daß seine
Privatwahrheit
von dem Anderen anerkannt werden muß. Wenn Abbe Roussel definiert:
„Der Liberale ist ein Unabhängigkeitsfanatiker; er rühmt die
Unabhängigkeit bis zum Absurden“6
dann trifft er damit den
Kern dieses Freiheitsverständnisses. Unabhängig ist der Mensch nur,
wenn er nicht abhängig ist von etwas. Wenn es etwas Eindeutiges
gäbe, wie etwa die Stimme Gottes, die ihm sagt, was wahr und was
falsch ist, wie könnte der Hörende da noch sich als unabhängig von
der Stimme der Wahrheit behaupten, dem es freistünde, zu wählen,
was er zu tun habe. Nur wenn die Stimme nichts Eindeutiges wäre,
wenn sie ihre Eindeutigkeit ausschließlich durch meine Entscheidung
gewönne,das als Ruf Gottes zu werten, dann wäre der Mensch im
liberalen Sinne frei.
Die
These, daß das Katholische Christentum nicht im Raume der Vernunft
als die wahre Religion erkennbar sei, ja, daß nicht einmal die
Wahrheit der Aussage, daß Gott existiert, als wahre der Vernunft
einsichtig ist, ermöglicht es erst, Glaubens- und Religionsfreiheit
als Grundrecht des Menschen einzuklagen. Denn unter der Prämisse der
Nichterkennbarkeit heißt jetzt das Recht der Religionsfreiheit, daß
jeder jede beliebige Stimme als Gottes Stimme für sich erwählen und
glauben darf. Glauben heißt dann, etwas zum für den Wählenden
absoluten Wert zu küren. Und dieses Verständnis des Erwählens
schließt jedes kognitive Moment aus: nicht wird etwas als Gott
erwählt, weil es
als Gott erkannt wurde, sondern es gilt, weil es durch einen rein
voluntativen Akt zum Gott erwählt wurde, wird es danach als Gott
erkannt. Der reine Willkürvoluntarismus schließt so ein Prä des
Erkennens und den Willen als einem dem Erkenntnisalt folgendem danach
aus. Gerade deshalb wird hier die klassische scholastische
Metaphysik verlassen und folgt man dem spätmittelalterlichem
Nominalismus mit seinem Primat des Willens.
Aber
die These der Unerkennbarkeit Gottes enthält nun doch eine
folgenschwere Aporie. Erinnern wir uns an Platons tiefsinnige
Einsicht über die drei Grundaxiome jeder Religion!7
Daß Gott ist, daß Gott
sich nicht indifferent zu den Menschen verhält und daß Gottes Gunst
nicht leicht zu gewinnen sei. Wird eines dieser drei Axiome
bestritten, wird dadurch automatisch die davon betroffene Religion
zum
Tode verurteilt. Daß die Religion den Tod Gottes nicht überlebt,
ist in sich evident. Existiert Gott, gälte
aber, daß es Gott gleichgültig ist, wie der Mensch lebt, kann es
keine gelebte Religion geben.Nur ein Gott, von dem ausgesagt wird,
daß er sich different zum differenten Verhalten der Menschenverhält,
ist ein Gott, der es erlaubt, das Religiöse als von Gott Gewolltes
vom Nichtreligiösen als dem Nichtgewollten sinnvoll zu
unterscheiden. Unter dem Religiösen bzw. Nichtreligiösen sei hier
einfach nur verstanden, daß der Mensch Gott verehrt oder nicht
verehrt. Ist Gott die Religion aber selbst gleichgültig, ob und wie
sie gelebt wird, verliert die Religion ihren theologischen Sinn. Wenn
Gott sich nicht indifferent zum Verhalten des Menschen verhält, dann
muß der Mensch wissen, was das Gott Gemäße und das Gott
Nichtgemäße ist, um überhaupt religiös sinnvoll leben zu können.
Hätte
der Agnostizismus Recht und müßte davon ausgegangen werden, daß,
wenn es einen Gott gäbe, daß dem Gott dann das menschliche
Verhalten nicht gleichgültig wäre, dann wäre die Lage des Menschen
hoffnungslos: er müßte religiös sein, könnte es aber nicht, weil
er nicht erkennen könnte, was die wahre Religion sei. Aber das wäre
dem liberalen Denken eine zu tragische Bestimmung der Situation
des Menschen. Der selbst Agnostiker, der sagt, man könne nichts
Bestimmtes von Gott aussagen, weiß ganz genau, daß es Gott
gleichgültig ist, ob und wie der Mensch von Gott denkt und ob
er versucht, gemäß Gott zu leben oder nicht.
Frägt
der Lehrer: Und für wen haltet ihr den Jesus? dann ist die Prämisse
dieser Frage nicht einfach das Vorurteil, daß letztlich nichts
Verbindliches über ihn gewußt werden kann, ob er Gottessohn oder
nur ein jüdischer Reformprediger gewesen sei, sondern es wird auch
präsumiert, daß es diesem Jesus gleichgültig ist, für wen die
Menschen ihn halten und daß es auch keine Folgen für sie hat, ob
sie ihn für den Messias oder für einen Rabbi halten. Und so weiß
der Agnostizismus einerseits nichts von Gott, weil ihm alle
Erkenntnis Gottes eine Verabsolutierung willkürlicher menschlicher
Meinungen über Gott ist und andererseits weiß er fast schon
fundamentalistisch anmutend, daß Gott ein Gott der Gleichgültigkeit
ist. Und das kann entweder sagen, daß Gott als das Göttliche
betrachtet entpersona-lisiert sich in keiner Weise als kontingent
handelnd zu den Menschen vorgestellt wird oder aber daß gemeint
wird, daß er von Natur aus rein natürlich der nur Liebende ist, so
daß der Mensch leben kann wie er will, denn nun gilt: Weil Gott
immer nur lieben kann, ist dem Menschen alles erlaubt, denn
Gott kann nicht aufhören zu lieben, egal wie der Mensch lebt. Das
Letztere ist die radicalste Fassung
des Gleichgültigkeitsgottes in der dem Menschen liebsten
Ausgestaltung. Daran wird deutlich, daß ein Gott, dessen Gunst der
Mensch gar nicht verlieren kann, auch automatisch den Tod der
Religion hervorruft. Die Aporie ist das völlig ungeklärte Zugleich
von Nichtswissenkönnen von Gott und der These, daß man darauf
vertrauen dürfe, daß Gott ein Gleichgültigkeitsgott ist, dem es
egal ist, ob und wie er verehrt wird. Das Nichtwissenkönnen soll
jeden religiösen Wahrheitsgeltungsanspruch dysqualifizieren und die
These des indifferenten Gottes soll die Gleichgültigkeit
aller Religionen und selbst des Atheismuses begründen. Nur, daß
beide Thesen sich wechselseitig destruieren, aber auf keine von ihnen
der Liberale verzichtet werden kann, um der liberalen Freiheit
willen. So aporetisch so dieser Ansatz in sich selbst ist, so
plausibel ist er dem Zeitgenossen,
der um des Friedens und der Freiheit willen keine Erkenntnis des
Wahren will und der zugleich die Gleichgültigkeit des Wahren als
gewisse Erkenntnis will, daß es gewiß sei, daß Gott es
gleichgültig sei, ob und wie er verehrt wird, damit er unbeschwert
sich in Distanz zu jeder Religion verhalten kann. Aber das so
Plausibele ist das Absurde dieser lauen liberalen Existenz.
Jetzt
wird auch einsichtig, daß in allen lebenspraktisch relevanten
Bereichen auch die enthusiastischten Erkenntniskritiker genau wissen,
was wahr und was falsch ist und es auch genau wissen wollen und daß
nur in dem Reiche der letzten Fragen im metaphysischen Sinne sie
Liebhaber des Skeptizismuses und Agnostizismuses sein wollen, um hier
jeder verbindlichen Entscheidung aus dem Wege gehen zu können. Jesus
steht vor Pontius Pilatus und ist froh, daß er nicht erkennen kann,
ob
dieser Mensch die Wahrheit ist oder ob er es nicht ist, weil er so
frei nach seinen Interessen mit Jesus umgehen kann, wie er es will.
Der Liberale will darin ein wahrer Pilatusnachfolger sein.
Aber
was macht der Liberale mit dieser so gewonnenen Freiheit? Pilatus
macht sich zum Diener der Volksstimmung; ihm gilt: Vox populi vox
Dei. Und das ist auch das Ende liberaler Kirchentheologie: Der
Philosoph P. Sloterdijk hat es prägnant auf den Begriff gebracht,
indem er konstatiert, daß die (post)moderne Theologie nach den
Gesetzen des Marktes produziert wird: gedacht und gelehrt wird, was
beim Konsumenten ankommt und die Wahrheit einer theologischen Aussage
ist seine Verkaufbarkeit auf dem freien Meinungsmarkt.8
Wahr ist, was gefällt, was ankommt. Damit das zur kirchlichen
Praxis werden kann, muß die Vorstellung eines sachgemäßen Bezuges
jeder theologischenAussage
aufgegeben werden und geglaubt werden, daß Gott jede Gottesaussage
gleichgültig ist, so daß nun nur noch das Konsuminteresse zählt.
Diese Ausrichtung auf den Markt läßt dann die so lieb gewordene
liberale Freiheit wieder untergehen im Meer der Zwänge der
Marktgesetze. Fast jedes „Bildungsprogramm“ Katholischer
Exerzitienhäuser zeigt den Triumph dieser liberalen Marktfreiheit.Da
wird alles angeboten, was gefällt, ganz unfreiwillig dem Marktgesetz
der Konsumnachfrage folgend. Und diese Marktausrichtung der Theologie
verlangt Theologen, die selbst ein laues Verhältnis zu ihrem eigenen
Denken einnehmen: ich denke das so, könnte es aber auch ganz anders
denken
und respektiere es so, daß jeder in theologischen Fragen so denkt,
wie es ihm beliebt.
1
Arnim Mohler: Gegen die Liberalen, in: Liberalenbeschimpfung 1990
S.132.
2
Heinrich R.Robben: Der Mensch steht im Zentrum KU 2/2007 S.15f.
3
Vgl: die im Gewande postmodernen Denkens vorgetragene Kritik der
Möglichkeit realistischer sachgemäßer Erkenntnis: J.F. Lyotard:
Das postmoderne Wissen 1986
und: J.F.Lyotard. Der Widerstreit 1987.
4
Vgl zum Selbwiderspruch eines erkenntnistheoretischen
Skeptizismuses: E.Hirsch
Deutschlands Schicksal 1925 die Kritik
Nietzsches S.9-14.
5
J.P. Sartre: Ist der Existentialismus ein Humanismus? in: Drei
Essays 1981 S.16.
6
Zitiert nach: Heinrich R.Robben: Der Mensch steht im Zentrum KU
2/2007 S.16.
7
Platon, Nomoi 885 b Als Auslegung lesenswert: P.Sloterdijk, Sphären
II, Der ontologische Kugelbeweis 1999 S.355- 428.
8
Vgl: P.Sloterdijk, H.J.Heinrichs: Die Sonne und der Tod 2001 S.33f.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen