Ich und
die Welt
was man mal Entfremdung nannte und als politische Aufgabe verstand
„Daß ich mittellos und
arm war, schien mir noch das am leichtesten zu ertragende zu sein,
aber schwerer war es, daß ich nun einmal zu den Namenlosen zählte,
einer von Millionen war, die der Zufall leben läßt, oder aus dem
Dasein wieder (besser hieße es:wider)-ruft, ohne daß auch nur die
nächste Umwelt davon Kenntnis zu nehmen geruht.“ So schrieb ein
Niemand, der später zu etwas wurde. Nicht soll dieser Aspekt des
späteren Reüssierens dieser Person nun in den Vordergrund gestellt
werden, sondern gefragt werden, ob nicht diese Selbstauskunft, diese
so nüchterne und doch so realistische die vieler Zeitgenossen ist.
Nicht, daß viele sich als mittellos und arm bezeichnen würden, aber
doch als Namenlose, die zufällig leben und zufällig sterben werden.
Ganz anders beurteilt ein
zum Starphilosophen Avancierender seine Situation: „Man frage mich
nicht, wer ich bin,und man sage mir nicht, ich solle der gleiche
bleiben: das ist eine Moral des Personenstandes; sie beherrscht
unsere Papiere. Sie soll uns frei lassen, wenn es sich darum
handelt,zu schreiben.“ Die Welt, seine Umwelt definiert ihn, um ihm
zu sagen, daß er diese Identität
zu bewahren habe. So ist
dieser Etwas geworden und das ist seine Unfreiheit, der er entfliehen
will.
Wir wollen nun nicht
fragen und erforschen, wer da in diesen beiden Zitaten zu uns
spricht. Sehen wir auf den uns ansprechenden Menschen, der hier ein
Namenloser oder ein zu einem Etwas Fixierter sein kann. Er könnte
sich auch ganz anders verstehen.
Wenden wir uns einem
weiteren zu, von dem zu lesen ist: „Er hatte keine Lust, Hammer
oder Amboß zu sein; er wollte ein lebendiger Mensch bleiben, der
vernünftig nachdenkt, die Vergnügungen und natürlichen
Bequemlichkeiten genießt, von seinen körperlichen und geistigen
Fähigkeiten schlecht und recht Gebrauch macht. Das phantastische,
eingebildete und falsche Privileg, daß der Mensch sich anmaßt, die
Wahrheit zu dozieren, vorzuschreiben und ein für allemal
aufzurichten, hat er im guten Glauben endgültig abgelehnt und
aufgegeben.“Nicht für andere Etwas oder ein Nichts, ein
Namenloser zu sein, sondern einfach für sich zu sein, das ist das
Lebenspro-gramm dieses skeptisch gewordenen Philosophen.
Und als Ergänzung soll
hier nun der Lebensentwurf eines der größten deutschen
Sprachvirtuosen zu Worte kommen: „Ich konnte nie mehr als drei
Wege, glücklicher (nicht glücklich) zu werden, auskundschaften. Der
erste, der in die Höhe geht, ist: so weit über das Gewölke des
Lebens hinauszudringen, daß man die ganze äußere Welt mit ihren
Wolfsgruben, Beinhäusern und Gewitterableitern von weitem unter
seinen Füßen nur wie ein eingeschrumpftes Kindergärtchen liegen
sieht.- der zweite ist: -gerade herabzufallen ins Gärtchen und da
sich so einheimisch in ein Furche einzunisten,daß, wenn man aus
seinem warmen Lerchennest heraussieht, man ebenfalls keine
Wolfsgruben, Beinhäuser und Stangen, sondern nur Ähren erblickt,
deren jede für den Nestvogel ein Baum und ein Sonnen- und ein
Regenschirm ist.-Der dritte endlich- den ich für den schwersten und
klügsten halte- ist der, mit den beiden andern zu wechseln. Hier
heißt glücklicher leben, der Wirklichkeit im Makrokosmischen oder
im Mikrokosmischen zu entgehen und im Wechsel dieser beiden
Perspektiven der Tristesse des Wirklichen auszuweichen.
Ganz auf sich kapriziert,
ganz auf sich zurückgeworfen steht der Mensch als problematischer
Heldeines Romanes als reines: Ich da und wartet auf seine
bildungsbürgerliche Integration in das bejahenswerte Normalleben.
Aus Steppenwolfexistenzen sollen, um es mit Kunze zu
sagenverhausschweinte Domestiken werden.1
Aber die Integration findet nicht statt; so unterschiedlich und
berühmt alle diese Zitierten wurden, sie blieben im Tiefsten
Außenseiter. Iche, die zuviel vom Leben erwarten, die sich nicht
damit begnügen, bedeutungsloses namenloses Leben zu führen,
Menschen, die der Fixierung auf eine Normalbiographie entweichen
wollen, die aber in der Ichkonzentration zu scheitern drohen in einer
Reduktion des Lebens nur auf sich oder im Ausweichen vor der
Lebenswirklichkeit, gerade aber weil sie in ihrer Dürftigkeit dem
abenteuerlichen Herzen nicht genügt.
Dieser radikale Gegensatz
von Mensch und der Welt, von Individuum und Gesellschaft ist nach
Lukacs die Voraussetzung der literarischen Gattung des Romanes: die
moderne Gesellschaft.2Wir
hätten es so gesehen bei all diesen Zitaten um mögliche
Ausgangspunkte eines modern-bürgerlichen Bildungsromanes zu tun,
dessen Lebenselexier diese Grundspannung ist. Geben wir Goldmann das
Wort, um diesen Gedanken zu erhellen: „Die von Lukacs analysierte
Romanform wird, wie wir es bereits gesagt haben, gleichzeitig durch
die Gemeinschaft und den radikalen Antagonismus zwischen dem Helden
und der Welt charakterisiert, wobei die Gemeinschaft auf der
gemeinsamen Degradierung beider in Hinblick auf die echten, das Werk
beherrschenden Werte, das Absolute, gründen, und der Antagonismus
auf die unterschiedliche und sogar entgegengesetzte Natur dieser
beiden Degradierunsprozesse.“3
Lukacs unterscheidet so die normativen Werte des Romanes, die im
Roman beschriebene Außenwelt des Protagonisten, die gemessen an den
Idealen konventionell und degradiert wirkt, die beschriebene
Außenwelt „kennt kein Vaterland, keine Heimat für die Seele.“4
Der Protagonist bleibt mit diesen Idealen im Kontrast zur Umwelt von
ihm in Beziehung, woraus sich dann die Romanhandlung generiert. Der
Roman konzipiert so mögliche Lösungen dieser Beziehungsstörung.
Und diese Beziehungsstörungen beleuchten die obigen Zitate auch in
unterschiedlichster Weise. Unbekannte mit Idealen geraten in
scheinbar unlösbare Widerstreite mit ihren Lebensumwelten: der Wille
zur Bedeutsamkeit und die allgemeine Nichtwahrnehmung, die Sehnsucht
nach Freiheit und das Fixiertwerden auf zugeschriebene Identität,
der Anspruch auf Allgemeingültigkeit und der Wunsch, nur persönlich
sein zu wollen, die Tristesse des Alltagslebens und die Flucht in
Refugien gelingenden Lebens jenseits der Realität.
Der aufmerksame Leser
wird bei der Aussage der Heimatlosigkeit der Seele, daß ihr kein
Vaterland ist, aufgemerkt haben. Lukacs drückt diese Gestimmtheit
der Entfremdung so aus: „Kants Sternenhimmel glänzt nicht mehr in
der dunklen Nacht der Erkenntnis und erhellt keinem einsamen
Wanderer- und in der Neuen Welt heißt Mensch-sein: einsam sein- mehr
die Pfade. Und das innere Licht gibt nur dem nächsten Schritt die
Evidenz der Sicherheit oder -ihren Schein. Von innen strahlt kein
Licht mehr in die Welt der Geschehnisse und in ihre seelenfremde
Verschlungenheit.“5
Heimatverlust. War dieser G.Lukacs nicht ein marxistisch
orientierter Intellektueller und steht Lucien Goldmann dem Marxismus
nicht auch sehr nahe, obgleich oder gerade weil er eine Melange aus
marxistischen und strukturalistischen Theoriekonzepten versucht. Sehr
lesenswert ist: L. Goldmanns: Soziologie des Romans 1964 und: Der
verborgene Gott. Studie über die tragische Weltanschauung Pensees
Pascals und im Theater Racines 1955, beides ins Deutsche übersetzt.
Aber man muß sich, wenn
man Deutschland verläßt und sich ausländischen Büchern zuwendet ,
auf Überraschungen gefaßt machen. Nicht überall gilt die
Gleichung: Links= antinational! Tatsächlich kann hier auf geistvolle
Weise die Moderne auch als Verlust von der Beheimatung des Ichs im
Gemeinschaftsleben diskutiert werden, der Roman als Typus der
literarisch-symbolischer Versuche einer Repatrierung des heimatlos
Gewordenen in die moderne Welt. Dieser literarisch- symbolischer
Versöhnungscharkter weist nun von selbst über sich hinaus zur
realen und das heißt politischen Versöhnung.
Die Diastase zwischen
Mensch und Welt, zwischen Individuum und Gesellschaft wird so nicht
betrachtet als eine metaphysische Naturkonstante sondern als etwas
geschichtlich kontingent gewordenes: es ereignete sich eine
Entfremdung. In rechten Diskurs spricht man dann lieber von der
Zersetzung der organischen Gemeinschaft in atomisierte
Privategozentrismen. Wir könnten auch von der Auflösung der
traditionellen Gemeinschaftsordnung hin zur modernen
Vetragsgesellschaft sprechen. Wichtig ist dabei, daß hier die
politische Rechte auch von der traditionellen Linken lernen kann,
nicht von der neuen Linken, von der sich mit guten Argumenten
Elsässer, einst Aktivist
des Kommunistischen Bundes in seinem auch für Rechte lesenswerten
Buch:
so energisch absetzt,
insofern die neue Linke durch ihr Konzept die Vervielfältigung
potentieller revolutionärer Subjekte, jede Randgruppe eine neue
Hoffnung auf Umgestaltung, faktisch nur die Modernisierung der
Gesellschaft forziert, indem sie alle traditionellen
Vergemeinschaftungs-strukturen auflöst (Ehe, Familie, Verein, das
Ideal des Lebensberufes, etc) und das rein abstrakte Individuum
übrigläßt, das sich immer neu inszenieren kann, wie es Elsässer
so treffend formuliert in seiner M. Foucault Kritik, einem der
Meisterdenker der neuen Linken: „damit auch noch das Individuum
selbst zerspalten wird und sich- je nach Marktlage- beständig selbst
„dekonstruiert“, gestern als Familienvater, heute also
Sado-Maso-Swinger, morgen als verheirateter Schwuler.“6
Zitat. Die traditionelle Linke setzt dagegen auf das Konzept, durch
eine Radikalisierung der Antagonismen einer kapitalistischen
Gesellschaft die Zerrissenheit selbst wieder aufzuheben und so neu
Gemeinschaft zu konstituieren. Beachtenswert ist dabei für die
Rechte die Einsicht, daß die Zerreißung der organischen
Gemeinschaft nicht einfach auf ein falsches ideologisches Denken
rückführbar sei und daß es nur eines neuen Gemeinschaftssinnes und
Gemeinschaftsgefühles bedürfe, um die inneren Zerreißungen der
Moderne zu beseitigen. Selbstverständlich darf hier nun nicht das
Kind mit dem Badewasser ausgeschüttet werden. Daß die Ideologie der
Menschenrechte,
und das betont Marx
selber (und eben nicht nur die kapitalistische Modernisierung) die
Auflösung der von F. Tönnies beschriebenen Gemeinschaft aus sich
heraussetzt, darf nicht übersehen werden:
„Die praktische
Nutzanwendung des Menschenrechtes der Freiheit ist das Menschenrecht
des Privateigentums.“ „Das Menschenrecht des Privateigentums ist
also das Recht, willkürlich, ohne
Beziehung auf andre
Menschen, unabhängig von der Gesellschaft, sein Vermögen zu
genießen und über dasselbe zu disponieren, das Recht des
Eigennutzes. Jene individuelle Freiheit, wie diese Nutzanwendung
derselben, bilden die Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft. Sie
läßt jeden Menschen im andern Menschen nicht die Verwirklichung,
sondern vielmehr die Schranke seiner Freiheit finden.“7
In diesem Zitat manifestiert sich en passant angemerkt auch ein
wisssenschaftstheoretisch hoch brisantes Problem: wie verhalten sich
hier Aussagesätze zur bestehenden kapitalistischen
Gesellschaftsordnung zu den moralischen Werturteilen, der
Verurteilung des Egoismus als Grundlage des Miteinanders, wobei der
Mitmensch nur noch als Schranke individueller Freiheit wahrgenommen
wird. Impliziert liegt dem ein bürgerlich humanistisches
Menschenbild zu Grunde, an dem gemessen die bürgerliche Gesellschaft
selbst als inhuman erwiesen wird.8
Die Auflösung aller sozialen Bande durch eine radikale
Merkantilisierung und Ökonomisierung aller Lebensbereiche bis hin
zur Auflösung von Familie, Heimat und Nation
ist so auch eine Folge
dieser kapitalistischen Modernisierung und nicht nur eine falschen
ideologischen Denkens. Deshalb wird auch die politische Rechte in
Erinnerung an Denktraditionen des dritten Weges zwischen Kapitalismus
und Kommunismus nach Möglichkeiten der Überwindung der ökonomisch
bedingten Auflösung des nationalen Gemeinwesens nachdenken müssen,
damit, um es romantheoretisch auszudrücken, die Seele, das
Individuum wieder eine Heimat finden kann. Anders formuliert: daß
der Mensch eben nicht ab ovo nichts, ein Namenloser ist, der erst
durch soziale Erfolge ein etwas wird, sondern daß er ob seiner
Geburt, seiner Abstammung und Herkunft schon etwas ist, ein Glied
seines Volkes, das an dem Reichtum und den
Erfolgen seiner
Gemeinschaft schon ab ovo partizipiert und dem der Andere nicht
primär der Konkurrent und die Grenze seiner Freiheit ist sondern ein
Kamerad.
Das, was in der Gattung
des Romanes, die Aussöhnung des Individuumes mit seiner
problematischen Umwelt nur symbolisch, wenn überhaupt gelingt, das
sollte so als eine politische Aufgabe verstanden werden: die einer
wirklichen Aufhebung des Antagonismus von Individuum und Gesellschaft
in und durch die Gemeinschaft Aber das Desillusionierende: die großen
Konzepte der Aufhebung der Entfremdung des Menschen durch eine neu
gestiftete, politisch gestaltete Gemeinschaft scheiterten alle,
sowohl das kommunistische Konzept der klassenlosen Gesellschaft wie
auch das der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft.
Bleibt also nur die
bürgerliche Ordnung übrig, in der der Nächste nur respektiert wird
als Mittel der Befriedigung von meinem Interessen? Wir könnten nun
meinen, daß gerade die Kirche nun der Ort sein könnte, wo das zur
Lebensrealität wird, was das bürgerlich-gesellschaftliche Leben
negiert: das Leben als Leben in Gemeinschaft. Aber gerade jeder Blick
in eine beliebige Ordensgeschichte der Katholischen Kirche führt zu
der ernüchternden Einsicht, daß gerade hier- nach kurzer
Anfangseuphorie, herbvorgerufen durch Reformer des Ordenslebens- das
Ideal gemeinschaftlichen Lebens doch verfehlt wurde: es ging und geht
gerade hinter den Mauern der Klöster oft erschreckend weltlich zu.
Ist also die Überwindung der Entfremdung eine Utopie, die uns erst
im Jenseits zur Lebenswirklichkeit wird?
1Vgl:
Kunze, K., Mut zur Freiheit- Ruf zur Ordnung, 1995 Der
verhausschweinte Konsument S. 125-130.
2Vgl:
Goldmann, L., Zu Georg Lukacs: Die Theorie des Romans, in: Goldmann,
Dialektische Untersuchungen
1966 S.296; G.Lukacs, Die Seele und die
Formen 1911, Die Theorie des Romans 1916.
3Goldmann
S.298.
4Goldmann,
S.299.
5Lukacs,
Theorie des Romans, 1965 S.30; Vgl Dannemann, R., Georg Lukacs zur
Einführung 1.Auflage 1997.
6Elsässer,J.,
Angriff der Heuschrecken. Zerstörung der Nationen und globaler
Krieg 2007 S.41f.
7Thonas,
R., Marxismus und Sowjetkommunismus Teil 1 Grundzüge des Marxismus
1975 S.41f (MEW 1, 364,369f)
8Vgl
dazu: Althusser, L. Für Marx 1965.
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