Montag, 26. Januar 2015

Überwindbarkeit der Entfremdung?

Ich und die Welt
was man mal Entfremdung nannte und als politische Aufgabe verstand


„Daß ich mittellos und arm war, schien mir noch das am leichtesten zu ertragende zu sein, aber schwerer war es, daß ich nun einmal zu den Namenlosen zählte, einer von Millionen war, die der Zufall leben läßt, oder aus dem Dasein wieder (besser hieße es:wider)-ruft, ohne daß auch nur die nächste Umwelt davon Kenntnis zu nehmen geruht.“ So schrieb ein Niemand, der später zu etwas wurde. Nicht soll dieser Aspekt des späteren Reüssierens dieser Person nun in den Vordergrund gestellt werden, sondern gefragt werden, ob nicht diese Selbstauskunft, diese so nüchterne und doch so realistische die vieler Zeitgenossen ist. Nicht, daß viele sich als mittellos und arm bezeichnen würden, aber doch als Namenlose, die zufällig leben und zufällig sterben werden.

Ganz anders beurteilt ein zum Starphilosophen Avancierender seine Situation: „Man frage mich nicht, wer ich bin,und man sage mir nicht, ich solle der gleiche bleiben: das ist eine Moral des Personenstandes; sie beherrscht unsere Papiere. Sie soll uns frei lassen, wenn es sich darum handelt,zu schreiben.“ Die Welt, seine Umwelt definiert ihn, um ihm zu sagen, daß er diese Identität
zu bewahren habe. So ist dieser Etwas geworden und das ist seine Unfreiheit, der er entfliehen will.

Wir wollen nun nicht fragen und erforschen, wer da in diesen beiden Zitaten zu uns spricht. Sehen wir auf den uns ansprechenden Menschen, der hier ein Namenloser oder ein zu einem Etwas Fixierter sein kann. Er könnte sich auch ganz anders verstehen.

Wenden wir uns einem weiteren zu, von dem zu lesen ist: „Er hatte keine Lust, Hammer oder Amboß zu sein; er wollte ein lebendiger Mensch bleiben, der vernünftig nachdenkt, die Vergnügungen und natürlichen Bequemlichkeiten genießt, von seinen körperlichen und geistigen Fähigkeiten schlecht und recht Gebrauch macht. Das phantastische, eingebildete und falsche Privileg, daß der Mensch sich anmaßt, die Wahrheit zu dozieren, vorzuschreiben und ein für allemal aufzurichten, hat er im guten Glauben endgültig abgelehnt und aufgegeben.“Nicht für andere Etwas oder ein Nichts, ein Namenloser zu sein, sondern einfach für sich zu sein, das ist das Lebenspro-gramm dieses skeptisch gewordenen Philosophen.

Und als Ergänzung soll hier nun der Lebensentwurf eines der größten deutschen Sprachvirtuosen zu Worte kommen: „Ich konnte nie mehr als drei Wege, glücklicher (nicht glücklich) zu werden, auskundschaften. Der erste, der in die Höhe geht, ist: so weit über das Gewölke des Lebens hinauszudringen, daß man die ganze äußere Welt mit ihren Wolfsgruben, Beinhäusern und Gewitterableitern von weitem unter seinen Füßen nur wie ein eingeschrumpftes Kindergärtchen liegen sieht.- der zweite ist: -gerade herabzufallen ins Gärtchen und da sich so einheimisch in ein Furche einzunisten,daß, wenn man aus seinem warmen Lerchennest heraussieht, man ebenfalls keine Wolfsgruben, Beinhäuser und Stangen, sondern nur Ähren erblickt, deren jede für den Nestvogel ein Baum und ein Sonnen- und ein Regenschirm ist.-Der dritte endlich- den ich für den schwersten und klügsten halte- ist der, mit den beiden andern zu wechseln. Hier heißt glücklicher leben, der Wirklichkeit im Makrokosmischen oder im Mikrokosmischen zu entgehen und im Wechsel dieser beiden Perspektiven der Tristesse des Wirklichen auszuweichen.

Ganz auf sich kapriziert, ganz auf sich zurückgeworfen steht der Mensch als problematischer Heldeines Romanes als reines: Ich da und wartet auf seine bildungsbürgerliche Integration in das bejahenswerte Normalleben. Aus Steppenwolfexistenzen sollen, um es mit Kunze zu sagenverhausschweinte Domestiken werden.1 Aber die Integration findet nicht statt; so unterschiedlich und berühmt alle diese Zitierten wurden, sie blieben im Tiefsten Außenseiter. Iche, die zuviel vom Leben erwarten, die sich nicht damit begnügen, bedeutungsloses namenloses Leben zu führen, Menschen, die der Fixierung auf eine Normalbiographie entweichen wollen, die aber in der Ichkonzentration zu scheitern drohen in einer Reduktion des Lebens nur auf sich oder im Ausweichen vor der Lebenswirklichkeit, gerade aber weil sie in ihrer Dürftigkeit dem abenteuerlichen Herzen nicht genügt.

Dieser radikale Gegensatz von Mensch und der Welt, von Individuum und Gesellschaft ist nach Lukacs die Voraussetzung der literarischen Gattung des Romanes: die moderne Gesellschaft.2Wir hätten es so gesehen bei all diesen Zitaten um mögliche Ausgangspunkte eines modern-bürgerlichen Bildungsromanes zu tun, dessen Lebenselexier diese Grundspannung ist. Geben wir Goldmann das Wort, um diesen Gedanken zu erhellen: „Die von Lukacs analysierte Romanform wird, wie wir es bereits gesagt haben, gleichzeitig durch die Gemeinschaft und den radikalen Antagonismus zwischen dem Helden und der Welt charakterisiert, wobei die Gemeinschaft auf der gemeinsamen Degradierung beider in Hinblick auf die echten, das Werk beherrschenden Werte, das Absolute, gründen, und der Antagonismus auf die unterschiedliche und sogar entgegengesetzte Natur dieser beiden Degradierunsprozesse.“3 Lukacs unterscheidet so die normativen Werte des Romanes, die im Roman beschriebene Außenwelt des Protagonisten, die gemessen an den Idealen konventionell und degradiert wirkt, die beschriebene Außenwelt „kennt kein Vaterland, keine Heimat für die Seele.“4 Der Protagonist bleibt mit diesen Idealen im Kontrast zur Umwelt von ihm in Beziehung, woraus sich dann die Romanhandlung generiert. Der Roman konzipiert so mögliche Lösungen dieser Beziehungsstörung. Und diese Beziehungsstörungen beleuchten die obigen Zitate auch in unterschiedlichster Weise. Unbekannte mit Idealen geraten in scheinbar unlösbare Widerstreite mit ihren Lebensumwelten: der Wille zur Bedeutsamkeit und die allgemeine Nichtwahrnehmung, die Sehnsucht nach Freiheit und das Fixiertwerden auf zugeschriebene Identität, der Anspruch auf Allgemeingültigkeit und der Wunsch, nur persönlich sein zu wollen, die Tristesse des Alltagslebens und die Flucht in Refugien gelingenden Lebens jenseits der Realität.

Der aufmerksame Leser wird bei der Aussage der Heimatlosigkeit der Seele, daß ihr kein Vaterland ist, aufgemerkt haben. Lukacs drückt diese Gestimmtheit der Entfremdung so aus: „Kants Sternenhimmel glänzt nicht mehr in der dunklen Nacht der Erkenntnis und erhellt keinem einsamen Wanderer- und in der Neuen Welt heißt Mensch-sein: einsam sein- mehr die Pfade. Und das innere Licht gibt nur dem nächsten Schritt die Evidenz der Sicherheit oder -ihren Schein. Von innen strahlt kein Licht mehr in die Welt der Geschehnisse und in ihre seelenfremde Verschlungenheit.“5 Heimatverlust. War dieser G.Lukacs nicht ein marxistisch orientierter Intellektueller und steht Lucien Goldmann dem Marxismus nicht auch sehr nahe, obgleich oder gerade weil er eine Melange aus marxistischen und strukturalistischen Theoriekonzepten versucht. Sehr lesenswert ist: L. Goldmanns: Soziologie des Romans 1964 und: Der verborgene Gott. Studie über die tragische Weltanschauung Pensees Pascals und im Theater Racines 1955, beides ins Deutsche übersetzt.

Aber man muß sich, wenn man Deutschland verläßt und sich ausländischen Büchern zuwendet , auf Überraschungen gefaßt machen. Nicht überall gilt die Gleichung: Links= antinational! Tatsächlich kann hier auf geistvolle Weise die Moderne auch als Verlust von der Beheimatung des Ichs im Gemeinschaftsleben diskutiert werden, der Roman als Typus der literarisch-symbolischer Versuche einer Repatrierung des heimatlos Gewordenen in die moderne Welt. Dieser literarisch- symbolischer Versöhnungscharkter weist nun von selbst über sich hinaus zur realen und das heißt politischen Versöhnung.

Die Diastase zwischen Mensch und Welt, zwischen Individuum und Gesellschaft wird so nicht betrachtet als eine metaphysische Naturkonstante sondern als etwas geschichtlich kontingent gewordenes: es ereignete sich eine Entfremdung. In rechten Diskurs spricht man dann lieber von der Zersetzung der organischen Gemeinschaft in atomisierte Privategozentrismen. Wir könnten auch von der Auflösung der traditionellen Gemeinschaftsordnung hin zur modernen Vetragsgesellschaft sprechen. Wichtig ist dabei, daß hier die politische Rechte auch von der traditionellen Linken lernen kann, nicht von der neuen Linken, von der sich mit guten Argumenten
Elsässer, einst Aktivist des Kommunistischen Bundes in seinem auch für Rechte lesenswerten Buch:
so energisch absetzt, insofern die neue Linke durch ihr Konzept die Vervielfältigung potentieller revolutionärer Subjekte, jede Randgruppe eine neue Hoffnung auf Umgestaltung, faktisch nur die Modernisierung der Gesellschaft forziert, indem sie alle traditionellen Vergemeinschaftungs-strukturen auflöst (Ehe, Familie, Verein, das Ideal des Lebensberufes, etc) und das rein abstrakte Individuum übrigläßt, das sich immer neu inszenieren kann, wie es Elsässer so treffend formuliert in seiner M. Foucault Kritik, einem der Meisterdenker der neuen Linken: „damit auch noch das Individuum selbst zerspalten wird und sich- je nach Marktlage- beständig selbst „dekonstruiert“, gestern als Familienvater, heute also Sado-Maso-Swinger, morgen als verheirateter Schwuler.“6 Zitat. Die traditionelle Linke setzt dagegen auf das Konzept, durch eine Radikalisierung der Antagonismen einer kapitalistischen Gesellschaft die Zerrissenheit selbst wieder aufzuheben und so neu Gemeinschaft zu konstituieren. Beachtenswert ist dabei für die Rechte die Einsicht, daß die Zerreißung der organischen Gemeinschaft nicht einfach auf ein falsches ideologisches Denken rückführbar sei und daß es nur eines neuen Gemeinschaftssinnes und Gemeinschaftsgefühles bedürfe, um die inneren Zerreißungen der Moderne zu beseitigen. Selbstverständlich darf hier nun nicht das Kind mit dem Badewasser ausgeschüttet werden. Daß die Ideologie der Menschenrechte,
und das betont Marx selber (und eben nicht nur die kapitalistische Modernisierung) die Auflösung der von F. Tönnies beschriebenen Gemeinschaft aus sich heraussetzt, darf nicht übersehen werden:
„Die praktische Nutzanwendung des Menschenrechtes der Freiheit ist das Menschenrecht des Privateigentums.“ „Das Menschenrecht des Privateigentums ist also das Recht, willkürlich, ohne
Beziehung auf andre Menschen, unabhängig von der Gesellschaft, sein Vermögen zu genießen und über dasselbe zu disponieren, das Recht des Eigennutzes. Jene individuelle Freiheit, wie diese Nutzanwendung derselben, bilden die Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft. Sie läßt jeden Menschen im andern Menschen nicht die Verwirklichung, sondern vielmehr die Schranke seiner Freiheit finden.“7 In diesem Zitat manifestiert sich en passant angemerkt auch ein wisssenschaftstheoretisch hoch brisantes Problem: wie verhalten sich hier Aussagesätze zur bestehenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu den moralischen Werturteilen, der Verurteilung des Egoismus als Grundlage des Miteinanders, wobei der Mitmensch nur noch als Schranke individueller Freiheit wahrgenommen wird. Impliziert liegt dem ein bürgerlich humanistisches Menschenbild zu Grunde, an dem gemessen die bürgerliche Gesellschaft selbst als inhuman erwiesen wird.8 Die Auflösung aller sozialen Bande durch eine radikale Merkantilisierung und Ökonomisierung aller Lebensbereiche bis hin zur Auflösung von Familie, Heimat und Nation
ist so auch eine Folge dieser kapitalistischen Modernisierung und nicht nur eine falschen ideologischen Denkens. Deshalb wird auch die politische Rechte in Erinnerung an Denktraditionen des dritten Weges zwischen Kapitalismus und Kommunismus nach Möglichkeiten der Überwindung der ökonomisch bedingten Auflösung des nationalen Gemeinwesens nachdenken müssen, damit, um es romantheoretisch auszudrücken, die Seele, das Individuum wieder eine Heimat finden kann. Anders formuliert: daß der Mensch eben nicht ab ovo nichts, ein Namenloser ist, der erst durch soziale Erfolge ein etwas wird, sondern daß er ob seiner Geburt, seiner Abstammung und Herkunft schon etwas ist, ein Glied seines Volkes, das an dem Reichtum und den
Erfolgen seiner Gemeinschaft schon ab ovo partizipiert und dem der Andere nicht primär der Konkurrent und die Grenze seiner Freiheit ist sondern ein Kamerad.
Das, was in der Gattung des Romanes, die Aussöhnung des Individuumes mit seiner problematischen Umwelt nur symbolisch, wenn überhaupt gelingt, das sollte so als eine politische Aufgabe verstanden werden: die einer wirklichen Aufhebung des Antagonismus von Individuum und Gesellschaft in und durch die Gemeinschaft Aber das Desillusionierende: die großen Konzepte der Aufhebung der Entfremdung des Menschen durch eine neu gestiftete, politisch gestaltete Gemeinschaft scheiterten alle, sowohl das kommunistische Konzept der klassenlosen Gesellschaft wie auch das der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft.
Bleibt also nur die bürgerliche Ordnung übrig, in der der Nächste nur respektiert wird als Mittel der Befriedigung von meinem Interessen? Wir könnten nun meinen, daß gerade die Kirche nun der Ort sein könnte, wo das zur Lebensrealität wird, was das bürgerlich-gesellschaftliche Leben negiert: das Leben als Leben in Gemeinschaft. Aber gerade jeder Blick in eine beliebige Ordensgeschichte der Katholischen Kirche führt zu der ernüchternden Einsicht, daß gerade hier- nach kurzer Anfangseuphorie, herbvorgerufen durch Reformer des Ordenslebens- das Ideal gemeinschaftlichen Lebens doch verfehlt wurde: es ging und geht gerade hinter den Mauern der Klöster oft erschreckend weltlich zu. Ist also die Überwindung der Entfremdung eine Utopie, die uns erst im Jenseits zur Lebenswirklichkeit wird?
1Vgl: Kunze, K., Mut zur Freiheit- Ruf zur Ordnung, 1995 Der verhausschweinte Konsument S. 125-130.
2Vgl: Goldmann, L., Zu Georg Lukacs: Die Theorie des Romans, in: Goldmann, Dialektische Untersuchungen
1966 S.296; G.Lukacs, Die Seele und die Formen 1911, Die Theorie des Romans 1916.
3Goldmann S.298.
4Goldmann, S.299.
5Lukacs, Theorie des Romans, 1965 S.30; Vgl Dannemann, R., Georg Lukacs zur Einführung 1.Auflage 1997.
6Elsässer,J., Angriff der Heuschrecken. Zerstörung der Nationen und globaler Krieg 2007 S.41f.
7Thonas, R., Marxismus und Sowjetkommunismus Teil 1 Grundzüge des Marxismus 1975 S.41f (MEW 1, 364,369f)

8Vgl dazu: Althusser, L. Für Marx 1965.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen