Es gibt biblische Texte, die uns schon zu bekannt sind, als daß sie uns noch etwas sagen könnten. Dazu gehört auch der "Klassiker" der Versuchungsgeschichte Jesu. Hier hilft nur eine Methode, um den Text wieder für uns zu verlebendigen aus seinem Tod durch die uns schon zum Überdruß bekannten Auslegungen und Aktualisierungen zu befreien und so erst uns zu einem lebendigen Gegenüber werden zu lassen. Fragen sind an den Text zu stellen.
Der Teufel stellt Jesus Christus alle Reiche der Welt vor Augen und verheißt ihm: "Das alles will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest." (Mt 4.9)
Die 1.Frage: Warum respondiert Jesus nicht auf diese teuflische Versuchung mit: "Gott ist der Herr der Welt, sodaß ihm allein alle Reiche dieser Erde als Besitz sind. Du, Satan, kannst sie mir so gar nicht übergeben. Du verheißt etwas, was Du nicht realisieren kannst!" Also wäre diese Versuchung gar keine, denn die Versuchung verheißt etwas Nichtrealisierbares. Als Sohn Gottes hätte Jesus diese Täuschung sofort erkennen müssen und so wäre diese Versuchung für ihn gar keine.
Da Jesus so aber nicht respondiert, muß gefolgert werden, daß Jesus dem Satan zutraute, daß er ihm wirklich alle Reiche dieser Welt zu Füßen legen kann. Wie kann das der Satan? Wie mächtig ist er realiter?
Zwei Antwortmöglichkeiten sehe ich.
A) Gott herrscht im Himmel und der Satan auf Erden. Gott will nun die von ihm abgefallene Welt für sich zurückerobern und der Herrschaft des Teufels entreißen. Das wäre dann die Aufgabe des Gottessohnes, der um dieser Berufung willen Mensch wurde. Der Teufel will nun, daß sich der Gottessohn ihm unterwirft,sodaß der Teufel so weiter Herr der Erde bleibt. Als Lohn für diese Unterwerfung bietet der Teufel Jesus die Herrschaft über die Welt an, aber unter seiner Vorherrschaft. Der Teufel ist so wirklich der Herr dieser Welt und es ist die Kampfaufgabe Jesu, dieser Herrschaft ein Ende zu setzen.
B) Es gab einen Dialog zwischen Gott und dem Teufel ähnlich dem Dialog im Hiobuch. Gottes Aussage: "Das ist mein geliebter Sohn,ihn kannst Du, Teufel nicht erfolgreich versuchen, wie einst Adam im Paradiese, respondierte der Teufel mit: "Wenn Du mir genug Vollmacht gewährst, werde ich auch Deinen Sohn erfolgreich versuchen können! Könnte ich ihm die Herrschaft über alle Reiche der Welt übertragen, wenn er mich dafür anbetet, dann wird auch er, wie einst der Adam der Versuchung erliegen!" Gott gewährte dem Teufel daraufhin diese Vollmacht, wie er dem Teufel es erlaubte, Adam zu versuchen.
Beide Antwortmöglichkeiten sind plausibel.
Stellen wir eine weitere Frage: Ist Jesus denn überhaupt versuchbar? Die Antwort der traditinellen Christologie ist eindeutig: Der Gottessohn ist so vollkommen, daß er unvesuchbar ist. Nähme man diesen Standpunkt ein, wird die ganze Versuchungsgeschichte zu einer einzigen Farce. Der Sohn Gottes wäre so unversuchbar wie ein Fels. Weil ein Versuchtwerdenkönnen ein Mangel sei und im Sohn Gottes kein Mangel sein könne, sei der Sohn Gottes notwendig als unversuchbar zu denken. Das hat nun aber auch zur Folge, daß notwendigerweise nicht mehr von ihm ausgesagt werden kann, daß es verdienstvoll oder tugendhaft von ihm war, nicht der Versuchung erlegen zu sein. Denn daß der Akt, sich nicht versuchen zu lassen, nicht ihr zu erliegen, setzt denknotwendig die Fähigkeit voraus, einer Versuchung erliegen zu können. Streitet man dies Vermögen dem Sohn Gottes ab, verwandelt man den Sohn Gottes in einen perfekt programmierten Roboter, der eben vollkommen funktioniert, gut funktioniert, aber keine moralisch qualifizierbaren Handlungen vollbringen kann, denn er kann nur gut funktionieren. Damit der Sohn Gottes als moralisch vollkommen zu denken ist, muß um der Moralität willen er notwendigerweise als auch unmoralisch handeln können gedacht werden. Seine Moralität ist dann gerade die, daß er diese Negativmöglichkeit nie realisierte. Könnte er sie aber gar nicht realisieren, könnte er auch nicht gut im moralischen Sinne handeln, sondern nur gut im technisch funktionalen Sinne.
Wer aber die ganze Tiefe dieser Versuchungsgeschichte erfassen möchte, der sei auf Dostojewskis Erzählung: "Der Großinquisitor" verwiesen- die allerbeste Ausdeutung der Versuchungsgeschichte Jesu!
Merke: Erst durch das Stellen von Fragen werden uns Texte lebendig!
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