Handelte Pontius Pilatus wie ein „vollkommener Demokrat“?1 Kardinal Ratzinger erörtert Probleme der Demokratie
Kardinal Ratzinger setzt sich in seinem Essay: „Was ist Wahrheit“ auseinander, um die Grundlagen der demokratischen Staatsordnung zu erörtern. Die These, an der sich der Kardinal abarbeitet lautet: Da Pontius Pilatus nicht selbst erkennen konnte, was wahr sei in der Causa Jesu Christi „überläßt er es der Mehrheit,darüber zu entscheiden.“2 Diese Einzelfallentscheidung soll nun das Wesen der Demokratie enthüllen: „Es gibt eben keine andere Wahrheit als die der Mehrheit.“3
Kardinal Ratzinger kommentiert dies so: „Der Gedanke,in der Demokratie könne nur die Mehrheit entscheiden und Rechtsquelle könnten nur die mehrheitsfähigen Überzeugungen der Bürger sein,hat zweifellos etwas Bestechendes an sich. Denn wann immer man etwas nicht von der Mehrheit Gewolltes und Entschiedenes für die Mehrheit verbindlich macht,scheint eben der Mehrheit ihre Freiheit abgesprochen und damit das Wesen der Demokratie verneint zu sein.“ 4
Ergänzend wäre dann hinzuzufügen, daß die Monarchie, die Aristokrstie und die Demokratie sich dann nur in diesem einen Punkte unterschieden, ob einer, wenige oder die Mehrheit entscheidet, was als wahr zu gelten habe. Gemeinsam wäre dann allen dreien, daß das was wahr ist, nicht erkannt wird, sondern durch eine Entscheidung als wahr gesetzt wird. Unter der Freiheit würde dann das Recht, was wahr sei, als durch einen Entscheidungsakt selbst hervorbringen zu können. Einfacher formuliert: Als wahr gilt nur das, was per Konsens als wahr gilt.
Wenn man nun die Menschenrechte oder die Menschenwürde als das Fundament der Demokratie setzte, um einem solchen Relativismus, daß alles als wahr gelten könnte, wenn es von der Mehrheit als Wahrheit gesetzt wird, ergäbe dies dies Problem: „Denn was Menschenrechte sind und worin Menschenwürde besteht,liegt keineswegs immer für die Mehrheit der offen zutage.“5 Das hat zur Konsequenz, daß die Mehrheit bestimmt, was den Menschenrechten und der Menschenwürde gemäß und was nicht den gemäß ist.
Einem Kenner der Theologie des Papstes Benedikt XVI wird spätestens hier klar, daß damit das Grundproblem des Relativismus skizziert wird, daß es keine objektiv erkennbare Wahrheit gäbe, daß eben die Wahrheit das Produkt des Menschen sei und nichts von ihm unabhängig Seiendes.
Retour zum Ausgangspunkt: Pontius Pilatus wußte, daß Jesus unschuldig war, er fand nichts der Todesstrafe Würdiges an ihm, aber er hat sich politisch dafür entschieden, ihn den Juden auszuliefern, ihnen zu willfahren. Den Hintergund bildete, daß es unter den Juden gährte, sie wollten sich von der römischen Fremdhertschaft befreien und da versuchte Pilatus die aufgebrachten Juden zu besänftigen, indem er die Kreuzigung eines Unschuldigen zuließ. Wenn es dann aber in dem Essay heißt, daß „ein unschuldiger Gerechter verurteilt wurde“, 6 dann verkennt diese Aussage völlig die Paradoxie des Kreuzes Jesu Christi. Denn der vollkommen Gerechte nahm die ganze Schuld der Menschheit auf sich und wurde so zum vollkommen Ungerechten, denn dann der Römische Staat durch Pilatus zum Tode verurteilte, ganz rechtens.
(Hätte Pilatus als römischer Richter nicht maßgeblich an der Kreuzigung Jesu mitgewirkt, wäre Jesu Kreuzestod kein Akt der göttlichen Gerechtigkeit sondern er wäre nur ein Opfer jüdischer Lynchjustiz gewesen. )
Das ist vergleichbar mit einem Freund, der für die Spielschulden seines besten Freundes aufkommt,sodaß er nun der Schulder für alle Gläubiger seines Freundes wird, daß sie nun von ihm die ganze Spielschuld eintreiben.7
Für die These, daß die Demokratie sich gründe in dechm Unvermögen, zu erkennen, was wahr sei und daß stattdessen zu gelten habe, als wahr habe zu gelten, was die Mehrheit als wahr beschließt, bietet so Pilatus keinen Beleg. Diese Causa beweist nur, daß aus politischen Gründen dem Recht widersprechende Entscheidungen getroffen werden können.8
Was die Mehrheit für wahr hielte, habe als wahr zu gelten, denn das Wahre sei das Produkt einer Dezision. Aber in keiner parlamentarischen Demokratie stimmt das so, denn das Parlament entscheidet und das heißt die im Parlament vertretenden Parteien. Durch eine demokratische Wahl wird bestimmt, in welchem Größenverhältnis zueinander die demokratischen Parteien entscheiden, was als wahr zu gelten habe. Sie sind dabei horizontall der Fraktionsdisziplin und vertikal der jeweiligen Parteidisziplin unterworfen, aber ihren Wählern gegenüber durch ihre Gewissensfreiheit freigestellt, sie sind als Gewählte nicht verpflichtet, das vor der Wahl Versprochene einzuhalten, da sie nun nur ihrem Gewisesen zu folgen haben, das selbst aber der Parteidisziplin unterworfen ist.
Wenn so also ein Gesetz vom Parlament verabschiedet worden ist, ist das nicht einfach der Mehrheitswille des Volkes. Wenn nun aber ein Gericht, als das oberste das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz als nicht vereinbar mit dem Grundgesetz beurteilt, ist es nicht gültig! Die Demokratie begrenzt so sich selbst durch das Rechtsstaatsprinzip, daß Gesetze nur gültig sind, auch wenn sie demokratisch beschlossen worden sind, wenn kein maßgebendes Gerichtsurteil ein beschlossenes Gesetz außer Kraft setzt. Das Rechtsstaatsprinzip ist so ein Korrekturprinzip des demokratischen Staates. Existierte dies Korrektiv nicht, dann wäre die Demokratie ob ihres reinen Formalismus wegen faktisch eine Willkürherrschaft der Mehrheit, faktisch aber der demokratischen Parteien. Mit dem Begriff der demokratischen Parteien ist mitgesetzt das Urteil, daß es nichtdemokratische Parteien gibt, das sind Parteien, die von den demokratischen nicht als demokratische anerkannt werden und die so nicht an einer Regierung beteiligt werden dürfen und auch nicht als eine legitime Opposition angesehen werden. Bekommen solche Parteien zu viele Abgeordnete in den Parlamenten, können sie als die Demokratie gefährdende, die Herrschaft der demokratischen Parteien beeinträchtigende verboten werden.
So muß erstmal die Faktizität akzeptiert werden, daß die Demokratie die Herrschaft der demokratischen Parteien bedeutet, die aber durch das Rechtsstaatsprinzip begrenzt wird. Eine „vollkommene Demokratie“ ohne dies Rechtsstaatsprinzip würde so aber dann eine Parteienwillkürherrschaft bedeuten. Der Essay: Was ist Wahrheit?“ krankt so an der Ausblendung des Rechtsstaatsprizipes und des Vergessens der Tatsache, daß in den Parlamenten die Parteien entscheiden und nicht der Mehrheitswille des Volkes. Angemessen ist aber die Kritik, daß unter der Wahrheit nicht etwas zu Erkennendes verstanden wird, sondern etwas, daß erst durch eine Entscheidung zur Wahrheit wird. Das ist so wie in jedem Fußballspiel: Ein geschossenes Tor ist erst ein Tor, wenn der Schiedsrichter es als Tor pfeift, es durch seinen Entscheid zum Tor macht. Daß kein Theologe dem zustimmen kann, wenn es um die Frage, was ist wahr?, geht, leuchtet ein.
Zusatz:
Wenn heutzutage von einer Gefährdung der Demokratie die Rede ist, meint das nichts anderes als daß die Herrschaft der sich wechselseitig als demokratisch anerkennenden Parteien gefährdet ist.
1Diese These vertritt Kellsen: „Kelsen ist der Meinung,Pilatus habe hier als vollkommener Demokrat gehandelt.“ Joseph Kardinal Ratzinger, Was ist Wahrheit?, in: Werte in Zeiten des Umbruchs, 2005, S.49. Mit „hier“ ist die Kreuzigung Jesu Christi gemeint.
2A.a.O. S-53.
3A.a.O.S.53.
4A-a.O. S. 57.
5A.a.O. S.57.
6A.a.O.S.53.
7Auch der Hohepriestter Kauoaphas war selbst von der Unschukd Jesu überzeugt, wollte aber den Unschuldigen opfern, um eine präventive Aufstandsbekämpfung durch die Römer zu verhinden, bei der sehr viele Menschen getötet worden wären. Er wirkt hier aber als Hohepriester, indem er so das Sühnopfer mitdarbringt.das die Berufung seines Amtes ist.
8So führten die USA einen nngeechten Angriefskrieg gegen Afghanistan legitimiert mit der nicht bewiesbaren Anschuldigung, Bin Laden und die afghanische Regierung wären die Drahtzieher des Terrorangriffes auf das World Trade Center gewesen. Die Entscheidung war eine rein politische, in der der afghanische Staat zum politischen Feind erklärt wurde. (Carl Schmitt)
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