„daß die Religion durch die Wissenschaft aufgelöst werden könnte“1
In diesem Verb: „auflösen“ stecken hier zwei Bedeutungsvarianten, daß die Religion durch die Wissenschaft innerlich aufgelöst wird und daß die Religion in ihrer Funktion für durch die Wissenschaft substituiert wird. Ersteres könnte dann meinen, daß gar durch die Theologie als eine Wissenschaft betrieben, sie die Religion selbst auflöst, oder daß die Wissenschaft als eine Religionskritik betrieben sie als nichtet. Oder aber, daß im Geiste August Comtes geurteilt wird, daß die Wissenschaft die Epoche der Religion und der Metaphysik ablöst, da dann die Wissenschaft all das leistet, was einst die Religion leistete, nur eben effektiver, daß etwa, statt für Kranke zu beten sie durch Medizintechnik geheilt werden.
Aber der marxistische Philosoph Althusser verblüfft seine Leser in diesem Essay: „Marxismus und Humanismus“ nun doch durch seine These: „Nur eine ideologische Weltanschauung konnte Gesellschaften ohne Ideologien erdenken imd die utopische Idee einer Welt zulassen,in der die Ideologie (ind nicht eine ihrer historischen Formen),ohne Spuren zu hinterlassen,verschwinden würde,um durch die Wissenschaft ersetzt zu werden.Die Utopie liegt z.B der Vorstellung zugrunde,daß die Moral,die in ihrem Wesen Ideologie ist,durch Wissenschaft ersetzt oderdurch und durch wissenschaftlich werden könnte;oder daß die Religion durch die Wissenschaft aufgelöst werden könnte, die in gewisser Weise deren Platz einehmen würde;daß die Kunst mit der Erkenntnis verschmelzen oder >allrägliches Leben< werden könnte,etc.“ 2 Althusser fügt dem gar noch hinzu, daß selbst die kommunistische Gesellschaft nie ohne irgendeine Ideologie auskommen werden könne.
Daß dieser Philosoph anspruchsvolle Texte hervorbringt, die ein genaues Mitdenken verlangen, erweist auch dieses Zitat, aber es lohnt sich, ihm nachzudenken. Konstitutiv für diesen Gedankengang ist die Antithetik von der Wissenschaft einerseits und all den anderen Größen, die er unter dem Begriff der Ideologie subsumiert: die Moral, die Religion und die Kunst. (Das besondere Anliegen Althussers ist es nun, den Humanismus als eine besondere Ideologie zu thematisieren.) Dann taucht noch der Begriff der ideologischen Weltanschauung auf! Diesen möchte ich so interrpretieren, daß eine Ideologie eine bestimmte Gestalt der Weltanschauung ist, die ihrer selbstreflektieren Gestalt. Vor Augen wird uns so eine Gesellschaft, die so sehr rein wissenschaftlich fundiert ist, daß sie auf jede Ideologie verzichten kann. Dabei wird dann der Begriff der Ideologie rein pejorativ benutzt, etwa im marxistischen Sinne als ein verkehrtes Bewußtsein oder als eine Folge mangelnder wissenschaftlicher Erkenntnisse, bzw als ein Instrumentarium der Unterdrückung durch die Herrschenden, Die Wissenschaft könne erkennen, wie es wirklich sei, während Ideologien wie ihr Rohstoff die Weltanschauungen die Wirklichkeit verklärt statt sie zu erklären. Das könnte dann garniert werden mit der vulgären These, daß eben die Religionen solange für die Welterklärung nützlich seien, solange die Aufgabe der Erklärung von allem die Wissenschaft noch nicht übernommen habe, die dann aber die Religion überflüssig mache.
Diese These stellt dieser Philosoph dem gegenüber: „Die Ideologie ist also keine Verirrung oder ein zufälliger Auswuchs der Geschichte: sie ist eine für das historische Leben der Gesellschaften wesentliche Struktur.“3.
Aber dann läßt uns dieser Text in Stich, indem sich er als ein Theorie im Werden erweist, in statu nascendi: Was eine Ideologie sei, daß exakt zu definieren und was ihren präzisen Unterschied zur Wissenschaft ausmacht, das müsse erst im Weiteren geklärt werden. Jetzt solle nur gelten: „daß die Ideologie als System von Vorsellungen sich von der Wissenschaft darin unterscheidet,daß die praktisch-gesellschaftliche Funktion sich gegen ihre theoretische Funktion (oder Erkenntnisfunktion) durchsetzt.“4 Daß die Ideologie ein System von Vortellungen sei, macht m:E die Differenz zur Weltanschauung aus, daß hier eine Weltanschauung zu einem in sich geschlossenem System weiterentwickelt ist, das von seinem Eigenanspruch her in sich widersprchsfrei ist und für das es kein Außen gibt, das nicht durch es erklärbar ist. (Vgl dazu etwa die großen Systeme Fichtes,Schellings und Hegels, dann aber auch den Marxismus-Leninismus, wie ihm der Althusser vorlag.) Ideologien gelten also als „wahr“,weil sie gesellschaftlich nützlich sind, die Wissenschaft sei dagegen mehr auf das Wahrsein als eine theoretische Erkenntnis ausgerichtet.
Damit stehen wir vor der entscheidenden Frage, warum es neben der Wissenschaft die Ideologie geben muß und aus christlicher Perspektive wäre ergänzend zu fragen, ob die christliche Religion etwas ihr Eigenes hat,dodaß sie nicht durch Ideologien völlig ersetzbar ist. Man kann nicht umhin, aber für die erste Frage findet sich in diesem Essay Althussers keine eindeutige Antwort, es ist eben ein Ansatz in statu nascendi. Aber er beinhaltet Spuren, die weiterverfolgbar sind.
Frägt man nach der Differenz zwischen der Wissenschaft, oder den Wissenschaften und einer Weltanschauung, dann fällt eine Antwort leichter. Eine Weltanschauung hat das Ganze zu seinem Thema, die Wissenschaft aber nur das, was ist. Aber die Welt des Menschen, so wie er sich sie zurechtlegt in einer Weltanschauung, beinhaltet mehr, nämlich eine Vorstellung von dem, was sein sollte, eine Vorstellung von dem, was wünschbar wäre und einer Vorstellung von der Kontingenz, daß das, was ist, auch anders sein könnte und von der Freiheit des Menschen, daß er etwas wollen kann und es auch nicht wollen könnte. Für Althusser ist gerade der Humanismus als dem Glauben an den Menschen als einem freien Hervorbringer seines Wollens und Tuens die Ideologie der bürgerlichen Welt. Es sei an Kants These von der Welt als einem durch sich selbst determinierten System erinnert, die Welt, so wie sie uns die Wissenschaft aufzeigt, so auch Fichte in seiner „Bestimmung des Menschen“und daß dem die Welt der Freiheit als einer nicht zur empirischen Welt gehörenden entgegenzustellen ist, die sich der Vernunft nur als der praktischen entbirgt: Daß das „Du sollst“ uns als freie Wesen kontituiert, die ihr „Ja“ oder ihr „Nein“ zum Geollten sagen können. Diese Welt der Freiheit ist aber der Wissenschaft als theoretischer unzugänglich, und nur, im Sinne Althussers in einer Ideologie, isb dem Humanismus lebend. Aber dieses ideologische Element ist für dasgesellschaftliche Leben, daß sich die Bürger als für ihr Tuen und Unterlassen verantortlich wissen, konstitutiv. Ergänzend kann gesagt werden, daß die Ideologie Fragen beantortet in ihrer reflexiven Gestalt als eine Art Metaphysik, die die Wissenschaft nicht beantworten, ja nicht mal fragen kann, die Frage nach dem Ursprung von Allem, nach einem letzten Ziel und ob das Ganze etwas in sich Sinnolles ist, oder ob es als Sinnloses nur vom Menschen einen Sinn eingehaucht bekommt. Eine rein wissenschaftliche Betrachtung der Welt gliche so einem Zuschauer einer Schachpartie, der ganz genau jeden Spielzug beschreibt, aber da er die Regeln dieses Spieles nicht kennt, das ganze Geschehen nicht begreifen kann. Nach Althusser würde nun die Ideologie die Aufgabe haben, alle einzelnen Spielzüge,die die Wissenschaft erfassen kann, als sinnvolle Ereignisse zu deuten in dem Rahmen einer Ganzweltanschauung.
Die Wissenschaft produziert für uns also eine Welt, in der Menschen nicht leben können, weil diese Welt zu defizitär wäre, als daß auf ihr aufbauend eine Gesellschaft funktionieren könnte. Das ergibt immerhin für den Status der Religion (=einer Weltanschauung) und der Theologie (= Ideologie), daß sie nicht durch die Wissenschaft surrugierbar ist, aber sich in einer Konkurrenzsituation mit den Weltanschauungen und den zu Ideologien auferbauten Weltanschauungen befindet als eine Religion.
1.Corollarium
Catherine Belsey erfaßt den Doppelcharakter des Menschen im Denken Althussers so: "Die Doppeldeutigkeit des Status des Subjekts als Akteur und als unterorfenes Wesen bestimmt den Gebrauch des Begriffes." Poststrukturalismus, 2013, S.57. Präziser kann nun gesagt werden, daß in der Ideologie der Mensch als Subjekt im Sinne des Akteurs erscheint,der als freies Subjekt agiert, wohingegen er als unterworfenes, determiniertes Subjekt in der Wissnschaft zu stehen kommt.
2.Corollarium
Wo eine Ideologiefreiheit proklamiert wird, verbirgt sich dahinter nur eine Ideologie, die für sich einen Monopolanspruch erhebt.
1Louis Althusser, Maexismus und Humanismus, in: L.Althusser, Für Marx, 1968, S.182.
2A.a.O. S.182. Zur Kunst: Hier kritisiert der Text die Vorstellung, daß die Kunst uneigentlich geworden ist, wenn sie als etwas vom Leben Abgesondertes, etwas Künstliches erscheint, wohingegen das Leben selbst sich als eine künstlerische Aufgabe zu verstehen hätte.Die Arbeitsteilung von Künstlern und Nichtkünstlern,die dann nur noch die Kunstwerke konsumieren, soll dabei aufgehoben werden, daß jeder der Künstler seines Lebens wird.
3A.a.O. S.183.
4A.a,O. S.181.
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