Samstag, 20. September 2025

Kardinal Razinger: „Die Politik ist das Reich der Vernunft“, „der moralischen Vernunft“ eine Illusion?

 

Kardinal Razinger: „Die Politik ist das Reich der Vernunft“, „der moralischen Vernunft“ eine Illusion?



So schreibt es der Kardinal und spätere Papst Benedikt XVI in seinem Essay: „Verändern oder erhalten? Politische Visionen und Praxis der Politik“.1 So prälumiert der Kardinal seinen Essay: „Für Politiker aller Parteien ist es heute selbstverständlich,dass sie Veränderungen – natürlich zum Bessern hin- versprechen.Während der ehedem mythische Glanz des Wortes Revolution gegenwärtig verblasst ist, werden um so entschiedener weitgreifende Reformen verlangt und verheißen.“2 Diese Meinung hat für uns Jetzige fast nur noch einen historisch nostalgischen Wert, denn wenn jetzt im poliischen Diskurs von Reformen die Rede ist, dann bedeutet das, daß das gemeine Volk mal wieder den Gürtel enger zu schnallen habe, da er über seine Verhältnisse,über das Finanzier- und Machbare hinaus gelebt habe.

Aber es gab in der Bundesrepublik eine Phase im politischen Diskurs, in dem selbst Conservative für „weitgreifende Reformen“ votierten, wenn auch nur,um die Gefahr einer „Revolution“ zu bahnen. Eine besondere Rolle hätten dabei die Intellektuellen gespielt: „In der Welt der – meist wohlhabenden Intellektuellen – ist nur um so mehr das Nein zur Reform und eine Divinisierung der Revolution gewachsen.Man verlangt nach dem völlig Neuen; es gibt einen merkwürdigen Überdruss an der Wirklichkeit,wie sie ist“,3 Zwei politische Optionen ergäben sich nun daraus: „Zwei Visionen des Auftrags der Politik:die Welt verändern oder ihre Ordnung erhalten“4 Und somit wird so die Politik verstanden: „Die Politik ist das Reich der Vernunft,und zwar einer nicht bloß technisch kalkulatorischen, sondern der moralischen Vernunft,da das Staatsziel und so das letzte Ziel aller Politik moralischer Natur ist,nämlich Friede und Gerechtigkeit.“5

Offenkundig möchte hier der Kardinal mit diesem moralischem Verständnis der Politik eine Alternative zu der Frage einer reformarisch orientierten Weltveränderungspoiik oder einer conservativ orientierten Welterhaltungs-politik konstruieren. Ein paar Begriffe müssen hier geklärt werden. Der Begriff der „Divinisierung der Revolution“ begreift die ersehnte politische Revolution als eine säkularisierte Version des Hoffens auf das Reich Gottes als dem ganz Anderen dem alten jetzigen Äon gegenüber. Die Revolution ist sozusagen die poitische Apokalypse des Endzieles der klassenloen Gesellschaft, der vollkommenen Überwindung der Entfremdung. Der Begriff der „technisch kalkulatorischen Vernunft“ meint das,was Horkheimer die instrumentelle Vernunft nennt,daß keine Ziele mehr durch die Vernunft begründet werden können, ob der Frieden erstrebenswerter sei als der Krieg, die Gerechtigkeit besser als die Ungerechtigkeit und was denn überhaupt die Gerechtigkeit sei, daß aber mittels der Vernunft aufgezeigt werden kann, welches Ziel, welcher Wert auch immer dann wie zu erreichen sei.Kardinal Ratzinger plädiert hier für eine „moralische Vernunft“,der die moralische Werte als höchste Ziele des politischen Handelns begründen kann6.

Als seinen Gegenpol sieht er hier einen politischen Diskurs, der moralische Werte nur noch als eine Setzung eines Mehrheitswillens erklären kann: Wahr sei das, was die Mehrheit für wahr hält,weil es die Mehrheit für wahr hält. Es müsse Werte geben, „die auch für Mehrheiten nicht zur Debatte stehen dürfen.“7 Der Kardinal möchte nun als die Alternative diese Position beziehen: „dass die Wahrheit nicht Produkt der Politik (der Mehrheit) ist, sondern ihr vorausgeht und sie erleuchtet: Nicht die Praxis schafft Wahrheit,sondern die Wahrheit ermöglicht erst rechte Praxis.“8

Gegenüber der hier skizzierten Debattenlage hat sich die jetzige markant verändert: Weder ist die divinisierte Revolution noch die Reform im emphatischen Sinne einer Weltverbesserungsstrategie noch en vogue, nur der Verdruß Linksintellektueller an der Wirklichkeit ist geblieben, die nun aber das Ende dieser von ihnen verabscheuten Wirklichkeit eher von der Masseneinwanderung muslimischer Asylanten und von der Multiethnisierung Deutschlands und der westlichen Welt erhoffen. Aber es bleibt die Frage, inwieweit es für die demokratische Politik eine verbindliche Moral, Werte gibt,die ihr zugrunde liegen und somit nicht zur Disposition stehen,oder ob die Werte nur das Produkt einer politischen Entscheidung ist,sodaß gilt: Als wahr kann nur das gelten, was durch eine demokratische Dezision als wahr gesetzt ist, was also die Mehrheitsmeinung ist.

Dieser Position möchte Kardinal Ratzinger einen substantiellen Vernunftbegriff entgegensetzen,die als moralische letztgültige Werte als wahr erkennt und nicht als Konstrukte erfindet.Es muß aber konstatiert werden, daß in all den Essays dieses Buches der Kardinal nie über die Beteuerung, es müsse solche Werte, Wahrheiten als eine rechte Politik erst ermöglichende geben und anerkannt werden,geben,denn gäbe es sie nicht,könnte letztlich einem Nihilismus nichts entgegengesetzt werden! O möge  die Politik das Reich der Vernunt und der moralischen Vernunft sein! Man darf eben Optative nicht mit Indikativen verwechseln! 

Zusatzfrage:

Sind die Ziele der Politik moralische oder sollen die Ziele der Politik im Einklang mit der Moral realisiert werden, ohne daß diese selbst moralische wären?  





1Joseph Kardinal Ratzinger, Werte in Zeiten des Umbruch.Die Herausforderungen der Zukunft bestehen, 2005, S.22.

2A.a.O.S.10.

3A.a.O.S.15.

4A.a.O. S.10.

5A.a.O.S.22.

6Vgl hierzu auch Max Weber zur Thematik: Wissenschaft und Werturteil.

7A.a.O.S.26.

8Joseph Kardinal Ratzinger, Was ist Warheit? In: Ratzinger,Werte in Zeiten der Zukunft, 2005, S.52.

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