Eine populäre Klagelitanei: Die Jugend (und viele andere) verbrächten zu viel Zeit im Internet - oder das vergessene Abendland
Statt sich dem wirklichen Leben zu stellen,lebte die Jugend zu viel in Kunst-welten, sie sollten doch lieber Osterspazieränge unternehmen, wie es schon Goethes „Faust“ tat. Wäre es nicht erstrebenswert, die Kinder und Jugend-lichen vor dieser Medienwelt zu schützen!
Aber man könnte nun angesichts dieses Klageliedes auch auf einen ganz anderen Gedanken kommen: Gehört nicht zu den Kontitutiva des Abendlandes, daß diese Kultur eine des Buches ist? Die christliche Religion ist eine Buchreligion, die aus einem heiligen Text und einem Meer von Sekundärliteratur besteht, die diesem heiligen Text subordiniert sind als Hilfsmittel zum Verstehen des Primärtextes.(Selbst die Natur konnte dabei als ein Text gedeutet werden, der nur schwerlich eindeutig lesbar war, sodaß das Eigentliche und Wahre in und nur in dem heiligen Text, der Bibel, dem Buch auffindbar sei. Ein Gebildeter war also ein Schriftgelehrter und so trat auch Jesus Christus auf, gerade in seinen Kontroversen mit den Gesetzeslehrern seiner Zeit.
Wer abendländisch kultiviert forschte, was denn die Welt im Innersten zusammenhält und was das in ihr alles ist,der las diesen Basistext und die dazugehörge Sekundärliteratur.Das Bildungsideal der Aufklärung brach nicht mit diesem Buchglauben, nur wurde hier nun die gute Literatur an die Stelle des einen heiligen Textes gesetzt.Die Musik und die Malerei wurden zwar auch geschätzt, aber der Primat wurde dem geschriebenen Wort zugesprochen als eine Folge der christlichen Buchreligion. Selbst der Antipode, der Marxismus in seiner russischen bolschewistischen Praxis blieb diesem Primat verhaftet, denn nun galt als „gebildet“ nur der, der die marxistischen Klassiker gelesen hatte:Marx, Engels und Lenin. Das, was wirklich ist, daß erschließt sich dem, der halt die richtigen Bücher liest, nur wurde nun seit der Aufklärung kontrovers diskutiert, welche Bücher die uns die Wahrheit erschließenden seien.Nietzsche hat mit Absicht seinen „Zarathustra“ als ein Antieevangelium konzipiert, das die vier Evangelien ersetzen sollte.
Daß ein gebildeter Mensch einer sei, der die Welt bereiste, um seine empirischen Erkundungen dann als eine Welterkenntnis zu qualifizieren, ist für die abendländische Kultur eine absurde Vorstellung. Dem Buchgelehrten erschließt sich stattdessen die Welt.
Daß das Empirische, daß von uns Zähl- und Meßbare das Wahre sei, markiert einen Buch mit der abendländischen Kultur. Noch der Museumsbesucher, der die Gemälde Caspar Friederichs bewundert, statt nach Draußen in die Natur zu gehen, partizipiert an dieser abendländischen Kultur, wird auch hier noch ein künstlerisches Werk höher geschätzt als die Natur selbst.
Die Epoche des Buches scheint nun durch die Epoche des Internets abgelöst zu werden. Aber auch das ist nicht einfach ein Bruch mit der abendländischen Kultur, denn immer noch stehen Texte im Mittelpunkt. Der über sein ans Internet angeschlossene technische Gerät gebeugte Textleser, der dabei seiner Umwelt kaum eine Beachtung schenkt, ist nicht Lichtjahre von dem Bücherleser in seinem Studienzimmer entfernt. Die Verachtung des Intellektuellen, dessen Wissen nur aus seinem Bücherwissen besteht, das ist erst der Bruch mit dem Abendland.
Daß die Bücher, die Texte,gar das Denken überhaupt nur ein Zweitrangiges wären, weil das Wahre einfach das Seiende sei, so wie wir es sinnlich wahrnehmen, signalisiert wohl die Abkehr vom Abendland schlechthin. Den Hintergrund bildete dabei eine metaphysische Tradition, daß alles Wirkliche ein Erscheinen der Idee von dem Erscheinenden ist,und daß die Idee als Idee ante rem die Wahrheit des Erscheinenden ist, die dann post rem recogniziert wird.In Texten,besonders qualifizierten erscheint uns das Wirkliche so transparent für das sie Grundlegende,das in der Natur eben auch sich im Erscheinenden verbirgt. Gott ist uns in seiner Selbstoffenbarung klarer erkennbar als in dem Buch der Natur.Auch das Buch der Natur verlangt nach einem Lesekundigen, der in dem Erscheinenden das, was darin erscheint, zu erkennen weiß, wohingegen dem Empiristen der Naturtext ungelesen bleibt, er beschreibt sozusagen nur die gesichteten Buchtstaben, kann aber den Text nicht lesen. Aber das sollen nun die ernstzunehmenden wissenschaftlichen Erkenntnisse sein, wohingegen das, was im Abendland als Wahrheit galt nur noch unzulässige Spekulationen sein sollen!
Unsere Zeit unterscheidet sich somit von der abendländischen Kultur durch den Verlust des Glaubens an den einen heiligen Text, , in dem sich uns alles erschließt, aber solange noch primär Texte gelesen werden,jetzt verlangen viele, daß sie als die Wahrheit gelesen werden, und kreieren so einen postmodernen Polytheismus, ist das eben eine polytheistische Variante der abendländischen Kultur. Erst der völlige Sieg des Empirismus mit seinem nominalistischen Hintergrund, daß es nur die Einzeletwasse gibt, die eben keine Erscheinungen, Abbilder von etwas ursprünglich Ideelen sind,wäre die abendländische Kultur zu Ende gegangen.
1.Zusatz:
In der Gegenwart erheben nun so viele Texte den Anspruch, wahr zu sein, ohne den würde kein Text als Text gelesen, daß die vielen Geltungsansprüche sich gegenseitig relatiieren, wenn nicht gar entwerten.Aber jetzt noch lebt die Lesekultur von ihrem Ursprung her,dem Glauben an den einen heiligen Text, der seinem Leser alles erschließt. Wendete nun man ein, es ginge doch in der christlichen Religion um die Person Jesu, dann muß konzediert werden, daß er uns zuvörderst in den Texten der heiligen Schrift bgegegnet, und von da von uns Lesern bekannt werden will.
2.Zusatz:
Es kann so vorkommen, als wenn fiktive Protagonisten in der Literatur und in dem Film uns lebendiger und realer vorkommen als die Menschen des wirklichen Lebens. Die Protagonisten der Erfolgsserie: "Sturm der Liebe" wirken so tatsächlich lebendiger und realer als die wirklichen Menschen,als wenn das Leben unwirklich geworden wäre.
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