Sonntag, 21. Januar 2018

Über den ausgetrockneten Boden der Religion- ein Versuch

"Der Unterschied von Magie und Religion liegt in dieser Hinsicht [in der Hinsicht"fiktiver Erfüllung]darin, daß jene die Erfüllung alltäglich-praktischer Wünsche unternimmt, während in dieser, wenigstens der Regel nach, die Erfüllung eine jenseitige, nicht auf einzelne Zielsetzungen, sondern auf das Schicksal des ganzen Menschen orientierte ist; diesseitig erscheint bloß der subjektive Reflex der transzendenten Erfüllung, z.B. die Heilssicherheit im Calvinismus. Natürlich leben in vielen Religionen magische Überreste als Glauben an diesseitig-partikularistische Bedürfnisbefriedgungen weiter." Georg Lukacs, Die Eigenart des Ästhetischen, Band 1, 1987 (Aufbau Verlag), S.227.
G.Lukacs gehört zu den brillanten Denkern, die einem Konzentrattexte zumuten, die man eigentlich erst wie Tomatenkonzentrat sich wieder etwas verdünnen muß, um ihren ganzen Gehalt erfassen zu können. Aber es ist immer auch ein intellektuelles Vergnügen, seine Texte zu lesen, obzwar er atheistischer Marxist war, aber nie ganz orthodox, außer in seinem schwächsten Opus: "Die Zerstörung der Vernunft".
Die Einsicht, daß es der Religion (Lukacs hat selbstredend hier das Christentum und die jüdische Religion vor Augen) primär um das Jenseits geht, daß nur dort die Erfüllung der Mensch erhoffen kann und daß somit die Frage, wie habe ich zu leben, damit ich das jenseitige ewige Leben gewinne, ist eine schon lange in der Katholischen Kirche wie im Protestantismus verloschende Wahrheit. Die Dominanz der Frage der christlichen Mitgestaltungsmöglichkeiten des diesseitigen Lebens beraubt der Religion so ihres Wesens, könnte pointiert geurteilt werden. Und doch bleibt da ein (berechtigtes) Unbehagen, denn der Gott der christlichen Religion ist nicht nur der zukünftige Gott, der noch kommen wird, um sein ewiges Reich zu errichten, er ist auch der Gott über und in dieser Welt (wenn auch in Opposition zum Gott dieser Welt, dem Satan).
Die faktische Gebetsausrichtung war und ist so immer auch diesseitig orientiert. Was betet denn eine christliche Mutter, ist ihr Kind schwer erkrankt? Für Lukacs ist das ein Überrest magischer Praxis, der sich in der Religion, auch in der christlichen erhalten hat. Wenn man dies Urteil nicht von vornherein mit dem Vorurteil verhaftet, daß alles Magische nur etwas rein Abergläubisches ist, dann kann es sich lohnen, dem ernsthaft nachzugehen. Mein Vorschlag, daß die magische Praxis als eine Vorstufe zur Religion begriffen wird, sozusagen der Erstunterricht der göttlichen Pädagogik hin zur Erziehung zur wahren Religion. Daß also anfänglich gelernt wird, daß das Leben auch durch übernatürliche Kräfte bestimmt wird, daß solche Kräfte in unser Leben einwirken und daß diese Kräfte von uns Menschen beeinflußbar sind. Wären es bloße Schicksalsmächte, die uns bestimmen, auf die wir aber keinerlei Einfluß hätten, nie könnte sich dann eine religiöse Praxis generieren aus diesem Fatalismus heraus.
Ganz modernistische Theologen möchten so die christliche Religion von aller magischen Praxis befreien, indem sie die Vorstellung verwerfen, daß irgendwie unser menschliches Tuen Auswirkungen auf Gott haben könnte- einfacher gesagt: Der vollkommene Gott kann kein menschliches Opfer oder Gebet erhören und wir können noch so viel sündigen, auch das kann Gott nicht berühren! Der Jesuit Keller ist dafür ein Musterbeispiel:
Typisch hierfür ist die Meinung des modernistischen Jesuiten Keller: „Außerdem schließt bereits die Absolutheit Gottes es aus, er könne auf irgendeine Weise durch die Welt betroffen oder beeinflusst werden.“1 Gemeint ist damit zweierlei: Gott ist so absolut, daß eine Sünde ihn gar nicht berühren könne, und Gott ist so absolut, daß Gott kein menschliches Gebet erhören könne. „Es widerspricht dem Glauben, durch unser Beten werde Gott veranlaßt etwas zu tun. Das Neue Testament sagt: „Gott ist Liebe“ (1 Joh 4,8 und 16). Er ist nicht 99 Prozent Liebe, nicht noch zu steigern, er ist völlig und pur und allein Liebe. Nichts kann ihn bessern; und wenn alle Menschen tausendfach beteten, würde er um kein Jota gütiger und gnädiger, weil er bereits völlig reine Güte ist, die uns immer schon überschüttet mit unendlicher Liebe. Nur ein Irrglaube kann meinen, Gott sei mit Beten zum Guten zu bewegen. Gott ist unbewegbar.“2
(1Keller, A., SJ, Grundkurs des christlichen Glaubens. Alte Lehren neu betrachtet, 2011, S. 301.
2Keller, A. a.a.O. S. 483. Ausführlicher: Uwe C. Lay, Der zensierte Gott)
Typisch ist so auch diese Aussage: "daß Gebete nur ein Mittel sind, um Kräfte,die in uns schlummern, gewltsam zu erwecken. Zu glauben, daß Gebete den Willen eines Gottes zu ändern vermöchten, ist Torheit." Gustav Meyrink, Das grüne Gesicht, 9.Kapitel.  
Hält man sich diesen jesuitischen Extremisten vor Augen, der leider damit nicht alleine steht, wird erst deutlich, was aus jeder Religion wird, vernichtet man diesen elementaren Untergrund der Religion, daß der Mensch ihn bestimmende übernatürliche Kräfte durch sein Wirken beeinflussen kann. Das ist noch nicht Religion, denn die erkennt Götter oder einen Gott als Über-den-Menschen an, sodaß der Mensch die Götter oder den einen Gott sich nicht dienstbar machen kann im Sinne einer magischen Unterwerfungspraxis. Der Gott bleibt der Herr über unsere Opfer und Gebete, die er erhören aber auch verwerfen kann. Aber Gott ist kein unbewegbarer Schicksalsgott. 
So kann geurteilt werden, daß die Reste magischer Praxis in den Religionen einer Transformation unterworfen wurden, damit sie Elemente einer jeden Religion werden konnten, daß aus durch Menschen beherrschbaren und somit auch manipulierbaren übernatürlichen Kräften, Mächte wurden (Götter oder ein Gott), die Herren über die Menschen bleiben, die aber Opfer und Gebete auch für diesseitige Anliegen erhören können. Jesu Praxis der Heilung auf die Bitte von Erkrankten hin, ist dafür das Musterbeispiel, denn der Sohn Gottes hört ja mit seinem heilsamen Wirken nicht einfach auf, weil er nun zur Rechten Gottes thront. 
Aber was geschieht mit der Religion, wenn G.Lukacs Recht hätte, wenn man faktisch Gott jede Kompetenz auf das Diesseits abspricht und ihn nur noch als fürs Jenseitige zuständig denkt? Die Religion verlöre jede Bedeutung für das prämortale Leben oder man reduziert die Religion auf eine Morallehre, wie habe ich auf Erden zu leben, damit es mir und vielen anderen hier gut geht! Letzteres erleben wir heutzutage nicht nur im Protestantismus sondern tendenziell auch in der Kirche. Die christliche Religion, man spricht dann auch lieber vom Glauben, ist im Prinzip nichts anderes als eine Motivation zum guten Handeln! Christ sein, das ist dann eben: anständig leben und irgendwie an Gott glauben. 
So befremdlich es auch klingen mag: Es könnte sein, daß mit der Perhorreszierung allen Abergläubischen und Magischen der Grund, auf dem sich dann die Religionen und auch die christliche auferbaut, so trocken gelegt wurde, daß auch sie Schaden nehmen, isb. die christliche Religion!   

1.Zusatz:
 Eine Heilssicherheit kann es im Calvinismus nicht geben, denn dann müßte mit Gewißheit erkennbar sein, ob jemand von Gott erwählt worden ist oder verworfen- in aller Ewigkeit vor aller Zeit. Der calvnistische Diskurs kaprizierte sich so auf die Frage, woran sicher mein Erwähltsein erkennbar ist, aber gerade darauf fand der Calvinismus nie eine eindeutige Antwort, auch wenn im angloamerikanischen Raum der Erfolg im Beruf und sonstige Erfolge als Zeichen des Erwähltseins gelten- aber was, wenn ein Milliardär insolvent gehen kann? Da der Erfolg als dauerhafter unsicher ist, ist auch so die Erkennbarkeit meiner Erwählung unsicher.

2.Zusatz
Für G. Likacs kann die Magie wie auch die Religion nur fiktive Erfüllungen von menschlichen Bedürfnissen und Wünschen bieten. Nur: Dieser Philosoph geht selbst davon aus, daß über einen langen Zeitraum Menschen Magie praktizierten. Wenn diese Praxis niemals den gewünschten Erfolg gezeitigt hätte, wieso wurde sie dann immer wieder praktiziert?
Nun könnte die religiöse Verschiebung der Erfüllung ins rein Jenseitige  verstanden werden als Immunisierungsstrategie der Religion: Wenn alle Erfüllungen nur im Jenseits zu erwarten sind, können Nichterfüllungen im prämortalen Leben nicht als Infragestellung der Wahrheit der Religion in Anschlag gebracht werden. Nur die religiöse Praxis zeigt etwas ganz anderes auf. Im Wahlfahrtsort Altötting bezeugen ein unübersehbar großes Meer von Danktafeln, Maria hat erhört, sie half!, daß gerade Gläubige im diesseitigen Leben schon göttliche Hilfe vermittels der Fürsprache der Mutter Gottes erfahren haben. Wäre die Religion wirklich ausschließlich jenseitsorietiert, es gäbe gar kein praktizierte Religion sondern nur eine für wohl wahr gehaltende!   

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen