Mittwoch, 31. Januar 2018

Eine (fast) vergessene theologische Frage

Manchmal ist es für das theologische Denken wichtiger, gut zu fragen, statt nur Anworten zu geben, zumal eine gegebene Antwort ohne die ihr zu grundeliegende Frage nicht verstehbar ist. So kann die Christologie nicht verstanden werden, wenn man sie losgelöst von der Frage, wie ist Jesus Christus angemessen zu verehren, zu rekonstruieren versucht.
Vielleicht hat der Philosoph Schelling eine solche das theologische Denken wirklich weiter bringende Frage gestellt: "Was bedeutet die Menschwerdung Gottes in Gestalt Christi, sein Herabsteigen aus der Ewigkeit in das zeitliche Reich unserer Wirklichkeit, für Gott selbst?" (Slavoj Zizek, Ost und West begegnen sich, in: Die Puppe und der Zwerg, 2003, S.14)
Zumeist wird diese Frage erst gar nicht gestellt, weil  gleich anthropozentristisch nach der Bedeutung der Inkarnation Gottes für uns gefragt wird. Die heutige Standardantwort, damit in Jesu Liebe zu uns wir Gottes Liebe zu uns erführen, ist dann christologisch auch mehr als dürftig, wenn man sich daran erinnert , daß manchmal kurz danach in der selben Predigt wir hören, daß ein Kind in der Mutterliebe Gottes Liebe erfährt, der in der Gemeinde sich angenommen Erfahrene darin auch Gottes Liebe erfährt, ja das wir so oft so viel Gottesliebe erfahren vermittelt durch Mitmenschen, daß nicht mehr gesagt werden kann, wozu dann noch Jesus Christus überhaupt aufgetreten ist.  
Aber die Frage nach der Bedeutung der Inkarnation für Gott selbst ist demgegenüber eine wirklich theologische Frage. Seit dem Luther den Gegenstand der Theologie definierte als: der angeklagte Mensch und wie der Mensch durch den Glauben an Christus gerechtfertigt wird?, ist die christliche Theologie anthropozentristisch geworden, denn, das sagt uns schon die Begriffsbedeutung, daß die Theologie die Wissenschaft von Gott ist! Gott ist ihr Gegenstand! So führt uns Schellings Frage zurück ins Wesentliche der Theologie!
Zizek gibt nun im Sinne Schellings (?) mit diesen rhetorischen Fragen eine mehr als verblüffende Antwort: 
"Was, wenn das, was uns sterblichen Menschen als Herabsteigen Gottes zu uns erscheint, vom Standpunkt Gottes aus ein  Aufstieg wäre? Was, wenn die Ewigkeit, wie von Schelling impliziert, weniger wäre als die Zeitlichkeit? [En passant sei an den Prolog des "Titan" von Jean Paul erinnert, der diesen abstrakten Gedanken da uns sehr anschaulich vor Augen führt; es muß aber angemerkt werden, daß die Sprachvirtusiotät dieses wirklich großen Schriftstellers uns Heutige oft überfordert]"Was, wenn  die Ewigkeit ein steriler, ohnmächtig-impotenter,lebloser Bereich reiner Potentialität ist, die eine zeitliche Existenz  durchlaufen muß, um sich zu aktualisieren?[...]Was, wenn Gott sich nur dadurch aktualisierte, daß er von  den Menschen anerkannt wird?"  (S.14) Wir könnten es uns nun leicht machen, schlagen eine solide und zuverlässige Dogmatik auf; Ott, oder Diekamp und urteilen: alles abstrus und auch häretisch und für uns praktisch Gesonnene viel zu spekulativ, denn von Gott bräuchten wir nur den Glauben, daß er die Alles liebende Liebe ist und alles andere ist unnütze Phantasterei.
Aber vielleicht hilft uns diese Schellingfrage doch weiter! Zuerst: Schelling, wie eigentlich alle deutschen Philosophen außer Hegel können mit der Trinitätslehre nichts anfangen (das gilt für die zeitgenössischen Theologen ebenso- Hegel kritisiert das scharfsichtig in seiner Religionsphilosophie.) Was, wenn genau die Trintätslehre die erste Antwort auf diese Frage wäre:Daß Gott, indem er den Sohn zeugte (nicht schuf als Element der Schöpfung) seine rein monotheistische "Einsamkeit" und leblose Sterililität überwand, daß Gott also nur, weil er als Einer in sich drei ist, ein lebendiger Gott ist? Wenn wir das "vor" jetzt rein logisch und nicht zeitlich verstehen, hieße das, daß Gott vor der Setzung des Sohnes nur ein Bereich lebloser reiner Potentialität gewesen ist. Merke: Gott hat kontingent die Welt erschaffen,(so die Lehre der Kirche, er hätte sie nicht schaffen müssen, aber er hat notwendig den Sohn erzeugt- ohne ihn wäre er nicht der lebendige Gott, sondern etwas rein Unbestimmtes jenseits der Differenz von Sein und Nichtsein. 
Nur, wenn Gott nur rein monotheistisch gedacht würde wie in der jüdischen und der islamischen Theologie wäre er mit Schelling zu reden ein lebloser Gott. 
So könnte uns diese Schellingfrage erstmal wieder die Bedeutung der christlichen Trinitätslehre vor Augen führen, die in den Zeiten des interreligiösen Dialogisierens ad acta gelegt wird, weil sie nur noch als störend empfunden wird. 
Aber dann steht die Frage immer noch im Raume: Hat die Menschwerdung Gottes auch eine Bedeutung für Gott selbst- oder fragen wir lieber erst: Hat das Werk der Schöpfung auch für Gott selbst eine Bedeutung?  
Vergleichen wir Gott als Schöpfer einmal mit einem menschlichen Kunstwerkschöpfer (Siehe die Lehre von der Analogia entis). Ist ein Künstler ein Künstler, wenn er nie ein Kunstwerk schüfe? Der Potenz nach  ja, denn nur wenn er ein Kunstwerk schaffen kann, kann er es auch hervorbringen. Im Hervorbringen aktualisiert der Künstler die vordem in ihm ruhende Möglichkeit des Kunstwerkserschaffens. Die Möglichkeit geht so immer der Realisierung voraus.Könnte man sagen, daß Gott sein Gottsein als Schöpfer erst realisiert, als und indem er die Welt erschuf? Gott war ja auch noch nicht Vater, bevor er den Sohn setzte. Logisch geht dem Vatersein Gottes die Möglichkeit des göttlichen Vaterseins voraus. 
Daß Gott Mensch wurde, daß das zuvörderst eine Bedeutung für Gott selbst hat, das hat Anselm von Canterbury genial in seinem Werk: "Warum Gott Mensch wurde?" entfaltet. Er ist heutzutage der meist kritisierte und verurteilte Theologe geworden, gerade ob dieses Werkes!  Denn er kommt zu der Einsicht, daß nur ein Subjekt, das wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich ist, Gott gegenüber Genugtuung leisten kann für die gegen ihn vollbrachten Sünden! 
Aber doch reichen diese Antworten nicht in Gänze. Es bleiben Fragen offen! Wenn es das moralisch Gute nur geben kann als Negation des Nichtguten, daß ein Subjekt nur moralisch gut handelt, wenn es auch die Möglichkeit zum Nichtguten gehabt hatte, ist dann Gott Gott, wenn er nicht auch die Negation des Nichtgöttlichen ist, daß Gott nur Gott ist in einer Differenz zu etwas, was nicht Gott ist? Oder reicht dazu die innertrinitarische Beziehung schon aus, daß der Vater den Sohn setzt, um so in der Differenz zu ihm Vater zu sein und in der Aufhebung dieser Differenz durch die väterliche Liebe zum göttlichen Sohn die Einheit Gottes wider setzt als aufgehobene und nicht einfach negierte Differenz? 
Wir sehen, es wird schwierig. Danken wir also dem Philosophen Schelling für seine so anregende gute Frage!  

Corollarium 1
Der Anthopozentrismus ist gefährliches Gift für das theologische Denken und dann auch für die gelebte Religion!
    

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