Sonntag, 15. Juli 2018

Kunst und Wirklichkeit-oder ein Plädoyer für deutsche Philosophie

"Leicht ließe sich denken, daß ihr [der Kunst] autonomes Reich mit der auswendigen Welt nicht mehr gemein hat als entlehnte Elemente, die in einen gänzlich veränderten Zusammenhang treten." Diesen Gedanken finden wir in:  Adorno, Ästhetische Theorie, das letzte große Werk dieses Philosophen, das aber unvollendet blieb.
(Eine Nebenbemerkung: In conservativen Kreisen macht man es sich manchmal zu leicht mit der Kritik der "Frankfurter Schule" im Allgemeinen und im Besonderen mit Adorno. Es reicht eben zu wissen, daß die irgendwie alle marxistisch waren, die sexuelle Freizügigkeit propagierten und alle Werte und Normen der bürgerlichen Gesellschaft liquidieren wollten. Und irgendwie ist dann diese Schule schuld an allem, was nach 1968 dann bei uns daneben ging- war doch irgendwie dieser 68er Destruktionsprozeß von diesen Philosophen erdacht worden. Bedenklich ist dabei aber, daß die Hauptwerke Adornos in solchen Kritiken in der Regel gar nicht erwähnt werden, geschweige denn daß man sich mit ihnen auseinandersetzt.
Wer aber auch nur die ersten 10 Seiten etwa der "Negativen Dialektik, des "Jargons der Eigentlichkeit", "Die Dialektik der Aufklärung" und in seine Ästhetik liest, wird ad hoc verstehen, warum so verfahren wird: Selbst einem im Lesen von philosophischen Texten Geübten fällt das Verstehen nicht leicht. Es sind eben Produkte der Hochkultur philosophischen Denkens. Die Philosophie von Platon über Kant bis Hegel und Marx wird hier als selbstverständlich bekannt vorausgesetzt und darauf aufbauend, bejahend und kritisierend wird darüber hinaus gedacht. Aber den Kritikern reicht oft ein Blick in die "Studien zum autoritären Charakter" mit dem Basiswissen, irgendwie hat da Adorno herausgefunden, daß die bürgerliche  Familie an allem schuld sei, daß die so aufgelöst werden müsse und das reicht dann, um zu urteilen: So nicht. Schon die Frage,ob diese Studie nicht eher ein Nebenwerk  im Schaffen dieses Philosophen ist, wird dann nicht gestellt, damit man sich nicht genötigt sieht. die Hauptwerke lesen zu müssen.
Für Optimisten ist auch die Geschichte der Philosophie eine stetige Aufwärtsbewegung vom Dunkleren hin zu immer Klarerem, zu mehr Licht, auch wenn hier und da mal ein Irrweg beschritten worden ist. Ein Blick gerade in die Hauptwerke Adornos belehrt uns da etwas anderem: Daß es auch Zeiten des Niederganges gibt, daß da das Erbe, was auf die Jetzigen zukommt, ihnen zu groß ist, sie zu klein dafür sind. Der hochkomplexe Diskurs der Scholastik vor Luther ist ein Beispiel dafür, was passiert, wenn die Tradition nicht mehr weitergeführt werden kann, weil sie ihre Erben überfordert. Das lutherische "Sola scriptura" ist so auch eine kulturfeindliche Parole, daß man sich weigert, die Tradition fortzuführen. "All das vor uns Geleistete soll nicht mehr gelten- nur mein neues Denken, das ab ovo wieder anfängt, zählt!" 
Der deutsche Idealismus, auf Kant aufbauend, war gewiß der Höhepukt deutscher Kultur- aber wie schwer zugänglich ist uns das Denken eines Fichtes, eines Schellings und eines Hegels geworden!  Und selbst noch die "Frankfurter Schule" und ein Adorno schöpfen aus dem Reichtum dieses Denkens- es ist ihn ihren Werken präsent.
Es ist wohl keine allzu überspitzte These, daß erst der Import angelsächsischer Philophie mit ihrer Vorliebe für den Empirismus und Pragmatismus, mit ihrer antimetaphasischen Neigung  und ihre Vorherrschaft im heutigen Diskurs uns den Zugang zu unseren eigenen Traditionen verbaut. Die Verwestlichung Deutschlands ist immer auch eine Entfremdung vom Eigenen. Das hat natürlich auch etwas mit dem Vorurteil zu tuen, daß irgendwie die ganze deutsche Kultur und somit auch die Philosophie Auschwitz ermöglicht hätte als rein deutsche Untat. 
"Was tun?"- so frug schon Lenin, der mit Verlaub gesagt gerade den deutschen Philosophen Hegel und nicht nur Karl Marx aufs höchste wertschätzte!
Wenn uns die großen Werke unserer eigenen Kultur zu groß geworden sind- uns Kleingezüchteten, dann wollen wir wenigstens versuchen, Perlen und schöne Kleinode aus ihnen herauszufischen, um sich ihnen dann zu widmen!  (Vergleichbares ist ja auch in der Literatur erlebbar: Versuche man doch einmal, Jean Pauls Meisterwerk: "Der Titan" zu lesen! Welch eine Sprachvirtuosität begegnet uns da, die uns heutige Leser in unserem verarmten Deutsch so sehr überfordert! Wie arm ist da verglichen mit dieser Sprachkunst Jean Pauls selbst die Sprache unserer Gegenwartsliteratur!)

Jetzt zur Sache: Es ist wohl eines der verbreitesten Vorurteile, daß die Literatur und insbesondere der Roman eine Wirklichkeit widerspigele und daß so die Aufgabe der Literaturkritik die ist, das Widergespiegelte aus den Kunstwerken herauszukristallisieren.Die plumpeste Vorstellung ist dabei die, daß der Stoff eines Romanes sich aus der Biographie des Autoren erschlösse. Romane wären so eigentlich nur verschriebene Autobiographien. Dieser Ansatz kann nun gar noch ausgebaut werden, daß sich in einem Roman die gesellschaftliche Wirklichkeit widerspiegele und daß die Qualität der Widerspigelung ihre kritische Haltung zur gesellschaftlichen Wirklichkeit sei. Kunst müsse gesellschaftskritisch sein, "engagiert" parteiergreifend für den Fortschritt und die Humanität. So tönt es seit 68 in den germanistischen Lehrveranstaltungen. 
Wie nun aber, wenn Adorno hier recht hätte! Wenn die Literatur nichts Reales widerspiegelt, sondern daß sie  Kunstwelten erschafft, in die der Kunstnutzer sich versetzen läßt im Akt  des Lesens? "Wo bin ich denn, wenn ich mit den Hobbits aus Tolkiens: "Herr der Ringe" durch düstere Wälder wandere?  Ist nicht jedes Romanlesen ein Eintauchen in eine rein fiktive Welt, die  im Lesen mir zur realen Lebenswirklichkeit wird? 
Anthropologisch gesagt: Weil der Mensch als Geistwesen nie in der Natur heimisch werden kann, weil er Geist ist, schafft er sich künstliche Welten, um sich in ihnen zu beheimaten!Die Natur dagegen gestaltet er für sich um, um sie sich ihm genehm zu machen. Die komod gewordene Welt wäre so die vollständig kultivierte.
Es ist vielleicht eine der verhängnisvollsten Folgen des Übergewichtes des Denkens im Indikativ, daß das Denken primär auf die Wirklichkeit bezogen ist mit dem Ziel, das Wirkliche  adäquat zu erfassen. Aber es gibt auch das konjunktivische Denken: Es könnte auch Alles ganz anders sein! und das optativische: Wenn es doch so wäre! Vielleicht ist die Literatur mehr der Ort der Konjunktive  und Optative als der der Wirklichkeiten widerspiegelnden Indikative.  Erfassen wir aber nicht erst so, was das Eigentliche eines Kunstwerk ausmacht?
     

   

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