"Mit dem Hunger nach der Unendlichkeit wird der Mensch geboren;er spürt ihn früh;aber wenn er in die Jahre des Verstandes kommt, erstickt er ihn meistens leicht und schnell.Es gibt so viel angenehme und nahrhafte Sachen auf der Erde, es gibt so vieles, was man gern in den Mund oder in die Tasche schiebt." So reflektiert der Erzähler in dem Roman: "Der Hungerpastor" von Wilhelm Raabe im 4.Kapitel das Erwachsenwerden. "Der Hungerpastor" ist ein großer Entwickelungsroman; er zeigt aber das Sichentwickeln auch als eine Geschichte des Verlierens auf.
Es sei nun einmal der Versuch gewagt, ob dieser Entwickelungsgedanke nicht auch auf die Geschichte der Kirche applizierbar ist. Die Kirche verstand sich anfänglich als in der Welt, aber nicht aus ihr, sie war Jenseits orientiert und richte den "Hunger" der Menschen aus auf das ewige Leben mit der Frage, wie ist zu leben auf Erden, damit das ewige Leben als das Ziel des Lebens erreicht werden kann. Fragen wir nun, wann diese Jenseitsausrichtung aufhörte, das Herzanliegen der Kirche zu sein, dann können wir das nicht so klar bestimmen wie der fiktive Erzähler: wenn die Jahre des Verstandes kommen, aber es drängt sich doch der Eindruck auf, daß die Kirche jetzt so Diesseits orientiert ist, daß ihr das Jenseitige nur noch ein altes Traditionsstück ist.
Oder anders gesagt. Die Kirche findet so viele Aufgaben im Diesseitigen, so viel Gefallen an der Welt, daß ihr selbst das Himmlische fade und langweilig wurde. Sicher, von außen wurde gerade diese Jenseitsausrichtung massivst kritisiert. Es sei an Nietzsches Jenseitskritik erinnert, an die erfundenen Hinterwelten, an Karl Marx Kritik aller Jenseitsorientierung als Opium fürs Volk oder Heinrich Heines vulgäre aber wirksame Parole: Den Himmel überlassen wir den Spatzen, wenn wir auf Erden unseren Hunger mit Zuckererbsen stillen können. Nur, warum machte sich die Kirche diese Kritik zu eigen und lehrt nun auch die Treue zur Erde? Ist nicht der Umweltschutz neben der Propagierung von Multikulti zum Zentrum der kirchlichen Verkündigung geworden?Signifikant dafür ist ja die Ersetzung der Mission als Sorge um das postmortale Seelenheil durch die Dikonie als Sorge um die Bedürfnisse des Körpers, um Essen und Trinken, abstrakter um soziale Gerechtigkeit.
Ab wann steht das Projekt der Hunanisierung der Welt auf der Agendaordnung der Kirche ganz oben und verdrängte so die Verkündigung vom ewigen Leben? Ist nicht auch das Nein des Papstes zur Todesstrafe wider die Lehre der Kirche nicht nur ein Beitrag zur Humanisierung der Welt sondern auch das Eingeständnis, daß man selbst auch nicht mehr recht auf das Leben nach dem Tode hofft und darum den Wert des endlichen verabsolutiert? Die Welt ist der Kirche so lieb und teuer geworden, daß sie darüber den Himmel vergißt. Oder anders gesagt: Die Hoffnung auf die Hunanisierbarkeit der Welt eröffnet so viele Möglichkeiten der Hungerstillung, daß die Jenseitshoffnung ihren Reiz verlor.
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