"hast du nicht auch schon bemerkt, daß hienieden alles Theater ist?
Begibt es sich doch auf der Bühne des Daseins und entbehrt weder der Tragik noch der Komik.Ein jeder lebt seine Haupt- oder Nebenrolle und die Statisten sind gedrillt, im gegebenen Augenblick aufzujauchzen oder in trauernd schleppendem Gang über die Szene zu schleichen.
Wohl dem, der die Rolle eines Zuschauers erwischt hat und einen Parkett-oder Logenplatz einnehmen darf wie du, teurer Leser und du, zarte Leserin, es hier tun sollst. [...]
Sitzest du gut? Ja?-Kannst du alles sehen? Schön. Also raschele nicht mit Bonbontüten oder Butterbrotpapier, sondern merke auf. Der geniale Regisseur Schicksal, sparsam im Lob und freigiebig in Strafgeldern, gibt das Zeichen. Alles Licht springt von der Decke und den Wänden fort an die Rampe.Erwartugsvolles Schweigen legt sich um dich wie ein schwerer Mantel, der alles störende Geräusch absängt.
Der Vorhang rollt auf.
Das Spiel hebt an."
Ernst Alexander, Hinter Herrgotts Rücken. Ein tragikomischer Roman, 1937, S.7
Ein brillanter Einstieg eines Romanes:
a) die Vorstellung einer Theateraufführung, das Stück beginnt gleich und die Zuschauer werden aufgefordert, sich nun auf das Kommende zu konzentrieren
b) wird diese Theatervorstellung des Anfangens auf den Leser des Romanes übertragen: Er möge das Buch lesen, wie ein Theatergast ein Theaterstück anschaut und
c) wird nun das ganze menschliche Leben als ein Theaterstück angesehen, in der wir Menschen unsere uns aufgetragene Rolle spielen.
Was in a) der Schriftsteller ist, in b) der Theaterregisseur, das ist in c) das Schicksal.
Der Begriff des Schicksales steht hier selbstredend für Gott, den Herrgott, wie der Autor es treffend sagt, weil hier Gott unter einem bestimmten Aspekt zu stehen kommt, als der Herr der Geschichte, der die Welt regiert. Es ist der uns verborgene Gott in seinem Regieren für uns, die wir im Glauben, aber noch nicht im Schauen leben. Wie ein Regisseur oder wie ein Schriftsteller regiert Gott.
Und der Mensch: In einer Doppelrolle existiert er in allen drei Fällen: als Roman- oder Theaterfigur
oder als Mensch in der Menschheitsgeschichte und er ist immer auch als Reflektierender der Zuschauer, der Leser des Romanes, der Zuschauer des Theaterstückes und als Geschichtsdeuter der Menschheitsgeschichte.
Kaprizieren wir uns auf den Schauspieler auf der Bühne: Er spielt eine ihm vorgegebene Rolle, aber in der Aufführung interpretiert er sie auch- er individualisiert die Rolle. Das ist seine Freiheit. Auf dieser Ebene des Schauspieles kann so die Frage der Verhältnisbestimmung von Schicksal und Freiheit beantwortet werden: Das Schicksal gibt die Rolle zur freien Interpretation. Das wird so auch für die Menschheitsgeschichte gelten, denkt man sie streng theologisch und nicht nur moralisch: Lebten die Menschen in ihr, wie sie es sollten?
Die Idee des Theaters enthält aber noch mehr: Wer genau liest, kann hier einen Vorrang des kontemplativen Lebens vor dem aktiven herauslesen: Das dem Menschen Wesentliche ist, daß er eben von sich und seinem Rollenleben Abstand nehmen kann, indem er sich zuschauend reflektierend dazu verhält."Wohl dem, der die Rolle eines Zuschauers erwischt hat". Warum? Weil vielleicht nur in der Reflexion er ein ihm gemäßes Verhältnis zu seinem Leben findet, indem er es anschauend als eine Rolle in Gottes Welttheater begreift.
Es ist doch erstaunlich, wie Tiefsinniges in einem so schlichten Unterhaltungsroman gefunden werden kann, liest man nur aufmerksam!
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