Samstag, 17. November 2018

Über Vorurteile in der Literaturwissenschaft- oder eine Kritik des Prinzipes der Hoffnung, plus 3 Zusätzen


Liebesromane stehen im Verruf und so bekennt sich kaum wer dazu, sowas zu lesen. Aber an jedem Bahnhofskiosk werden sie zu Hauf angeboten und finden wohl auch ihre Leser. Eigentümlich, daß kaum wer bestreiten würde, daß das Lieben und Geliebtwerden zu dem Wichtigsten des Lebens gehört, aber davon wollen, wenn überhaupt nur Frauen lesen. Noch eigentümlicher, daß in der Kirche fast nur noch von der Liebe gepredigt wird, von dem alle liebenden Gott und uns, daß wir unsere Mitmenschen, aber vorallem die Asylanten zu lieben haben.
Die ungekrönte Königin des Liebesromanes ist nun Hedwig Courths-Mahler. Keine wird auch so wie sie geschmäht. Es drängt sich fast der Verdacht auf, daß der Ausgangspunkt dieser Schmählust kollegialer Neid sei. daß angesichts geringer Verkaufszahlen der Eigenwerke eben die Niveaulosigkeit ihrer Romane als Grund des Erfolges bezeichnet wird: Schrieb ich so kitschig, hätte ich auch solchen Erfolg, aber dafür bin ich mir zu schade. Courths-Mahlerr redete ja selbst ihr literarisches Schaffen  klein, im Gegensatz zu Karl May, indem sie sich herabstufte zu einer Märchenerzäherin für Erwachsene. Karl May wurde angegriffen und mußte viele Prozesse führen gegen Verleumdungen, Courths-Mahler machte sich so klein, daß sie nicht angegriffen wurde, sodaß sie ungestört schreiben und gelesen werden konnte. Sie schrieb ja im Abseits, außerhalb des literarischen Wettbewerbes in der Kategorie: Kitsch. 
Es gehört so zum guten Ton, ihre Werke als Kitsch abzutuen. Nur, wie fundiert die Literaturwissenschaft dies Werturteil. Dieser Begriff läßt uns sofort Problematischtes erwarten, denn Werturteile gelten seit Max Weber als unwissenschaftlich, ja eigentlich gar als irrational- sagen wir es schöner für die Kunstwissenschaft als rein subjektiv. Diese reine Subjektivität des Geschmacksurteiles wird dann nur noch durch gesellschaftliche Konventionen überwunden, daß es zum guten Ton gehört, Liebesromane zu verachten, Pornographisches nicht zu verteufeln, um nicht als spießig zu gelten und Fremdländisches mehr zu schätzen als deutsche Literatur, um eben politisch korrekt zu sein.
Wikipedia faßt die Literaturkritik so- wohl treffend- zusammen (Artikel: Courths- Mahler):Hedwig "Courths-Mahlers Werke folgen allgemein dem gleichen Muster: Sozial Benachteiligte überwinden Standesunterschiede durch die Liebe. Die Liebenden kämpfen gegen allerlei Intrigen und finden schließlich zueinander, erlangen Reichtum und Ansehen. Trotz der ständigen Kritik an den Klischees in ihrem Werk und der aus heutiger Sicht konservativen Ansichten der Autorin über das männlich-weibliche Rollenverhalten finden ihre Bücher bis heute eine breite, vor allem weibliche, Leserschaft." Die Kritik kapriziert sich so auf einen Vorwurf, auf das conservative Welt- und Frauen- und Männerbild! Frügen wir nämlich danach, was denn das Klischeehafte ihrer Romane ausmache, bekämen wir wiederum nur die Antwort: das conservative Rollenverständnis der Frau, daß die ihr Glück nur in der Liebe zum rechten Mann finden könne.
Leserin finden ihre Romane also nur noch, weil sich noch nicht alle Frauen von diesem Frauenbild emanzipiert haben, daß das wahre Glück der Frau darin bestünde, gleichberechtigt werktätig zu sein im Berufsleben, sich so weit wie möglich von der Rolle  der Frau als Mutter und Hausfrau zu befreien. Reaktionär ist das Leben der Frau in der Familie mit Kindern und Küche, progressiv, wenn sie 8 Stunden am Fließband sich selbstverwirklicht ohne eigene Kinder und ohne Ehemann.
Aber vielleicht enthalten ihre Romane noch mehr unmoralisch Conservatives, daß so diese Autoren  rechtens verurteilt wird!
Da kann bei ihr gelesen werden: "Aber tröste dich mit mir, meine Hoffnungen und Wünsche sind auch nicht in Erfüllung gegangen.Sie sind zu Wasser geworden, und nun heißt es schwimmen,damit man nicht ersäuft- im eigenen Elend ." Hedwig Courths-Mahler, Im Buchengrund, Bastei Nr.34, S.45.
Ist das conservativ? Ja, wenn man es mit der Erfahrung des Bürgertumes mit der Französischen Revolution verbindet, der Geburtsstunde des Conservatismus, daß aus dem radicalen Streben nach der Verwirklichung des Guten, der Revolution, soviel Terror und Elend entstand, daß nun die Einsicht populär wurde, daß jedes das Gute Realisierenwollen Alles nur noch schlimmer mache, daß Hoffnungen und Träume nur ins Unglück führen, a) indem sie nicht sich realisieren lassen oder b) indem sie realisiert werden, dann alles nur noch schlimmer wird. Die Hoffnungen machen das Elend des Menschen, indem sie realisiert  oder indem sie nicht realisiert werden.
Lesen wir daraufhin diesen Text noch mal, finden wir gerade dies darin sprachlich gelungen zum Ausdruck gebracht. Die Hoffnungen und Wünsche sind zu Wasser geworden, in dem nun der einst Gehofft- und Gewünschthabende zu ertrinken droht. Die Nichterfüllung läßt nicht einfach das Hoffen und Wünschen zum Verschwinden bringen, mitnichten, denn es verwandelt das Hoffen und das Wünschen in etwas Lebensbedrohendes. Dies Hoffen und Wünschen distanziert den Hoffenden und Wünschenden von seiner Lebensrealität, er lebt in ihr als einer Realität, die nicht mehr so bleiben soll, wie sie ist. Der Hoffende lebt so mehr in dem Erhofften und Gewünschten als in der Realität. Wie kann er aber weiter in dieser Realität leben, wenn er nicht mehr in dem Erhofften und Gewünschten leben kann. Die Realität bleibt ihm, der einst gehofft und gewünscht hat, das, was nicht sein soll, das, was zu überwinden ist, aber nun steht da die Erfahrung, daß das Ersehnte nicht realisiert werden konnte, indem die Realisierung fürchterlich war oder indem das Ersehnte als unrealisierbar sich erwies. Wie nun in dieser verneinten Realität weiter leben, ist da doch noch die Erinnerung an das von Hoffen und Sehnen erfüllte Leben, das den Hoffenden aus der Realität entführte, um im Imaginären zu leben, in den Träumen.
Die Stoa wußte von diesem Problem:   
 "Ein gutes Leben ist ein Leben ohne Hoffnungen und Ängste, das Leben, das mit dem, was ist, versöhnt ist, eine Existenz, die die Welt so akzeptiert, wie sie ist."  (https://www.narabo.de/einfuerung-in-die-philosophie-der-stoa
Courths Mahler erweist sich hier als Stoikerin! Das conservative: "Die Welt so akzeptieren, wie sie ist" bildet so den Antipol zu Blochs "Prinzip der Hoffnung" und gründet sich in der bitteren Erfahrung, daß durch Revolutionen, die das Gute realisieren wollten, Alles nur noch schlimmer wurde, daß dann nach dem Scheitern der Revolution die Wirklichkeit nicht wieder zu etwas Bejahenswerten wird und daß das Bejahenswerte sich als nicht realisierbat erwies, denn indem es realisiert wurde, erwies es sich als das Allerfürchterlichste. Es ist eine Kunst, dann weiter zu leben, nicht ohne Hoffnung, denn dann könnte ja die Realität einfach affirmiert werden, aber die Hoffnung, die nicht sich realisieren lassende bleibt (jetzt zu "Wasser" geworden) und verunmöglicht ein Leben in der Realität, denn sie erinnert stets an den zu verneinenden Charakter der Wirklichkeit.
Die Stoa empfiehlt so ein Leben ohne jedes Hoffen, um so glücklich in der alternativlosen Wirklichkeit zu leben. Das Elend ist so- stoisch gedacht- immer das Hausgemachte durch unser Hoffen und Wünschen. Und was ist der Trost? Daß es allen Menschen so mit ihren Wünschen und Hoffnungen geht; es gibt keinen, dessen Hoffen und Wünschen positiv sich erfüllen, eben nur als Enttäuschung. Dabei setzt Courths Mahler den Neid als Widerpart zu einem Weiterlebenkönnen. Denn gäbe es Menschen, deren Wünschen und Hoffen sich positiv erfüllte, wie sollte dann der Enttäuschte und Desillusonierte noch weiter leben können, Glückliche vor Augen habend.
Diese kleine Passage zum Troste für Desillusinierte, das soll nun Kitsch sein? Ist das nicht eine Verkennung der finsinnigen Psychologie dieser kleinen Passage- und wie viele weitere Schätze fänden sich in dem Gesamtwerk dieser Autorin, fände sie aufmerksame Leser.

Corollarium 1
Zwei Tragödien gibt es im Leben: Die eine, nicht zu bekommen, was das Herz wünscht, die andre, es zu bekommen.  Bernhard Shaw

Corollarium 2
Die Revolution ist die erfolgreiche Ansrengung, eine schlechte Regierung loszuwerden und eine schlechtere zu errichten   Oscar Wilde
Corollarium 3
Der Christ kann so nie ganz heimisch in der Welt leben, weil ihn die christliche Hoffnung entweltlicht, ihn immer auch zum Verneiner der Realität macht um des Reiches Gottes willen. 



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