Heillen verteufeln? Zu einer befremdlichen Medizintechnikritik
Mit dieser reißerischen Überschrift beglückte das "Christliche Forum" am 21.5.2019 seine Leser-schaft, um gegen die Bewegung des "Transhumanismus" zu polemisieren. Angesichts der allgemeinen Technikphobie und der antiintellektualistischen Wissenschaftsfeindlichkeit nicht nur in Deutschen Landen fällt diese Polemik sicher auf fruchtbaren Boden. Die Fortschritte im Raume der Medizintechnik stehen dabei im Focus der Kritik. Aber hier muß genauer nachgedacht werden: Es ist wohl keine Übertreibung, wenn geurteilt wird, daß die christliche Religion einerseits wegen ihrer "leib- und lustfeindlichen" Sexualmorallehre und andererseits wegen ihrer Lehre, daß es die Bestimmung des Menschen sei, sich die Natur zu unterwerfen, in der heutigen Kritik steht: Irgendwie sei doch die christliche Religion schuld an der "Ausbeutung" und "Zerstörung" der Natur ob dieses Beherrschungsauftrages. (Nebenbei: Ist das nicht auch ein Herzstück der Philosophie Heideggers: der moderne Mensch, der sich durch die Technik die Natur unterwirft?). Es muß ja wohl ein Zusammenhang bestehen zwischen der christlichen Religion und dem Faktum, daß gerade christlich geprägte Länder die moderne Technik hervorbrachten.
Und zur Medizintechnik im Besonderen: Jesus Christus heilte Kranke; nie sagte er zu ihnen, daß das Kranksein doch gar nicht so schlimm sei, daß es für einen Blinden wichtiger sei, Jesus als den Sohn Gottes zu erkennen, als sehen zu können! Nicht lehrte er den Quitismus als höchste christliche Tugend, sich mit dem Schicksal der Krankheit abzufinden- stattdessen heilte er durch seine Wunder. Uns Christen in der Nachfolge ist es in der Regel nicht gegeben, Kranke durch Wunder zu heilen, aber die Praxis Jesu Christi beflügelte nun die Medizintechnik, die ärztlichen Heilungsmöglichkeiten zu verbessern. Konkreter: Wer würde, vor die Alternative gestellt, sterben zu müssen an seinem erkrankten Herzen oder sich ein künstliches Herz implantieren zu lassen, den Tod wählen aus einer Abneigung der Vorstellung gegenüber, daß dann ein künstliches Herz in seiner Brust schlüge? Aber ein Mensch mit einem künstlichen Herzen, das ist schon die Cyborgisierung des Menschen, daß in ihn Technik integriert wird. Mit Kleinlichkeiten fängt es an: mit den künstlichen Zähnen über künstliche Hüften bis zum Herzschrittmacher. Künstliche Augen, mit deren Hilfe Blinde sehen können, sind nicht mehr reine Zukunftsromanvorstellungen.Immer geht es dabei darum, Erkrankten und Leidenden durch künstliche Implantate das Leben zu erleichtern.
Aber o Wunder, statt diesen medizintechnischen Fortschritt im Dienste der Menschen zu feiern, erphantasieren sich nun Kritiker alle möglichen eventuellen Gefahren dieser Technik. Sie gleichen Menschen, die angesichts der Möglichkeiten von Flugzeugabstürzen das Fliegen verbieten möchten, und das Autofahren gleich dazu, denn es ereignen sich ja jedes Jahr tödliche Verkehrsunfälle. Nur, daß die Gefahren, vor denen dann gewarnt wird, so konfus sind, daß nicht einmal sie konkret benannt werden können. So wird eben auf das Schüren irrationaler Ängste gesetzt. Der Mensch wolle so den homo perfectus erschaffen- solch eine Hybris müsse sich aber rächen! So wird die Heilmedizin perhorresziert zu Lasten der Kranken und Leidenden. Es gab und gibt auch heute Erbkrankheiten, die für die Betroffenen ihr Schicksal sind, die eben nicht mehr therapierbar sind und die so nicht nur für die Eltern sondern auch für die betroffenen Kinder sehr viel Leidenmüssen zur Folge haben. Nur, was bisher ein bitteres Schicksal war, das kann durch die Medizintechnik bei weiteren Fortschritten zu therapierbaren Erkrankungen werden. Hierbei gilt ja immer: Je früher therapeutisch eingegriffen wird, desto mehr verbessern sich die Heilungschancen. Und darum werden operative Eingriffe pränatal sicher nicht erst in ferner Zukunft zum Standartprogramm der Medizin gehören. Die Therapieerfolge werden dann diese Praxis auch legitimieren.
Zur Naturbeherrschung gehört so gerade auch diese Medizintechnik und auch das Projekt der Cyborgisierung des Menschen, daß eben natürliche Defekte durch künstliche Plantate behoben werden, daß irreversibel erkrankte Organe durch künstliche ersetzt werden können! Das menschliche Leben auf Erden ist eben ein stets gefährdetes: Krankheiten und Unfälle bedrohen das Leben. Die Technik ist nun der große Versuch des Menschen, sich vor diesen Gefährdungen zu schützen. Daß dabei die Schutzmittel selbst wieder zur Gefährdung für den Menschen werden können, das gehört zur Tragik unserer Existenz: Das Herdfeuer, das uns das Kochen ermöglicht und uns erwärmte Räume selbst im Winter ermöglicht,führt eben immer wieder auch zu Wohnungsbränden mit verbrannten Menschen- aber wollen wir deshalb auf die künstliche Wärme verzichten und im Winter frieren, bloß um natürlich zu leben? Nicht die Technik ist das Problem, sondern die völlig irrationalistische Technikphobie.
Zusatz:
Leider wird auch im katholischem Raum die Bedeutung der Leibes und damit auch seiner Gene und allem Sonstigen des Leibes überschätzt. Der Grund dafür liegt in dem Vergessen der Seele, die die Individualität und die Identität des einzelnen Menschen ausmacht. Sie entsteht ja nicht aus dem Geschlechtsakt, sie ist so auch nichts Natürliches, denn alles Natürliche entsteht aus Natürlichem, während die Seele unmittelbar von Gott erschaffen wird. Die wird nicht durch eine Cyborgisierung beeinträchtigt, sondern es ändert sich nur dies: Wenn bisher der Mensch Technisches als außer sich benutzte, um etwas zu bewirken, so wird nun Technisches in den Körper integriert, sodaß so der Mensch, die Seele die Technik als Teil ihres Körpers benutzt. Zur Veranschaulichung: Sehen Menschen mit geschwächter Sehkraft durch künstliche Gläser einer Brille, so könnten zukünftig Blinde durch künstliche Augen sehen; das Künstliche wird so verinnerlicht mit dem Zwecke des Sehenkönnens, wozu die natürlichen Augen nicht in der Lage sind ob einer Erkrankung.
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