Samstag, 18. Mai 2019

Sich ans wissenschaftliche Weltbild klammern- aus Angst?

"Gunnar, der nüchterne Chemiker, klammerte sich an sein wissenschaftliches Weltbild und seine Skepsis. Wo kam die Welt hin, wenn plötzlich Geister und übernatürliche Erscheinungen existierten sollten?" Earl Waren, Die Seehexe, Gespenster-Krimi Nr. 16, S.13f. Für einen naiven Fortschrittsglauben ist das eine klare Angelegenheit: Die Wissenschaft progressiert, überwindet alle religiösen und metaphysischen Weltbilder, bis eine völlig klare durchschaute Welt ersteht. (August Comte). Bedauerliche Regressionen können diesen Fortschritt aber nicht aufhalten: ein völlig entzauberter Kosmos, der keinen Platz mehr läßt für irgendetwas Übernatürliches. Wunderbares ist eben nur das naturwissenschaftlich noch Unbegriffene. Der "Homo faber" triumphiert. (Max Frisch).
Wie nun aber, wenn dieses "wissenschaftliche Weltbild" gar nicht einfach nur das Produkt menschlichen Erkenntnisstrebens ist? Wie, wenn es mehr einem Schafe gleicht, das erklärt, daß es in einer Welt der Schafe keine Wölfe geben könne, deren Leibspeise Schafsfleisch sei, daß also alle Wölfe Vegetarier seien? Die Befreiung aus einem Leben in der Furcht vor Übernatürlichem kann eben auch in der Autosuggestion bestehen, daß in dieser Welt nichts Übernatürliches sich ereignen könne, daß unsere Lebenswelt einem Tresor gleiche, in dem wir geschützt vor allem von Außen eindringen Könnendem, dem Übernatürlichem, dem Irrationalen sicher leben können. Nur unsere noch nicht aufgeklärten Vorfahren sahen eben im flackernden Kerzenlicht Geister, Daimonen, Untote, aber das kalte Neonlicht vertrieb all diese Schattengebilde.
Das erkenntnisleitende Interesse des wissenschaftlichen Weltbides wäre so nicht einfach nur das der Optimierung der Naturbeherrschung durch den Menschen, daß er sie sich unterwirft zu seinem Eigennutz, es wäre auch die Hervorbringung einer Welt, die alles Übernatürliche aus ihr verbannen will, wie in einem wissenschaftlichen Weltbild von Schafen, wenn sie denn eines hervorbringen könnten kein Platz für fleischfressende Wölfe es geben kann. So schüfe uns erst die Wissenschaft eine humane menschenverträgliche Welt. Die bekannte Antifeministin Camile Paglia begreift das als  das apolinische Weltbild. (vgl ihr Werk: Die Masken der Sexualität). Es ist eine Welt, geschaffen für Menschen, die wie Schafe in einer Welt ohne Wölfe leben wollen, einer Welt, in der das Böse nur eine Fehlentwickelung von eigentlich vegetarischen Wölfen zu Schafsfleischfressern darstellt.
Das Übernatürliche, Übermächtige ist ja von Natur aus nicht selbstvständlich immer den Menschen etwas Wohlgesonnes, sie gar Liebendes. Die Religionen wissen sehr wohl von dem Zorne der Götter, ja selbst die Bibel bezeugt uns den Gott Jesu Christi als den Gott, der in seinem Zornesgericht über die Sünde fast alles Leben auf der Erde ausrottete, und nur sehr wenige in der Arche Noah überleben ließ! Erst die Aufklärung wird den Gott der christlichen Religion von solch Entsetzlichem purifizieren und den Teufel und alles Daimonische als Produkte voraufklärerischem Aberglaubens dekonstruieren. Aber nur daß ich aufhöre, an den Teufel zu glauben, bringt ihn nicht zum Verschwinden.
"Und doch, könnte es nicht vielleicht Ausnahmen geben? Fälle, in denen durch außergewöhnliche Ereignisse oder Kräfte die Barrieren außer Kraft gesetzt wurden, die das Diesseits vom Jenseits trennten, die Welt der Lebenden von den Gefilden der Toten? Das Natürliche von dem Übernatürlichen?" (S. 14) Diese Offenheit für die Möglichkeit des Erscheinens Übernatürlichen mitten in unserer ach so eindimensionalen Welt stellt die Grundlage jeder Religion dar. Deshalb wird jede Religion auch immer das wissenschaftliche Weltbild verstehen als Wille des Menschen, sich eine Welt zu schaffen, in der er allein Zuhaus der Herr dieser seiner Welt sein möchte, um das Gefühl abzuwehren, daß vielleicht ganz andere Mächte als er das Leben bestimmen, daß er von solchen übernatürlichen  Mächten abhängig ist.Der "Homo faber" klammert sich an dieses Weltbild, weil auch in ihm ein Ahnen von etwas ganz Anderem ist. Vielleicht ist es gerade ein Verdienst des Genres des Horrorromanes, diese verdrängten Ahnungen auszuphantasieren, sie uns vor Augen zu stellen. (Gern empfehle ich hier H.P.Lovecraft als Meister dieses Genres.)

Die größte Gnade auf dieser Welt ist, so scheint es mir, das Nichtvermögen des menschlichen Geistes, all ihre inneren Geschehnisse miteinander in Verbindung zu bringen. Wir leben auf einem friedlichen Eiland des Unwissens inmitten schwarzer Meere der Unendlichkeit, und es ist uns nicht bestimmt, diese zu bereisen. Die Wissenschaften - deren jede in eine eigene Richtung zielt - haben uns bis jetzt wenig bekümmert: aber eines Tages wird das Zusammenfügen der einzelnen Erkenntnisse so erschreckende Aspekte der Wirklichkeit eröffnen, daß wir durch diese Enthüllung entweder dem Wahnsinn verfallen oder aus dem tödlichen Licht in den Frieden und die Sicherheit eines neuen, dunklen Zeitalters fliehen werden.“1
1Lovecraft H.P., Cthulhus Ruf. In: Lovecraft, H.P., Cthulhu Geistergeschichten, Deutsch von H.C. Artmann, 1972, S. 193.
 

  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen