Sonntag, 13. August 2023

Selbst die rohesten Völker glauben an ein jenseitiges Leben - oder: Wie tief sind wir gesunken!

Selbst die rohesten Völker glaubten an ein jenseitiges Leben Traute man dem aktuellen theologischen Diskurs, müßte man sagen, daß eines der Hauptprobleme der jetzigen Kirche und der Theologie die defizitäre Kantrezeption wäre. Ja, die nötige Modernisierung der Kirche und ihrer Theologie verlange zuvörderst, den Philosophen der Aufklärung Asyl zu gewähren, diesen als den Protestantenphilosophen verklärten Denker. Untersuchten nun Theologen Kants Denken zu der zentralen Kontroverse zwischen katholischer und reformatorischer Theologie, der Frage des Verhältnisses von der Natur zur Gnade und der Frage des freien Willens, fiele das Urteil irritierend klar aus: Kants Position ist in diesen Zentralfragen inkompatibel zur reformatorischen Theologie, ja man müßte seine Position eigentlich als pelagianistisch beurteilen, daß der Mensch, das was er soll,von seiner Natur aus auch könne ohne eine gnadenhafte Beihilfe. Nur Kants Verurteilung der Kirche als einer Institution der kultischen Gottesverehrung paßt zur liberalen Tradition des Protestantismus. Dieser Aufklärungsphilosoph urteilt nun, daß selbst „die rohesten Völker“ „einen Glauben an ein künftiges Leben,mithin ihren Himmel und ihre Hölle sollen gehabt haben;denn dieser Glaube dringt sich,kraft der allgemeinen moralischen Anlage in der menschlichen Natur,jedermann von selbst auf.“ (Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, 3.Stück,2.Abteilung: Historische Vorstellung der allmählichen Gründung, Reclamausgabe,1974,S.167) Heute würde kein Philosoph und kein Vertreter einer „vernünftigen“, aufklärungskompatiblen Religion das noch vertreten, ja die Hölle und genau genommen auch der Himmel sind doch rein mythologische widervernünftige Vorstellungen. Etwas anderes müßte Theologen irritieren: Nicht fundiert sich hier die Moral aus dem Glauben an den Himmel oder die Hölle:Wie muß ich leben, damit ich in den Himmel und nicht in die Hölle komme?,wobei die zu erfüllenden Bedingungen für den Eingang in das ewige Leben des Himmels Gott selbst offenbaren müßte, denn wie könnte die menschliche Vernunft denn erkennen, welche Bedingungen Gott bestimmt hat. (Zur Veranschaulichung: Versuche einmal, die Einlaßbedingungen in das Reich Gottes, wie sie in der Bergpredigt als Entfaltung des 15.Psalms lehrt, rein vernünftig zu rekonstruieren!) Kant setzt die Moral voraus, expliziert in seiner praktischen Vernunft, um aus ihr nicht nur die Existenz Gottes sondern auch das ewige Leben oder die Hölle als denknotwendig zu postulieren. Der Kerngedanken läßt sich so formulieren: Die Moral, die vom Menschen sittliches Leben verlangt, also ein gerechtes Leben setzt aus sich den Gedanken, daß der gut gelebt Habende (im sittlichen Sinne) auch ein gutes Leben (im Sinne des einem Gutgehens) erwarten darf. Im irdischen Leben fällt das gute Leben im Sinne der Moral und das gute Leben im Sinne des: Es geht einem gut, auseinander. Das widerspricht aber der Gerechtigkeit. Gerecht geht es nur zu, wenn es dem gut Lebenden auch gut geht und dem nicht gut lebenden auch nicht gut ergeht. Das so es am Ende sich ereignen wird, garantiert allein der allmächtige Gott, der so den Guten den Himmel, den Bösen die Hölle beschert. Also impliziert die jedem Menschen eingeschriebene Anlage zur Moralität den Glauben an ein ewiges Leben oder an die Hölle. Die Motivation zum moralischen Handeln darf nun nach Kant nicht in dem Streben nach dem ewigen Leben sein,sondern das Gute ist aus reiner Pflichterfüllung zu tuen. Das Was des Guten ist dabei durch die praktische Vernunft hinreichend erkennbar. Aber da es unrecht wäre, würde der gut Lebende im moralischen Sinne dann nicht auch ein gutes Leben hätte,garantiert Gott das gute Leben im ewigen Leben. Die Gerechtigkeit fordert aber auch die Hölle für den amoralisch gelebt Habenden. Da nun allen Menschen diese moralische Anlage zu eigen ist, müßten zumindest jedem Menschen, der über seine Bestimmung zu einem moralischen Leben nachdenkt, ein Glaube an ein ewiges Leben zu eigen sein. Dem Menschen als Vernunftwesen wäre so aufbauend auf seine Anlage zur Moralität eine natürliche vernünftige Religion zu eigen, in der an Gott und das ewige Leben und gar an die Hölle geglaubt wird. „Die Gerechten aber leben in Ewigkeit,der Herr beohnt sie,der Höchste sorgt für sie“, so heißt es in der Weisheit 5,15. Für das weisheitliche Denken der Bibel ist der gerade skizzierte Gedankengang Kants nicht völlig fremd: Es wäre ungerecht, wenn der gerecht gelebt habende nicht von Gott mit dem ewigen Leben belohnt würde. Gott ist aber gerecht. Aus dem Vertrauen auf Gottes Gerechtigkeit entwickelte sich so der Vertrauensglaube auf das ewige Leben. Gott verläßt die Gerechten nicht, wenn sie gestorben sind, er läßt sie nicht tot sein. So glaubte der Apostelfürst Paulus ja auch nicht an die Auferstehung der Toten, weil ihm Jesus vor Damaskus erschienen war, sondern weil er an sie als Pharisäer an sie glaubte. Das Abstruse der jetzigen Debatte um eine vernünftige aufklärungskompatible Theologie ist nun, daß das, was Kant als vernünftig zu glauben explizierte, jetzt als unvernünftig gilt. Ja, der Glaube an die Hölle sei gar vernünftig!

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