Ein sehr irritierender Gedanke zur Vergebung der Sünden durch Gott – oder ein unzeitgemäßer Gedanke zum Fegefeuer1!
Nicht gleich in medias res soll hier gestartet werden, sondern es wird ein kleiner Umweg eingeschlagen, um so sicherer zum Ziel zu gelangen. Man möge sich bitte dieses vorstellen: Ein Ehepaar, beide arbeiten in der selben Firma: Auf einer Betriebsfeier, auf der der Alkohol in Strömen floß, vergewaltigt ein Kollege diese Ehefrau. Der Ehemann geht zu seinen Kollegen und vergibt ihm diese Untat um des kollegialen Miteinander willen, Dann sagt er zu seiner Ehefrau: „Dem Täter habe ich vergeben und ihn dann auch zu einem Abendessen eingeladen zum Zeichen unserer Versöhnung. Sei also so freundlich wie bisher auch zu diesem unseren Kollegen!“
Wie ist dies Verhalten des Ehemannes moralisch und aus einer christlichen Perspektive zu beurteilen? Darf er und kann er die an seiner Frau begangene Untat vergeben? Er kann wohl als ein Mitbetroffener dem Täter seine Schuld vergeben,seine Frau wurde ja vergewaltigt, aber diese Untat selbst kann doch nur das Opfer selbst vergeben, wenn sie sich dazu in der Lage sieht und es auch will. Hätte so die Ehefrau nicht ein Recht, dieses Versöhnungsessen abzulehnen, weil sie ihm diese Untat nicht oder noch nicht verziehen hat?
Nun soll in diese Geschichte Gott als Sünden Vergebender eingezeichnet werden. Jesus Christus ist für unsere aller Sünden am Kreuze gestorben. Was, wenn somit Gott zu diesem Vergewaltiger sagt: „Dir vergebe ich um des Kreuzes Jesu Christi willen diese Sünde“? Der Vergewaltiger hat mit seiner Untat wider Gott und wider diese Frau gesündigt. Vergibt Gott nun die Sünde sowohl als ein Tuen gegen ihn wie auch als ein Tuen wider diese Frau? König David hat schwer gesündigt, als er erst einen Ehebruch beging und dann den Ehemann seiner Geliebten töten ließ, um sie zu heiraten. Gott vergab ihm aber diese Sünden und doch verlangte er eine Bestrafung des Königes, indem er sein Kind tötete. (2.Samuel, 11 und 12). Warum bestrafte Gott den König David noch, obschon er ihm seine Sünde vergeben hatte?
Jesus wird gekreuzigt. Einer der Mitgekreuzigten bekennt, daß er schwer gesündigt habe und so zu Recht zu Tode verurteilt worden sei. Ganz anders Jesus, der völlig zu Unrecht hier verurteilt wird. Jesus vergibt dem reuigen Sünder und verheißt ihm, daß er noch heute in das Paradies eingehen wird. Jesus ist als Sohn Gottes allmächtig.Er hätte sowohl sich als auch dem reuigen Sünder vor dem Kreuzestod bewahren können. Er hätte zu dem Reuigen sagen können: „Dir sind Deine Sünden vergeben, also brauchst Du den Kreuzestod als die gerechte Strafe für Deine Sünden nicht erleiden, steige also vom Kreuze herab, Dir wird niemand etwas antuen.“ Warum mußte stattdessen dieser Sünde, obzwar Jesus ihm selbst seine Sünden vergeben hatte, noch die Strafe des Kreuztodes erleiden?
Eine gewagte These dazu: Gott vergibt als der, gegen den wir sündigen, unsere Sünde aber wenn wir nun auch, wider andere Menschen gesündigt haben, so schließt diese Sündenvergebung nicht eine Vergebung unseres Tuens wider die Menschen mitein. König David hatte gegen Gott und gegen den Ehemann schwer gesündigt.Gott vergab ihm die Sünde wider ihn aber um der Sünde wider den Ehemann, er ließ ihn ja ermorden, strafte er ihn. Der Ehemann der vergewaltigten Frau kann aus einer moralischen Perspektive gesehen, als Mitverletzter dem Täter die Schuld vergeben, aber er kann nicht im Namen des Opfers, der Vergewaltigten diese Schandtat vergeben, denn das kann nur das Opfer selbst. So könnte man urteilen, daß auch Gott selbst nicht anstatt der Opfer unseres Sündigens uns diese Sünden vergibt, sondern nur insoweit wir gegen ihn gesündigt haben. Denn was sollten die vielen Opfer von der Gerechtigkeit Gottes halten, wenn er einem Sünder vergibt nicht nur, insoweit er durch die Sünde verletzt wurde sondern auch insoweit Menschen Opfer des Sündigens der anderen Menschen geworden sind. Das Fegefeuer wäre dann der Akt der Gerechtigkeit Gottes, der nachdem er einem Sünder sein Sündigen gegen ihn vergeben hat und er so in das ewige Leben eingehen wird, die Sünde, soweit er dabei gegen andere Menschen gesündigt hatte, abbüßen lassen, damit auch den menschlichen Opfern Gerechtigkeit widerfährt.
Gott könnte die Sünde sowohl als gegen ihn als auch gegen andere Menschen Gerichtetes Wollen und Tuen vergeben, aber gliche er nicht dem Ehemann, der dem Vergewaltiger seiner Frau vergibt, ohne daß so der geschändeten Frau Gerechtigkeit widerfährt, wenn seine Vergebung selbstverständlich die Vergebung der Sünde wider die Opfer einschlösse? Dann gehörte der Satz, daß nur das Opfer dem Täter wirklich seine Sünde vergeben könne, konstitutiv zur Gerechttigkeit Gotttes.
Signifikant für die heutigen Karfreitagspredigten ist aber, daß auf den Gedanken der Gerechtigkeit ganz verzichtet wird und das Kreuz Christi allein aus der Idee der Liebe Gottes deduziert wird. Warum aber dann Gottes Liebe den Kreuzestod seines Sohnes wollte, wird dann aber völlig unerklärbar. Nichts ist abstruser als die Behauptung, daß Gottes väterliche Liebe den Tod seines Sohnes gewollt hätte. Nur aus der Idee der Gerechtigkeit Gottes ist der Kreuzestod seines Sohnes erklärbar.Denn wir Menschen hätten durch unsere Verurteilung zum Tode unsere Sünde wider Gott nicht sühnen können, so legt es Anselm von Canterbury überzeugend dar in seinem Meisterwerk: „Warum Gott Mensch wurde“
1Ein paar meiner Bekannten erklärten mir, mit hundertprozentiger Sicherheit, daß das 2.Vaticanum das Fegefeuer abgeschafft hätte, aber da in den Texten dieses Konziles dafür kein Beleg auffindbar ist, sei es eben der „Geist diese Konziles“. Aber sie verwiesen darauf, daß sie in keiner Predigt je ein Wort über das Fegefeuer gehört haben und daß auch in Beerdigungspredigten immer nur gesagt würde, daß der Verstorbene nun in Gott ruhe: Faktisch sei die Lehre vom Fegefeuer also verabschiedet worden. Nur, selbst wenn niemand mehr davon redet, die Wirklichkeit des Fegefeuers verschindet nicht, bloß weil sie uns mißfällt.
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