Ein sehr irritierendes Wort zur Krise der Kirche
Jesus Christus,der sich selbst als die Wahrheit offenbart, sagt: „Jeder,der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“ (Joh,18,37). Zu wem sagt er es? Zu Pontius Pilatus, der daraufhin nur mit der Gegenfrage: „Was ist Wahrheit“ zu reagieren weiß.Er hält diese Frage selbst für unbeantwortbar, er will aber an der Frage nach der Wahrheit festhalten. Es existieren viele,unendlich viele Aussagen, deren Wahrheitsgehalt verifizierbar ist, daß 2 plus 3 5 ist, daß Thomas Mann der Autor des „Doktor Faustus“ ist, daß der 30 Jährige Krieg 1618 anfing.Interessant ist dabei aber die Frage, woher wir das wissen, wie gewiß uns diese Aussagen wahre sind. Ein Zeitgenosse wird sagen, daß 2 plus 3 eine Selbstverständlichkeit sei und daß Thomas Mann der Autor dieses Romanes sei und dieser Krieg 1618 anfing, das wisse er, da er es im Internetlexikon: „Wikipedia“ nachgelesen habe. Man vertraut also anerkannten Autoritäten und wenn dann noch alle Autoritäten übereinstimmend den Wahrheitsgehalt einer bestimmten Aussage bestätigen, dann glaubt man das.Der Zeitgenosse weiß so viel, den geringsten Teil seines Wissens hat er durch sein eigenes selbstständiges Tuen hervorgebracht, er hält eben das für wahr, was alle für wahr halten und lehnt deshalb die Aussagen von Abweichlern für unwahr, weil sie eben das nicht für wahr halten, was alle für wahr halten.
Aber Jesus spricht hier von einer ganz anders gearteten Wahrheit. Im philosophischen Diskurs wird zwischen Aussagen, die daraufhin zu überprüfen sind, ob sie wahr sind und einer ontologischen Wahrheit, einer Dingwahrheit distinguiert. Ob etwas wahr ist, meint eben etwas anderes, als die Frage, ob eine Aussage über etwas wahr ist. Wer von dem „wahren Menschen“, der „wahren Liebe“, der uns frei machenden „Wahrheit“ spricht,meint damit nicht, daß er etwas Wahres über etwas sagt, sondern daß das, worauf sich diese Aussage bezieht, an sich selbst wahr ist.Der theologische Diskurs bestimmt so etwas als wahr, wenn es so ist, wie es nach Gottes Willen sein soll, wenn es also eine angemessene Realisation seiner Idee ist, wie Gott es gedacht hat.
Aber was bedeutet diese Aussage Jesu denn nun im Kontext dieses Verhöres des Pilatus, der da die Wahrheit über diesen Jesus von Nazareth heraus selbst erforschen will, skeptisch den jüdischen Anklagen gegen Jesus gegenüberstehend? Der Angeklagte, oder eigentlich der Unter-suchungsgegenstand der Wahrheitssuche des Pilatus sagt hier: „Du kannst nicht erkennen, daß ich selbst die Wahrheit bin, denn das könntest Du nur, wenn Du selbst aus der Wahrheit wärest!“ Dies selbst Ausderwahrheitsein ist für Jesus Christus somit die notwendige Voraussetzung dafür, daß er selbst als die Wahrheit erkennbar ist. Nicht von jedem Menschen gilt also, daß er selbst aus der Wahrheit ist.Dies widerstreitet dem modernen Menschenverständnis der Gleichheit aller Menschen, daß also entweder jeder Mensch so geartet ist oder keiner, aber nicht darf es wahr sein, daß die einen so sind und andere nicht so sind.Das Ausderwahrheitsein bedeutet hier das Vermögen, Jesus als die Wahrheit zu erkennen. Dieses Vermögen ist nun als eine Gabe Gottes zu verstehen, die er einigen gibt und anderen nicht. Jesus als die Wahrheit zu erkennen ist dem nach kein natürliches Vermögen des Menschen, zumindest des postlapsarischen sondern Gott selbst muß ihn dazu befähigen.Wer kein Deutsch kann, kann diesen hier geschriebenen Text nicht lesen und schon gar nicht verstehen, denn die Kenntnis des Deutschen ist die notwendige Voraussetzung des Lesenkönnens dieses Textes. So ist auch dies Ausderwahrheitsein die notwendige Voraussetzung des Erkennenkönnens Jesu1.
Eines muß dann aber mehr als irritieren: Warum wirft Jesus dann den Juden vor, daß sie ihn nicht als die Wahrheit erkennen? Dieser Vorwurf kann ja nur berechtigt erhoben werden, wenn sie ihn als die Wahrheit erkannt haben könnten. Jesus erteilt darauf die Antwort: Ihnen ist das Alte Testament gegeben, Moses und die Propheten und deswegen hätten sie ihn von da aus erkennen können. Faktisch haben aber nur die Juden Jesus als die Wahrheit erkannt, die Gott selbst dazu prädestiniert hat, lehrt das Johannesevangelium.
Ein Zumglaubenkommen ist so nicht einfach ein Vermögen des Menschen, Gott muß ihn dazu eigens befähigen. Der Diskurs über die abnehmende Relevanz der christlichen Religion, daß immer weniger gläubige Christen es auch in Deutschland gibt, wird aber so geführt, als läge es in dem Vermögen jedes Menschen, gläubig zu werden, daß es seine freie Entscheidung sei, zu glauben oder nicht zu glauben. Es gälte so nun nur darum, zu eruieren, warum so wenige sich positiv für den Glauben entschieden. Daran könne nun das Kirchenpersonal, die Weise des Anbietens des Glaubens oder die Gehalte der christlichen Religion schuld seien, sodaß hier ein Optimierunsbedarf bestünde. Das wäre aber nur wahr, wenn der Glaube das Ergebnis einer freien Entscheidung für ihn wäre, zu der im Prinzip jeder Mensch fähig wäre.Nicht alle Bereiche des Lebens sind marktwirtschaftlich organisierbar.
1Interpretierte man diese Aussage, der These R.Bultmanns folgend, daß das Johannesevangelium die ihm eigene Christologie in der Sprache der Gnosis, des gnostischen Erlösermythos ausormuliere, dann könnte das so interpreiert werden: Die Seele des Menschen ist direkt aus Gott und so aus der Wahrheit.In Jesus, der aus Gott ist, erkennt sie ihren wahren Ursprung und Jesus als den, der sie in den Ursprung zurückführen will. Dann wären aber nach Jesu Urteil nicht alle Seelen so aus Gott. Das Johannesvabgelium weist eine Gemeinsamkeit und Differenz zur Gnosis auf: Daß der Kosmos, die Welt ein Reich der Finsternis ist, in das die Wahrheit, der Erlöser hineingeht, um die Menschen aus ihr zurückzuführen, zu repatriiieren, ist eine gnostische Erlösungsvorstellung, denn dem griechischen Denken ist der Kosmos das gut und schön Geordnete, die Kosmetik leitet sich von dem Begriff des Kosmos ab und dem hebräischen ist die Welt die Schöpfung Gottes und kann so nicht Finsternis sein. Aber das Johannesevangelium bezeichnet den Kosmos als durch den Logos erschaffen und nicht wie die Gnosis durch einen bösen Demiurgen. Wie nun der gut geschaffene Kosmos zu einem Reich der Finsternis werden konnte, in den dann Jesus Christus als das Licht erscheinen konnte,um die gefallenen Menschen heimzuleuchten, das bleibt im Johannesprolog unreflektiert. Hier ist die Erzählung vom Fall der Engel und der Ursünde Adams und Evas einzutragen.
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