Dienstag, 29. April 2025

Gefährliche Freiheit – Befremdliches und Irritierendes oder muß der Mensch bevormundet werden?

 

Gefährliche Freiheit – Befremdliches und Irritierendes



Daß die Freiheit etwas Gutes und Begehrenswertes ist, ist eine so selbstverständliche Ansicht, daß diese Meinung von Niemandem in Frage gestellt wird. Nur zu aufmerksamen Bibellesern können da Bedenken kommen, wenn er sich frägt, warum den das Volk Israel von Gott aus dem Sklavenhaus Ägyptens durch Gott befreit ununterbrochen wider Moses und Gott murrt: Wären wir doch nur bei den Fleischtöpfen Ägyptens geblieben! Die so gewonnene Freiheit erkaufte sich das Volk mit einem Verlust an Sicherheit: In Ägypten lebten sie zwar als Sklaven, aber sie wurden dann da auch hinreichend mit dem Lebensnotwendigen versorgt. Wie armselig kam ihnen das dürftige Wüstenleben vor, verglichen sie es mit ihrem ägyptischen Fleischtopfleben.

Anselm von Canterbury ist wohl einer der bedeutendsten Theologen der Kirche, der nun deswegen in unseren glaubensschwachen Zeiten regelmäßig diffamiert wird wegen seiner Kreuzestheologie. Weniger bekannt ist sein Traktat über die Willensfreiheit.1 In dem ersten Kapitel wird die Questio erörtert, ob das „Vermögen zu sündigen“ „zur Freiheit des Willens“ gehört oder nicht gehört. Daß das Vermögen, zu sündigen zur Freiheit dazugehören könnte, das würde die Willensfreiheit zu einer gefährlichen qualifizieren. So exponiert dann Anselm das Problem: „Besteht nämlich die Willensfreiheit, wie manche meinen,darin, sündigen oder nicht sündigen zu können, und haben wir dieses Vermögen immer, wieso bedürften wir dann zuweilen der Gnade? Haben wir es aber nicht, wieso wird uns dann zur Sünde angerechnet, wenn wir ohne freien Willen fehlen?“ (S.70)

Aber diese Problemexponierung verdrängt das moraltheologische Problem des freien Willens! Wenn nämlich der Mensch notwendig immer nur das Gute wollen würde und keine Freiheit dazu hätte, das Nichtgute zu wollen, dann würde er das Gute nicht in einer moralisch qualifizierbaren Weisen wollen. Er funktionierte dann nur wie eine gut konstruierte Maschine.Aber wenn eine so konstruierte Maschine noch so gut funktionierte, dies Funktionieren wäre nicht moralisch qualifizierbar. Denn ein Wollen oder Handeln als moralisch oder unmoralisch zu beurteilen, setzt denknotwendig die Freiwilligkeit des Gewollten voraus, daß das Gute gewollt oder auch nicht gewollt werden konnte. Anselm versucht nun, dies Problem durch die Einführung eines komparativistischen Verständnisses zu lösen: „Dann ist aber der Wille, der von der Rechtheit, nicht zu sündigen, nicht abgebracht werden kann, freier als der, der die Rechtheit zu verlassen, imstande ist.“ (S.71). Im Raume der Handlungsfreiheit ist die Einführung eines komparativistischen Freiheitsverständnisses sinnvoll. Für unsere heutige Zeit ist es evident, daß je voller der Geldbeutel ist, desto mehr Handlungsoptionen, nämlich Kaufoptionen verfügt der Geldbeutelbesitzer. Aber im Raume der Willensfreiheit kann es weder ein Mehr noch ein Weniger an Freiheit geben: Hier ist der Mensch frei oder nicht frei. Damit gehört aber konstitutiv das Vermögen zum Sündigen, zum Mißbrauch der Freiheit zur Freiheit. Das macht die Freiheit zu etwas Gefährlichem.

Der Traktat über die „Freiheit des Willens“ spricht dabei die größte Gefahr dieses Freiheitsverständnisses nur indirekt an, so grauenerweckend ist sie: Gehörte nämlich zur Freiheit des Willens die Freiheit zum Sündigen, dann müßte man Gott und den Engeln, da ihnen die Willensfreiheit zugeschrieben wird, die Freiheit zum Sündigen auch zugeschrieben werden. Das wäre eine „unerlaubte Behauptung“. (S.70)2. Wenn also zur Freiheit, damit ihr Gebrauch moralisch qualifizierbar ist, das Vermögen zum Wollen des Nichtguten gehört, dann ergibt sich daraus eine Notwendigkeit der Limitierung der Freiheit. Wenn nun aber als das Ideal der Mensch gedacht wird, der nicht mehr über die Freiheit zum Sündigen verfügte, dann würde dieser Mensch in seinem Wollen und Handeln nicht mehr als ein moralisch zu Qualifizierender zu stehen kommen: Um der Sicherheit vor dem Sündigenkönnen willen müßte er seiner Freiheit beraubt werden. Arnold Gehlens anthropologische These vom Menschen als einem Mängelwesen besticht, wenn man dabei insbesondere seine defizitäre Bestimmung durch seinen ihm eigenen Triebapparat ins Auge faßt. Nur wird dabei die eigentliche Pointe überlesen, daß erst durch die Freiheit des Willens dieses Defizit an der Bestimmtheit durch die Triebe hervorgerufen wird, daß er sich selbst noch einmal kontingent reflexiv zu ihnen verhalten kann. Er kann eben auch gegen seine Triebe handeln. Der Lebens- und Überlebenswille determinieren ihn nicht zu einem Lebenwollen, er kann auch nicht (mehr) leben wollen, er kann so seinen eigenen Tod wollen können. Die freiheit reißt so einen riß in die Naturordnung und ermöglicht so erst, daß es Geschichte gibt als etwas vom Naturgeschehen Verschiedenes. Es bedarf also einer Moral und der Institutionen, die diese dem Menschen eigentümliche Freiheit wieder kontrollieren, denn er kann ob dieser Freiheit gegen seine Natur widernatürlich leben.Der schlichte Dualismus, daß die Vernunft, das Über-Ich (Freud) wider das Triebleben streitet, ist deswegen zu modifizieren in die Struktur des Trieblebens, der Sphäre der Freiheit und der der Moral, die den freien Umgang mit den Trieben regulieren soll.

Der Diskurs über den Menschen ist somit immer auch einer über die Begrenzung seiner Freiheit. Der aktuelle politische Diskurs kapriziert sich geradezu darauf, die Freiheit des Menschen als die Ursache aller politischen Probleme ansehend diese zu domestizieren. Interessanterweise profilieren sich dabei die sich selbst als demokratisch verstehenden Parteien als Kämpfer wider die Freiheit, indem sie um den Mißbrauch der Freiheit einzuschränken, die Freiheit selbst einzuschränken. Wenn die Bürger, statt freie Menschen zu sein, nur noch funktionieren, dann gäbe es keine politischen Probleme mehr.



1Ich zitiere den Traktat nach der Ausgabe: Anselm von Canterbury. Vier Traktate: Wahrheit und Freiheit, hrsg von: Hansjürgen Verweyen, 1982.

2Hier entsteht nun der Theologie ein fast unlösbares Problem: Wird Gott ontologisch als vollkommen und somit notwendig als das Gute Wollender gedacht, kann von ihm nicht mehr prädiziert werden, daß er im moralischen Sinne gut ist, denn das setzt denknotwendig die Freiwilligkeit des das Gute Wollens voraus, daß auch das Nichtgute gewollt werden könnte. Diese Frage verlangt aber eine eigenständige Behandlung, die in diesem Aufsatz nicht geleistet werden kann. Es sei aber an die Aussage der Gotteslehre erinnert, daß Gott nicht selbst sich der von ihm gesetzten Ordnung unterordnet, denn er kann die von ihm dekretierten Naturgesetze aufheben und selbst auch Unmoralisches fordern, etwa von Abraham die Tötung seines Sohnes.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen