"Alles andere würde die krudesten Klischees einer römischen Kirche, die ihre Autorität über die Schrift stellt, bestätigen.", urteilt A. Wollbold in: Pastoral mit wiederverheirateten Geschiedenen- gordischer Knoten oder ungeahnte Möglichkeiten, 2015, S.53. Hier ist wohl an die Kritik der Reformatoren zu denken, aber eventuell auch an Dostojewskijs "Großinquisitor". Aber halten wir inne und bedenken wir das soeben Geschriebene. Was war zuerst: die Kirche oder die Schrift, der Kanon der hl. Bücher? Die Antwort ist komplex: a) die Kirche hat festgelegt, welche Schrift als kanonisch und welche als nicht kanonisch zu gelten haben. Die Autorität der Kirche setzte die Schrift! Zudem:b)die Verfasser der neutestamentlichen Schriften sind alles Glieder der Kirche gewesen. Es gibt keinen Text des Neuen Testamentes, der so nicht schon die Kirche vorausetzt, weil ihre Autoren schon Kirchenchristen waren.
Luther führte dann eine Revolution der Bibel durch, indem er die Schriften des AT, die nicht ursprünglich in hebräischer Sprache verfaßt wurden, wie etwa die Makkabäerbücher oder die Weisheit Salomons, aus der Bibel exkommunizierte und sie zu Apokryphen degradierte, zwar nützlich zu lesen, aber nicht als Teile der hl.Schrift! Wenn so also ein Protestant der Katholischen Kirche den Vorwurf machte, sie stelle sich über die Autorität der Schrift, muß respondiert werden, daß Luther sich selbst über die Autorität der Schrift stellte, indem er nun den Kanon der Bibel neu definierte!
Das Ideal zwischenmenschlicher Kommunikation ist das, das das Gesprichene und Niedergeschriebene so eindeutig und klar ist, daß der Hörer und Leser das Gesprochene und Geschriebene genau so versteht, wie es der Autor meinte. Dann müßte der Gesamtbibeltext eindeutig und klar sein, sodaß jeder Leser ihn so versteht, wie er eben ursprünglich gemeint war. Nur, es heißt in der Apostelgeschichte schon: ""Verstehst du auch, was du liest?" Und der so angefragte Bibelleser antwortete: "Wie könnte ich es, wenn mich niemand anleitet?" (Apg 8, 30). Warum benötigt dieser Bibelleser eine Auslegung der Bibel, wenn er sie doch nur zu lesen bräuchte, wenn sie so klar und eindeutig wäre, wie es uns das Ideal gelingenender Kommunikation vor Augen malt?
Wir stoßen hier auf das Faktum der Polyinterpretabilität sprachlicher Texte, uns allen hinlänglich vertraut aus dem Deutschunterricht: was will uns der Dichter damit sagen- so viele Schüler, so viele verschiedene Antworten..Und der Einsatz von wissenschaftlichen Methoden führt nun mitnichten zu einheitlichen Ergebnissen unter den Exegeten! Als die Reformatoren, beseelt vom Optimismus der klaren und eindeutigen Schrift, die nur durch die Auslegungen der Kirche verunklart und verdunkelt worden sei, allein die Schrift! ausriefen, kam es schnell zur Ernüchterung: jeder legte die Schrift anders aus- ein Luther anders als ein Zwingli, ein Calvin noch anders, der linke Flügel der Reformation ging dann ganz andere Wege.. Nur in einem war man sich eins, daß die kirchliche Auslegung falsch sei . Das war dann aber auch das einzig Gemeinsame.
In der Apostelgeschichte heißt es: "Sie hielten an der Lehre der Apostel fest," (Apg 2,42.) Daß aus der hl Schrift die Lehre der Apostel als die Lehre der Kirche wurde, war nicht einfach das Produkt der Bibel, denn zu Zeiten der Apostel gab es das NT noch nicht als Kanon! Zudem ist nicht die Bibel die einzige Quelle der Apostolischen Lehre. So zitiert der Judasbrief aus dem Buch des Hennoch und aus dem Buch Himmelfahrt Mose, beides apokryphe Ergänzungen zum AT.
Aber prinzipieller wiegt dieses Argument: das "Allein die Schrift Prinzip" ist selbst nicht durch die hl Schrift begründbar. Die Schrift sagt nirgends, daß nur auf sie zu hören ist. Erst Luther lehrte so. Also begründet die Autorität Luthers, daß in der Kirche nur die Autorität der Schrift zu gelten habe. Warum aber nun nur Luther und nicht all den anderen zu gehorchen ist, bleibt dann im Dunkel. Faktisch setzt so gerade das Luthertum die Autorität Luthers über die Schrift, um so die Autorität der Kirche auszuhebeln! Und darum heißt die auf Luther sich gründende Kirche sachgmäß die Lutherische Kirche.
Das Verhältnis von hl. Schrift und Kirche ist somit nicht so simpel, daß einfach die Bibel über der Kirche steht und doch ist die Bibel die erste Quelle, aus der die Kirche die Lehre der Kirche schöpft, die so und nur so die wahre Lehre sein kann! Aber dies Schöpfen ist nun etwas anderes als ein einfaches Zitieren der Bibel und Aneinanderreihen von Bibelzitaten in einer systematischen Ordnung.
Der Text will und soll verstanden werden- und darum wird der Leser gefragt: Verstehst du auch, was du liest?. Und das Produkt des Verstehens ist dann erst die Lehre der Kirche!
Nehmen wir für uns Katholiken ein sehr beeindruckendes Beispiel. Die 10 Gebote.A. Wollbold sagt dazu:" Die zehn Gebote zeichnen sich nämlich gerade dadurch aus, dass sie keine Ausnahme zulassen.[...]Und auch "Notsituationen extremer Belastung durch die Untreue oder ein anderes Fehlverhalten rechtfertigen niemals z.B. körperliche Gewalt gegen einen anderen Menschen."(S.49)
Das ist natürlich Unsinn! Selbstverständlich lehrt die Kirche die Legitimität der Notwehr, des gerechten Krieges und der Todesstrafe (auch wenn im letzteren Papst Franziskus hier von der Lehre der Kirche abweicht!) Aber gravierender: das Zweite Gebot. "Du sollst dir kein Gottesbildnis machen", so in beiden Versionen der 10 Gebote in der Bibel! Der Katholische Katechismus läßt dies Gebot einfach weg! Um dann dennoch auf 10 Gebote zu kommen, wird aus dem letzten 2 Gebote gemacht, das 9. "Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib" und das 10: "Du sollst nicht begehren deines Nächsten Gut", so schon im Kinder-Katechismus Pius X. Die Zeugen Jehovas, hier, wie auch sonst oft der Reformierten Tradition folgend, halten das 2. Gebot des Bilderverbotes hoch. Jede Katholische Kirche ist so ein einziger Verstoß gegen das Bilderverbot Gottes! Wie erklärt sich nun, daß die Kirche hier gar keine Ausnahme zum Bilderverbot zuläßt, sondern gar das Gottesbildermachen zu der Tugend christlicher Kunst werden ließ? Stünde die Kirche einfach unter dem Wort, wie es gerne Biblizisten sagen, dann muß die Frage gestellt werden, warum hängen in jeder Katholischen Kirche Bilder Gottes aus? Ja, warum läßt man das Gebot gleich ganz weg?Der jetzt gültige Katechismus versucht dagegen die kirchliche Praxis mit dem Bilderverbot in Einklang zu bringen. (Nr. 2129-2132), zählt es dabei aber als Unterpunkt zum 1. Gebot. Als Beweis dafür wird das Konzil von Nizzäa zitiert, weil durch die Menschwerdung Gottes eine neue Bilder-Ökonomie eröffnet sei! (2131). 2132 heißt es dann sehr klug: " Die christliche Bilderverehrung widerspricht nicht dem ersten Gebot, der Götzenbilder verbietet. Denn die "Ehre, die wir einem Bild erweisen, geht über auf das Urbild". Nur, das AT-Bilderverbot kannte eben diese feinsinnige Unterscheidung von Bild und Urbild nicht, sodaß im Bild das Urbild präsent ist. Für das Bilderverbot, das jedes Gottesbild verbot, nicht nur Götzenbilder galt, daß das Bild und somit nicht das vom Bild Abgebildete dann verehrt wird- und es scheint so, daß auch jedes Bild, weil es der Versuch des Abbildens Gottes ist, etwas Unerlaubtes zu sein, weil Gott als reiner körperloser Geist nicht abbildbar ist. Aber die Kirche legt eben zurecht das Bilderverbot jetzt so aus, denn seit es gilt, daß wer den Sohn sieht, den Vater sieht, ist dies Bilderverbot außer Kraft gesetzt durch Gott selbst, indem er uns die Ikone Gottes vor Augen malte, sodaß jetzt Gott für uns abbildbar geworden ist!
Aber stünde die Kirche einfach nur unter der Bibel, wäre so ein Umgang mit diesem göttlichen Gesetz nicht der Kirche erlaubt! Vielleicht steht die Kirche, um wahre Kirche sein zu können ein ganz klein wenig Dostojewskijs Großinquisitor näher, als es allen Biblizisten lieb sein kann! Dem Biblizismus ruht eben immer auch ein antiintellektualistisches Moment inne, das so die si betgriebene Theologie immer zu einer unwahren werden läßt, weil so das Denken als das Medium der Hervorbringung von Erkenntnis perhorresziert wird!
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