"Zurück zu Platon"- damit leitet Thomas Mann in seinem Essay: "Schopenhauer" (in Thomas Mann, Essays, Musik und Philosophie, Bd.3, Hrsgb: H. Kurtzke, 1978,S.196) seine Darlegung platonischer Erkenntnistheorie da. Die Erkenntnistheorie ist der Anfang jedes Denkens, das die Vielzahl mündlicher und schriftlicher Aussagen vor Augen habend, frägt, wie denn die Beziehung des Gedachten und Niedergeschriebenen zu dem ist, worauf sich das Denken bezieht, und wovon man spontan geneigt ist, es Wirklichkeit zu nennen. Für den theologischen Diskurs: ihm wird man nicht gerecht, wenn erfaßt wird, was wer wann und wie zu welcher theologischen Frage ausgesagt hat und wie das Ausgesagte nach welchen Regeln formuliert wurde-denn der Anspruch des Ausgesagten ist ja, daß es "wahre" Aussagen sind, daß dem Denken ein Außerhalb unseres Denkens Sein und Seiendes ist, daß durch das Denken angemessen dargestellt wird. Aber jetzt schon wird es komplizierter: wenn A das zu Denkende ist und A1 das Gedachte von A sein soll, wie ist dann erkennbar, daß A1 dem A entspricht, wenn uns A nur uns nur im Denken als A1 bekannt ist und jeder andere Zugang zu A dies A wieder nur zu einem A2 , etwa dem gefühlten A, oder dem gesehenen A macht.
Gott ist wahrscheinlich einer der Objekte, über die am meisten geschrieben worden ist und heuer auch noch geschrieben wird. Wie stehen so vor einem unendlich erscheinenden Meer an Aussagen über Gott, und über Interpretationen der Aussagen über Gott, und und- nur der Grundtext, Gott scheint verloren, so wie Nietzsche es mal formulierte.
Thomas Mann führt uns so in einer sehr gediegenen Hinführung zu einem der grundlegendsten Ansätze der Reflexion über das, was Denken und Wahrheit meint. Das platonisch-christliche Weltbild kann als das prägende der christlichen Religion angesehen werden, insofern in diesem Denken die christliche Religion das Medium fand, ihre religiösen Wahrheit dem vernünftigen Denken angemessen darzustellen. Papst Benedikt weist dann in seiner "Einführung in das Christentum" auf den Zerfall diese großen Synthese zwischen Jerusalem und Athen hin, auf die Synthese von Jesus von Nazareth und Platon zur christlichen Weltanschauung! Man kann sagen, daß es einer der großen Anliegen des Papstes Benedikt war, für eine neue Synthese von christlicher Religion und dem vernünftigen Denken, dem philosophischen Denken zu plädieren!
Es soll nun Thomas Mann das Wort gegeben werden:
" Die Dinge dieser Welt, lehrte der griechische Denker, haben kein wahres Sein; sie werden immer, sind aber nie. Zu Objekten eigentlicher Erkenntnis taugen sie nicht, denn solche kann es nur geben von dem, was an und für sich und immer auf gleiche Weise ist;sie aber in ihrer Vielheit und ihrem bloß relativen, geborgten Sein, das man ebensowohl ein Nichtsein nennen könnte, sind immer nur das Objekt eines durch sinnliche Empfindung veranlaßten Dafürhaltens. Sie sind Schatten. Das allein wahrhaft Seiende, das immer ist und nie wird und vergeht, sind die realen Urbilder jener Schattenbilder, die ewigen Ideen , die Urformen aller Dinge. Diese haben keine Vielheit, denn jedes ist seinem Wesen nach nur Eines, das Urbild eben, dessen Nachbilder oder Schatten lauter ihm gleichnamige, einzelne, vergängliche Dinge derselben Art sind.Nicht wie diesen kommt den Ideen ein Entstehen und Vergehen zu: sie sind zeitlos und wahrhaft seiend, nicht werdend und untergehend, wie ihre hinfälligen Nachbilder. Von ihnen allein also auch gibt es eigentliche Erkenntnis, als von dem, was immer und in jedem Betrachte ist. Konkret gesprochen: Der Löwe, das ist die Idee, ein Löwe, das ist bloße Erscheinung und kann folglich nicht Gegenstand reiner Erkenntnis sein. [...]Man sieht, dieser Denker wußte dem Unterschied zwischen dem bestimmten Artikel und dem unbestimmten Artikel eine weittragende Bedeutung abzugewinnen; er machte ein pädagogisches Paradox daraus.Denn paradox ist es allerdings, zu behaupten, daß Erkenntnis nur dem Unsichtbaren, Gedachten, im Geiste Angeschauten gelten könne; paradox ist es, die sichtbare Welt für eine Erscheinung zu erklären, die an sich nichtig,nur durch das in ihr Ausgedrückte Bedeutung und geborgene Realität gewinne." (S.196f)
Papst Benedikt gibt aber bei allem Respekt vor diesem großen Denken zu bedenken:
" Das griechische Denken hat die vielen Einzelwesen, auch die vielen Einzelmenschen,stets nur als Individuen gedeutet. Sie entstehen infolge der Brechung der Idee durch die Materie. Das Vervielfälltigte ist so immer das Sekundäre, das Eigentliche wäre das Eine und das Allgemeine." (Papst Benedikt, Einführung in das Christentum, 2000, S.148.) Das Eine und das Viele- das ist damit zu denken uns aufgegeben, daß um des Einen das Viele nicht entwertet wird oder daß um des Vielen willen das Eine genichtet wird, wie im Nominalismus. Wenn der Papst meint, daß das Spezifische des Christlichen dann im Gegensatz zum platonischen Denken der Primat des Besonderen vor dem Allgemeinen sei (S.147), so entwertet er hier nun in einer Überreaktion auf den Primat des Einen die Bedeutung des Einen und Allgemeinen. Treffend formuliert er aber: "Christlicher Glaube an Gott bedeutet vielmehr, dass die Dinge Gedachtsein von einem schöpferischen Bewusstsein,von einer schöpferischen Freiheit her sind und dass jenes schöpferische Bewusstsein, das alle Dinge trägt, das Gedachte in die Freiheit eigenen selbständigen Seins entlassen hat."(S.145).
Das Verhältnis von Uridee und seinen vielen Nachbildern darf also nicht so gedacht werden, als wäre nur die Idee und die Erscheinungen nur eine Art von Täuschung. Die Uridee ist in Gott als dem Schöpfer nur, damit sie sich in einer Mannigfaltigkeit von Erscheinungen realisiert.Aber das Sein der Individuierten Erscheinungen ist ihre Teilhabe an der Uridee. Das Einzelne ist so als individuiertes Allgemeines zu denken, das gerade so in seiner Einzelhaftigkeit begriffen wird als ein Fall des Allgemeinen. Der Mensch ist nun ein zur Freiheit bestimmtes Leben- und Freiheit meint dann, daß er sich zu seiner Uridee des Menschseins selbst noch einmal kontingent verhalten kann. Er kann sich also gegen sein ideeles Sein selbstbestimmen und sich so von sich selbst entfremden. Und so wird gerade das Einzelne zum Objekt des Erkennens, indem es als eine Individuation der Uridee begriffen wird, wobei es gerade die Bestimmung der Uridee ist, sich individuierend zur Erscheinung zu bringen, denn so wird die Idee erst zur Realität- ihr bloß ideeles Sein ist auch ein Mangel, der noch nicht, zur Erscheinung gekommen zu sein.
Papst Benedikt resümiert den Ertrag dieser erkentnistheoretischen Erwägungen so: "Welt ist objektiver Geist: sie begegnet uns in einer geistigen Struktur, daß heißt, sie bietet sich unserm Geist als nachdenkbar und verstehbar an." (S.143). "Das will doch wohl sagen: All unser Denken ist in der Tat nur ein Nachdenken des in der Wirklichkeit schon Vorgedachten. Es kann nur auf eine ar,selige Art versuchen, jenes Gedachtsein, das die Dinge sind, nachzuvollziehen und darin Wahrheit zu finden." (S.141)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen