Mittwoch, 10. Juni 2015

Zum christlich-platonischen Weltbild-Lesefrüchte

Das christlich-platonische Weltbild ist untergegangen. Es scheint, als stünde nun die christliche Religion wie eine geschiedene Frau da- es ist ihr der Partner abhandengekommen, so wie ihr durch die Auflösung des Thron- und Altarbündnisses die Weltgestaltungskraft verloren ging.Eine kleine Spurensuche, gerade da, wo man sie nicht vermutet.

Thomas Bernhard, "Der Frost". Der Erzähler des Romanes, ein angehender Mediziner, in der Chirugie tätig, wird durch den Auftrag, einen Maler zu beobachten und alles dem Bruder des Auftraggebers genauestens zu berichten, mit einer Welt jenseits der materialistischen Weltanschauung der Medizin konfrontiert, soll er doch einen "Gedankenmenschen" erforschen.
"Und es kann ja sein, daß das Außerfleischliche, ohne die Seele zu sein, von der ich ja nicht weiß, ob es sie gibt, von der ich aber erwarte, daß es sie gibt, daß diese jahrtausendalte Vermutung jahrtausendalte Wahrheit ist; es kann durchaus sein, daß das Außerfleischliche, nämlich das ohne Zellen, das ist, woraus alles existiert, und nicht umgekehrt und nicht nur eines aus dem anderen."  
Thomas Bernhard, Der Frost, Erster Tag. Der Primat des Geistes vor der Wirklichkeit, denn das Wirkliche ist uns ja die materielle Welt, gehört konstitutiv zur christlichen Religion, daß Gott als Geist die Welt erschuf und daß sie nach den Ideen Gottes geschaffen worden ist, sodaß das Eigentliche in der Welt jeweils die Idee ist, die sich in der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen realisiert. 

Thomas Mann in seinem Essay, Schopenhauer, erweitert diesen Gedankengang für uns:
"Offenbar , es ist Wissenschaftsgeist und Erziehung zur Wissenschaft,die Vielheit der Erscheinungen der Idee unterzuordnen,Wahrheit und echte Wirklichkeit nur mit dieser zu verbinden und zur schauenden Abstraktion, zur Vergeistigung der Erkenntnis anzuhalten.Plato bedeutet durch diese wertende Unterscheidung zwischen Erscheinung und Idee, Empirie und Geist, Scheinwelt und Welt der Wahrheit, Zeitlichkeit und Ewigkeit ein ungeheures Ereignis in der Geschichte des menschlichen Geistes: und zwar zunächst eine wissenschaftlich-moralische. Jeder fühlt, daß dieser Erhebung des Ideellen als   des allein Wirklichen über die Erscheinung in sterblicher Vielfalt etwas tief Moralisches anhaftet, die Entwertung des Sinnlichen zugunsten des Geistigen, des Zeitlichen zugunsten des Ewigen ganz im Sinn des späteren Christentums: denn gewissermaßen ist damit die sterbliche Erscheinung und das sinnliche Haften an ihr in Sündenzustand versetzt-das Heil, die Wahrheit findet nur der, welcher sich zum Ewigen wendet. Von dieser Seite gesehen, zeigt Platons Philosophie die Verwandtschaft und Zusammengehörigkeit von Wissenschaft und asketischer Moral." 

Thomas Mann zeigt dann bedenkenswerte Folgerung über das Wesen der Kunst aus dieser philosophischen Grundlegung:
"Aber sie hat eine andere, und das ist die künstliche.[...] Und so bietet diese vor-christliche, schon christliche Lehre in ihrer asketischen Weisheit auch wieder einen ungemein sinnlich-artistischen Reiz und Zauber; denn die Auffassung der Welt als einer bunten und bewegten Phantasmagorie von Bildern, die für das Ideele , Geistige durchscheinend sind, hat etwas eminent Künstlerisches und schenkt den Künstler erst gleichsam sich selbst: Er ist derjenige, der sich zwar lustvollsinnlich und sündig der Welt der Erscheinungen, der Welt der Abbilder verhaftet fühlen darf, da er sich zugleich der Welt der Idee und des Geistes zugehörig weiß, als der Magier, der die Erscheinung für diese durchsichtig macht. Die vermittelnde Aufgabe des Künstlers, seine hermetisch-zauberhafte Rolle als Mittler zwischen oberer und unterer Welt, zwischen Idee und Erscheinung, Geist und Sinnlichkeit kommt hier zum Vorschein; denn dies ist in der Tat die sozusagen kosmische Stellung der Kunst; ihre seltsame Situation in der Welt, die verspielte Würde ihres Treibens darin sind gar nicht anders zu bestimmen und zu klären." 
Thomas Mann, Schopenhauer, in: Thomas Mann, Essays, Bd 3. Musik und Philosophie,hrsgb: H. Kurzke, 1978, S.197f.       

        












  








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