In der Katholischen Soziallehre tauchen regelmäßig die Begriffe: Solidarität und Subsidarität auf. Bezeichnend ist es, daß Johannes Paul II. den Begriff der Solidarität gerade in seiner Instruktion: "Freiheit und Befreiung" benutzt (DH 4766), die der Auseinandersetzung mit der marxistischen Befreiungstheologie gewidmet ist, er sonst aber diesen Begriff vermeidet. In der "Soziallehre der Kirche" spricht der Papst von "consensio", was im Deutschen Text angemessen mit: "Mitfühlen" übersetzt wird- nur daß den der Denzinger-Hünermann Text dann in eckigen Klammern als "Erläuterung" die "Übersetzung" "Solidarität" beifügt, eine sehr interpretative Übersetzung! Bedeutung hat der Begriff der Solidarität erst durch die marxistische Arbeiterbewegung bekommen. Der Begriff gehört in den Vorstellungsraum des Klassenkampfes, und meint, daß es einerseits ein objektives Klasseninteresse der Arbeiterklasse gibt und daß andererseits die Arbeiter ob ihres subjektiven Bewußtseinsstandes oft gegen ihr objektives Interesse handeln. Die solidarische Praxis ist demzufolge die Art des Handelns, in der in Übereinbstimmung mit dem objektiven Interesse der Klasse gehandelt wird. Lenin bestimmte diese solidarische Praxis dann als die eine tradeunionistischen Bewußtseins, eines sozusagen noch verengt ökonomistischen Verhaltens im Gegensatz zu der wahren revolutionären Praxis, die erst möglich ist, wenn die Arbeiterklasse unter Anleitung der kommunistischen Partei zum richtigen Klassenbewußtsein sich entwickelt hat Demzufolge ist Solidarität tatsächlich als eine Tugend begriffen, weil sie die Überwindung der unmittelbaren Selbstwahrnehmung und des Willens zur Realisierung der je eigenen Wünsche verlangt zugunsten der Ein- und Unterordnung in das objektive Klasseninteresse.
Die grundlegende Differenz kann so auf einen Punkt reduziert werden: im marxistischen Sinne handelt der solidarisch, der seine objektiven Interessen mit denen zusammen, die der selben Klassse angehören und so auch das selbe objektive Interesse hat, versucht zu realisieren. Der tiefste Grund der Solidarität ist so das gemeinsame Interesse. Die Nächstenliebe und gar die Tugend der Nächstenliebe hat ihr Zentrum nicht in dem Interesse des Handelnden sondern im Mitmenschen, dem zu Liebe man die Nächstenliebe praktiziert.
Daß in (post)modernen Zeiten eine moralische Praxis, die ihren Grund in einem Eigeninteresse hat, besser ankommt, als eine, die altruistisch denkend den Nächsten ins Zentrum rückt, ist sofort einsichtig, besonders dann, wenn der marxistische Hintergrund des Begriffes der Solidarität sich auflöst und so der Begriff mutiert zu der Vorstellung: helfe anderen, damit dir dann auch geholfen wird.
Aber was veranlaßt die Theologie und die Kirche, einen so zweifelhaften Begriff in ihr Vokabular aufzunehmen, wenn sie doch selbst über viel klarere und angemessenere verfügt, über die Begriffe der Nächstenliebe und des Mitleides? Auf diese Frage gibt es wohl eine einfache Antwort! Nicht, daß durch die Einführung des Begriffes der "Solidarität" ein besserer und klarerer Begriff für die Moral- und Soziallehre der Kirche gewonnen wäre, mitnichten- es ist nur eine "Marketingmaßnahme": man will reden, wie die Welt redet, damit man besser ankommt. Daß aber der Begriff der "Solidarität" keine Übersetzung von Nächstenliebe und Mitleid ist, das ist unübersehbar. Damit die Kirche zeitgemäß redet, verzichtet man eben auf die alte Sprache mit ihren klaren Begriffen. Der marxistisch geprägte Begriff der Solidarität konnte zwar dann in diversen Befreiungstheologien positiv rezipiert werden, aber so konnte er nicht Eingang finden in die Lehre der Kirche. Daraus resultiert die Zurückhaltung diesem Begriff gegenüber, aber auch das Faktum, daß der Begriff in einem päpstlichen Schreiben benutzt wird, das gerade der Auseinandersetzung mit der marxistisch fundierten Befreiungstheologie dient. Der Begriff wird aufgenommen, um ihn dann umzudeuten zu versuchen. Das Rezipieren ist dann ein Eingehen auf die Anliegen dieser Modetheologie, zugleich soll es aber auch die Grenzen der Rezipierbarkeit andeuten. Ein Gewinn ist das auf keinen Fall!
Und zum "Subsidaritätsprinzip" habe ich hier schon des öfteren geschrieben, daß dies ein durch und durch antikatholisches Prinzip ist, das von der Reformierten Kirche in antikatholischer Intention erfunden worden ist als dem Ideal einer hierachiefreien Kirche! Zur Veranschaulichung: würde die Katholische Kirche das Problem, wie mit Geschieden-Wiederverheirateten umgehen? gemäß diesem Prinzip entscheiden, hieße das, daß der Papst und die Saynode beschlössen, daß jeder Bischof für sein Bistum entscheiden möge, wie damit umgegangen werden solle und nur wenn es dabei zu nichtlöbaren Problemen käme, der Bischof nach Rom appellieren solle für eine vatikanische Lösung Dann würde jeder Bischof- das Subsidaritätdsprinzip verlangt das- die Entscheidung über das Wie damit Umgehen den einzelnen Pfarrern übertragen, die nur dann ihren Bischof für eine Lösung antzfragen hätten, wenn sie Fälle nicht eigenverantwortlich vor Ort in der Gemeinde entscheiden könnten. Vollendet ist das Subsidaritätsprinzip aber erst, wenn nur noch das Einzelgewissen entscheidet, und dies nur den Pfarrer oder gar Bischof um Hilfe bittet, wenn es selbstständig keine Entscheidung finden kann. Das wäre der Totalruin der Kirche!
Frägt man sich dann entsetzt, wie dann die Kirche ein so antikatholisches Prinzip rezipieren könnte, gibt es darauf eine sehr einfache Antwort: als das Ideal, daß der Staat in Übereinstimmung mit der Lehre der Kirche regieren solle, kirchenpolitisch nicht mehr als realisierbar erschien und der Staat zusehens nach andren Prinzipien regierte, wollte die Kirche für sich Freiräume erkämpfen, die weil nicht vom Staat regiert werden, von ihr nach ihren Prinzipien reguliert werden- daß es eben kirchliche Kindergärten und Schulen gibt, in denen im Idealfall die Kirche und nicht der Staat die Lehrpläne bestimmt . Es ist also eine reine Defensivstrategie der Kirche, für sich nur noch Freiräume haben zu wollen, die dann gemäß der Kirche gefüllt werden können- mit dem Nachteil, daß das Prinzip der Subsidarität allen weltanschaulichen Trägern von Kindergärten, Schulen etc diese vom Staate freien Räume auch zubilligt, daß es also neben dem katholischen Kindergarten den islamischen, den von den Zeugen Jehovas und den von Freidenkern auch geben kann. Die Anerkennung des Subsidaritätsprinzipes verlangt so von der Kirche, daß sie selbst es akzeptiert und begrüßt, daß der Staat alle Religionen und Weltanschauungen als gleichberechtigt anerkennt, sodaß er jede als potentiellen freien( das meint nichtstaatlichen) Träger von Sozialeinrichtungen anerkennt.Das Katholische, als die allgemeine Wahrheit reduziert sich so zu einer Religion unter anderen Religionen und Weltanschauungen und sieht den Staat nicht mehr an als im Dienste der allgemeinen Wahrheit, sondern er soll nur noch garantieren, daß jede Religion und jede Weltanschauung in ihm gelebt werden kann.
Die Legitimität dieser Defensivstrategie ergibt sich allein aus der defensiven Lage der Kirche in der Moderene im sich herausbildenden Nationalstaat und dem Ende der Konstantinischen Epoche.Aber ein Katholisches Prinzip ist und kann das Subsidaritätsprinzip nicht sein, denn applizierte die Kirche es auf sich selbst, implodierte die Kirche- es wäre die reine Selbstvernichtung der Kirche Das Subsidaritätsprinzip, auf den Staat appliziert, schwächt ja auch diesen zugunsten der freien Träger- aber die Kirche kann und darf kein Interesse an einer Schwächung des Staates haben, denn er ist eine göttliche Ordnung!
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