Donnerstag, 27. September 2018

Die christliche Religion= krasser Aberglaube? Kritisches zur Aufklärung

Was ist "krassester Aberglaube"? Im mehr als lesenswerten Roman: "Der Mönch" von M.G.Lewis, 1796 publiziert, findet sich darauf eine beredte Antwort: "In der Zeit, da Eure Frau Mutter mit Agnes schwanger ging,ward sie von einem so schweren Leiden befallen, daß die Ärzte sie aufgaben. In solcher Bedrängnis gelobte Donna Inesilla, sie würde, im Falle sie mit dem Leben davonkäme, das unter ihrem Herzen keimende Wesen dem Klosterdienste weihen [...] Nun, ihr Flehen wurde erhört:die Krankheit ward von ihr genommen",und gebar ein Mädchen. (Inseltaschenbuch, 1986, übersetzt von: Polakovics, S.157; eine sprachlich sehr ansprechende Übersetzung) 
Was ist nun dabei der "krasseste Aberglaube"? Daß diese Mutter glaubt, daß Gott ein Gebet erhören kann und will und daß die Bereitschaft Gottes, dies Gebet zu erhören, steigen würde, weil die Mutter es mit dem Gelübde verbindet, daß wenn sie ein Kind zur Welt bringt trotz ihrer lebensbedrohlichen Erkrankung, daß sie dies Kind dann Gott zum "Klosterdienste" Gott übergeben wird.Daß der Klosterdienst ein Gott wohlgefälliger Dienst sei, wird- wird die Negativtendenz der Darstellung des Klosterlebens in diesem Roman mitberücksichtigt, auch als krasser Aberglaube anzusehen sein. 
Wird damit aber nicht die Substanz jeder Religion als Aberglaube diskreditiert? Es kann wohl philosophisch Gott so gedacht werden, daß er keine Gebete erhören kann- so Aristoteles- aber in jeder Religion wird Gott selbstverständlich als Gebete erhören Könnender und Wollender präsumiert. Ja, von Gott wird dabei geglaubt, daß er sich um des Menschen willen so sehr akkomodiere, daß er auch Gebete, bei denen der Bittende verspricht, tust Du mir Gutes, werde ich Dir auch Gutes tuen, um dieses Versprechens willen erhören will.
Daß dann die Mutter von ihrer Krankheit erlöst wird, nachdem sie so gebetet hatte, deutet dann die Mutter als eine Gebetserhöhung. Ein Nichtabergläubischer kann dagegen hier nur einen Zufall sehen, daß die Heilung in keinem Falle durch Gott gewirkt sein kann oder aber daß der Glaube der Frau sie geheilt habe, daß es  also um ein psychologisch erklärbares Ereignis sich handele und so mitnichten um eine Heilung durch Gott. 
Was ist aber gewonnen für den Menschen, wenn er sich von diesem Aberglauben emanzipiert? Zuerst fällt auf, daß die bloße Behauptung, daß es a) entweder gar keinen Gott gäbe, oder daß er b) keine Gebete erhören kann und will oder c) daß er, wenn er schon  Gebete erhören kann und will, ihm Gelübde gleichgültig seien, nur Behauptungen sind, die durch nichts begründet sind- schon gar nicht wissenschaftlich rational! Dieser Vorstellungskomplex wird einfach als abergläubisch diffamiert.
Zudem bleibt auch völlig unreflektiert, warum, wenn es denn Götter oder einen Gott gäbe, warum die dann nicht Gebete erhören sollen könnten! Es wäre wider diese schlichten Behauptungen anzufragen, wieso es denn einsichtig sei, daß wenn es Götter oder einen Gott gibt,daß die das nicht können. Oder es reduziert sich der Vorwurf des Abergläubischen schon allein auf den Glauben, daß es Götter oder einen Gott gäbe. Nur, der Atheismus ist nun selbst wissenschaftlich nicht verifizierbar- es ist auch nur der Glaube, daß es Gott nicht gibt. Der Anti-Aberglaube steht so auf so schwachem Fuße, daß er sich schwerer als das Vernünftige wider das Unvernünftige des Glaubens an Götter legitimieren kann. 
Jede Religion lebt aus der Prämisse, daß Gott Gebete und Opfer erhören kann, daß es ihm nicht gleichgültig ist, wie dann der Beter und Opferer lebt. 
Nun drängt sich ein Verdacht auf? Könnte es sein, daß diese Kritik des "krassen Aberglaubens",wie sie hier in diesem Roman skizziert wird, so erfolgreich war, daß in der Kirche man auch anfing, dies als Aberglauben abzulehnen, daß in der Kirche selbst eine nicht mehr abergläubische Konzeption der christlichen Religion entworfen wurde und wird: eine Religion, die Gott nur noch als eine Begründungsinstanz für Morallehren anerkennt und den Christen gern als unreligiösen Menschen sähe, der seinen Glauben nur noch rein moralisch lebt?
Nur, was für ein entsetzlich aufklärerisches Erlebnis, wenn der Roman: "Der Mönch" zu ende gelesen ist und so viel kraß Abergläubisches sich dann als wahr erweist- ja, daß dieser Roman eine große Huldigung des Shakespeare Votums ist, daß zwischen Himmel und Erde es viel mehr gibt, als es nach der philosophischen Aufklärung geben darf, daß vielleicht das Genre des romantischen Schauerromanes, zu dessen gediegensten Hervorbringungen dieser Roman zu zählen ist, gerade eine sehr feinsinnige Kritik der philosophischen Aufklärung ist, indem dies Genre das durch die philosophische Aufklärung aus der Realität Verdrängte wieder zur Sprache bringt, sie so realistischer ist als die Aufklärungsliteratur?  

Zusatz:
Die größte Gnade auf dieser Welt ist, so scheint es mir, das Nichtvermögen des menschlichen Geistes, all ihre inneren Geschehnisse miteinander in Verbindung zu bringen. Wir leben auf einem friedlichen Eiland des Unwissens inmitten schwarzer Meere der Unendlichkeit, und es ist uns nicht bestimmt, diese zu bereisen. Die Wissenschaften - deren jede in eine eigene Richtung zielt - haben uns bis jetzt wenig bekümmert: aber eines Tages wird das Zusammenfügen der einzelnen Erkenntnisse so erschreckende Aspekte der Wirklichkeit eröffnen, daß wir durch diese Enthüllung entweder dem Wahnsinn verfallen oder aus dem tödlichen Licht in den Frieden und die Sicherheit eines neuen, dunklen Zeitalters fliehen werden.“1
1Lovecraft H.P., Cthulhus Ruf. In: Lovecraft, H.P., Cthulhu Geistergeschichten, Deutsch von H.C. Artmann, 1972, S. 193.
      

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