Samstag, 8. Dezember 2018

Über das Hoffen auf ein gutes Ende- Geschichtsphilosohie und Theologie

Was ist Geschichte? Das ist eine Frage, die an die Geschichtsphilosophie zu adressieren ist, denn dort wird nach dem Ganzen der Geschichte gefragt. "Eine Geschichtsphilosophie setzt in der Tat voraus, daß die menschliche Geschichte nicht eine Summe aneinandergereihter Fakten ist-individuelle Entscheidungen und Abenteuer,Ideen, Interessen, Institutionen-sondern daß sie im Augenblick wie in der Aufeinanderfolge eine Totalität ist, die sich in einem privilegierten Zustand zubewegt,der dem Ganzen einen Sinn verleiht."Maurice Merlau-Ponty, Humanismus und Terror 2, 1966, S.60. 
Das, was hier so präsumiert wird, müßte aber doch die Geschichtsphilosohie selbst erst ergründen, ist wohl der erste Einwand, der diese Formulierung provoziert. Aber so wird der privilegierte Zustand überlesen, von dem her erst das Ganze als sinnhaft begriffen werden kann. Das hieße dann aber, daß die Geschichtsphilosophie ihre Arbeit erst am Ende, wenn dieser privilegierte Zustand erreicht ist, ihre Arbeit aufnehmen könne. Bis dahin wäre die Vorstellung, daß die Geschichte ein sinnvolles Ganzes sei, nur ein Postulat, das nicht selbst schon begründet werden könne, denn der Grund für die Begründung sei noch zukünftig. Ob das so zu verstehen ist: Der in der Geschichte Agierende setzt in seinem Handeln darauf, daß es so ist, aber erst in einer Zukunft wird sich die Wahrheit dieses Hoffens verifizieren. Diese Interpretation paßt wohl zur Intention des Essays, "Humanismus und Terror", den stalinistischen Terror zu rechtfertigen mit dem Ziel, dem er dienen soll, eine Welt ohne Gewalt zu schaffen, nur daß auch diesem Philosophen es fraglich wird, ob am Ende des Terrors, 1946 wurde dieser Essay verfaßt, eine Welt ohne Gewalt stehen wird, die dann als der privilegierter Zustand die Erkenntnis der Sinnhaftigkeit auch der stalinistischen Herrschaft ermöglicht. Nur, das zeigt auch auf, daß die Akteure in der Geschichte ohne die Erkenntnis von diesem privilegierten Zustand her zu handeln haben. Das ist sozusagen ihr Risiko. 
Nur, es frägt sich: Woher legitimiert sich ein solches Hoffen auf einen solch privilegierten Erkenntnisort in der Geschichte. Kann das Eintretenwerden eines solchen Aussichtsturmes in der Geschichte, von dem herab das Ganze der Geschichte als sinnhaft begriffen werden kann, selbst von der Geschichtsphilosohie begründet werden? Kann das überhaupt ein Punkt in der Geschichte sein? Wäre er einer, könnte dann nicht dieser Aussichtsturm der Erkenntnis selbst wieder nur eine Episode in der Geschichte sein, sodaß das da Erkannte zu einer Illusion entwertet wird- so wie der Tag des Versprechens ewiger Liebe am Hochzeitstage der verlassenen Ehefrau auch nur noch zu einer schöne Illusion geworden ist. 
Es drängt sich so doch der Verdacht auf, daß diese Art der Geschichtsphilosohie ein unehelichen Kinde der Theologie ist, wobei das philosophische Denken die Reichs Gottes Hoffnung als Ende der Geschichte säkularisiert und als Produkt der Geschichte der Menschen verstehen möchte, als Aufgabe geschichtsmächtigen Handelns, nur daß so säkularisiert das Eintreten des Endes nicht mehr begründet werden kann, es kann nur noch erhofft werden. Und dies geschichtsphilosophische Denken müßte auch das Ende der Geschichte denken können, denn wenn der Zustand einer in dem Laufe der Geschichte nur wäre, könnte ja die Erkenntnis, gewonnen von diesem Aussichtsturm der Erkenntnis im weiteren Laufe der Geschichte revidiert werden. 
"In diesem Sinne war auch Angela erzogen worden, die durch den Glauben der Eltern ihre Stärke und die Überzeugung mit auf den Weg bekommen hatte, daß eine verständnisvolle Hand alle Geschicke dieser Welt leite." Mary Cotten, Hilfe aus dem Totenreich, S.27. Ohne den Glauben an diese die Geschichte leitende Hand kann sich das Hoffen auf den privilegierten Endpunkt,von dem aus das Ganze (sowohl der Geschichte als auch des individuellen Lebens) sich als sinnhaft erweist, nicht begründen. Nur, das geschichtsphilosophische Denken kann sich selbst nicht zum Glauben aufschwingen. "Glauben Sie fest daran, daß alles wieder gut wird, und das Schicksal wird die Zukunft wohlwollend gestalten." (S.26). 
Was kann dann die Geschichtsphilosophie? Sie kann und muß erkennen, daß nur ein privilegierter Punkt außerhalb der Geschichte der Ermöglichungsgrund dafür sein kann, daß Ganze der Geschichte zu erfassen. Die Bestimmung dieses Ortes ist dabei eine Aufgabe der Metaphysik, die christliche Religion erfaßt ihn als das Ende der Geschichte im Reiche Gottes. 

Könnte die Geschichtsphilosophie noch anderes leisten? Eine mögliche Antwort könnte das Schachspiel uns geben: Hier ist ja zu distinguieren zwischen dem System des Schachspieles, (sein gesammtes Regelwerk) und den gespielten Schachpartien. Die Geschichtsphilosophie wäre dann das Erfassen des Regelwerkes der Geschichte, aber diese Erkenntnis beinhaltet nicht das Wissen darum, wie ein bestimmtes Schachspiel ausgeht. Aber das Regelsystem besagt, wer wie (als Figur des Spieles)in dem Spiel agieren kann- und das könnte vielleicht auch die Geschichtsphilosophie leisten: Was sind die in der Geschichte agierenden Subjekte und welche Regelmäßigkeiten gibt es für sie!                
 

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