Donnerstag, 25. Juni 2015

Eine Buchreligion- das Christentum?

"Deine Augen sahen, wie ich entstand, in deinem Buch war schon alles verzeichnet" (Psalm 139,16). Uns ist das Wirkliche, das Leben das Primäre, und sekundär, als ein Abgeleitetes, gilt uns das Buch, das im besten Falle das Leben, die Wirklichkeit so wiedergibt, wie es ist. Alles andere gilt uns als Phantasterei, als nur Erdichtetes. Ist Gottes Buch dann auch nur soetwas Sekundäres, das sich eben nur von unseren menschlichen Büchern dadurch unterscheidet, daß es ganz realistisch beschreibt, was war, ist und sein wird? Oder ist eher- um es bildlich auszudrücken- an ein Regiebuch zu denken, ein Textbuch, das dann den Text für die Schauspieler auf der Bühne abgibt, die dann ihre Rolle im besten Falle so spielen, wie es das Regiebuch vorsieht. 
Hans Blumenberg ergreift nun in seinem Essay: "Bücherwelt und Weltbuch" (in: Arbeitstexte für den Unterricht Ästhetik 1996, S.99) Partei gegen das Buch,um auch den antiintellektualistisch eingestellten "Jugendbewegungen" gerecht zu werden. Geben wir ihm das Wort:
"Zwischen den Büchern und der Wirklichkeit ist eine alte Feindschaft gesetzt. Das Geschriebene schob sich an die Stelle der Wirklichkeit, in der Funktion, sie als das endgültig Rubrizierte und Gesicherte überflüssig zu machen. Die geschriebene und schließlich gedruckte Tradition ist immer wieder zur Schwächung von Authentizität der Erfahrung geworden. Es gibt so etwas wie die Arroganz der Bücher durch ihre bloße Quantität. die schon nach einer gewissen Zeit schreibender Kultur den überwältigenden Eindruck erzeugt, hier müsse alles stehen und es sei sinnlos, in der Spanne des ohnehin allzu kurzen Lebens noch einmal hinzusehen und wahrzunehmen, was einmal zur Kenntnis genommen und gebracht worden war." (S.99) Also, das Leben, die Wirklichkeit, in Gänze begriffen und so dokumentiert in den Büchern- wozu da noch etwas erleben und erfahren wollen, wenn alles Erleb-und Erfahrbare schon begriffen in der Welt der Bücher existiert. Dann erfolgt der Protest gegen das Buch im Namen des Lebens: "Dann wird mit einem Male der Staub auf den Büchern sichtbar. Sie sind alt, stockfleckig, riechen moderig, sind eines vom anderen abgeschrieben, weil sie Lust genommen haben, in anderem als in Büchern nachzusehen." Der Urtext, das wirkliche Leben verschwindet so unter den Bergen der Bücher als den Kommentaren zum Leben, in denen das Leben so sehr schon begriffen ist, daß es sich nicht lohnt, noch auf den Urtext zurückzugreifen. 
(Hier stehen wir so vor dem Emergenzpunkt der Reformation, in der der Urtext wiedergefunden werden sollte, nämlich die Bibel, indem man alle Kommentare und Bücher, die vorgaben, den Urtext begriffen zu haben, beiseite warf, um ganz von vorn neu den Urtext zu lesen. Da dies aber auch wieder nur ein Text war, radikalisierte sich diese Zurück-zum Urtext- Bewegung in der Suche nach dem Urerlebnis vor der Vertextung- das sogenannte Schwärmertum entstand, wo Gott oder der Hl. Geist unmittelbar erfahren werden sollte als der einzig wahren Quelle des christlichen Glaubens.
Moderater gedacht: die Erfindung des persönlichen Gottglaubens als unmittelbare Erfahrung Gottes ohne eine Vermittlung durch heilige Texte und deren Auslegung und Kommentierung.Der Mensch steht so unmittelbar zu Gott, wie die Autoren der heiligen Texte, die dann, wenn sie ihre persönlichen Glaubenserfahrungen anderen mitteilen selbst zu Evangelisten und Aposteln werden) 
"Bücher machen kurzsichtig und lahmärschig, ersetzen, was nicht ersetzbar ist. So entsteht[...]die Bücherwelt als Unnatur." (S.99)Um das wahre Leben zu finden, müsse man also aus der Bücherwelt fliehen. Wer den Glauben, Gott suchen wolle, der müsse also die Welt der theologischen Bücher, und auch der Hl. Schrift, hinter sich lassen, um dann Gott in der Natur und dem Leben zu finden. "Um so erstaunlicher, wenn das Buch doch zur Metapher der Natur selbst werden konnte, seiner antipodischen Feindin, die zu derealsieren es bestimmt zu sein scheint." (S.99). Landet der Mensch in seinem Drang nach einem unmittelbaren Erleben der Wirklichkeit wieder nur auf ein Buch, das es zu lesen und zu verstehen gilt, Gottes erster Buch, das der von ihm geschaffenen Natur? Man denke hier an die christliche Lehre von der natürlichen Gotteserkenntnis, dem die (stoische) Idee zu Grunde liegt, daß die Natur ein Text, ein Buch ist, das recht gelesen den Leser auf den Autoren, Gott verweist! 
Ganz anders votiert Ernst Jünger (Das abenteuerliche Herz, Aufzeichnungen bei Tag und Nacht, 1.Fassung, 4.Auflage 2004, S.34f ) "Gern kehrt man immer wieder von den Menschen in den Frieden der Bibliotheken ein. Dort, im "gotischen Gewölb", wo sich die Bände aus Leder, Leinen und Pergament in strenger Ordnung türmen, faßt uns eine Ahnung an, daß der Grund der Welt ein geistiger ist, und gibt uns höhere Sicherheit. Ein Griff gestattet uns, aus dem unendlichen Register eine Stimme zu ziehen, die zu uns in einer reineren, reicheren und klaren Art spricht, als es dort draußen möglich ist." 
Nebenbei:Jorge Luis Borges präsentiert in "Die Bibliothek von Babel" wohl die faszinierendste und spekulativste Vorstellung des Verhältnisses des Buches zur "Wirklichkeit", indem er die Gesamtheit, das Universum denkt als die Summe aller möglichen Bücher, die schreibbar sind aus Kombinationen der Buchstaben als dem Grundbaustein aller wirklichen und möglichen Bücher, sodaß die Summe aller so möglichen Bücher die Realität ist.)

Die christliche Religion ist eine Buchreligion! Das zu bedenken, ist gerade unsere heutige Aufgabe. Denn das philosophische Denken ringt gerade in der Postmoderne um das Verstehen der Relation von Sprache und Wirklichkeit, von Text und Kontext und der "Realität". Es ist ja ein bezeichnendes Phänomen für die Lage der Kirche heute, daß eben das Laien ZK und die Deutschen Bischöfe, wenn sie zur Ehe etwas sagen wollen, und zur besonderen Causa der Geschieden-Wiederverheirateten, daß sie da nicht die heiligen Texte und ihre Kommentare zu dieser Causa studieren, sondern "ins Leben gehen" und "Betroffene" reden und Zeugnis geben lassen! Und dann erst versucht man eine Brücke zu bauen zu den Büchern, dem Urtext und seinen Kommentaren, aber in der Intention, sie nun so zu lesen, daß sie passend gemacht werden zur Realität, denn das Leben in seiner bunten Vielfalt ist diesem Kirchendenken das Normative und die Bücher der Kirche das Sekundäre, das eben dem Normativen anzupassen ist. Man möge sich einmal folgende Frage stellen, um dem Wesen der Buchreligion näher zu kommen. Jesus ist Ostern aus dem Grabe von den Toten auferstanden, er zöge nach Jerusalem und statt nach 40 Tagen gen Himmel zu fahren und der Kirche den Heiligen Geist zu senden, wäre er in Jerusalem geblieben und lebte dort bis heute als das lebendige und allen sichtbare Haupt seiner Kirche! Warum tat er das nicht, sondern hinterließ einen Heiligen Text und sandte den Heiligen Geist der Kirche, sodaß sie nun der wahre Ausleger dieses Urtextes ist, ja ihn selbst erst -kraft des Hl. Geistes- festlegte? Warum ist nun das Zentrum der christlichen Religion ein Buch mit seiner Kommentierung und den Dogmen, (Ein Dogma ist ein Begreifen von Aussagen der Bibel und das ist etwas anderes als ein bloßes Zitieren und Aneinanderreihen von Bibelstellen), in und durch die uns Gott begegnet! Und die Eucharistie gibt es auch nur als wirkliche Gegenwart des Heilandes, weil die Einsetzungsworte, die Konsekrationsworte aus der Bibel vom Priester gesprochen werden, immer wieder!  Einst schätze die Kirche die Heiligkeit dieser Konsekrationsworte so sehr, daß sie vom Priester über Brot und Wein, damit sie gewandelt werden, so leise-lateinisch- gesprochen  wurden, damit sie nicht hörbar sind und so nicht profanisiert würden.             
Oder wollen wir, wie die Schwärmer der Reformationszeit Gott an seinem Wort vorbei, dem geschriebenem und zum Buch gewordenen Wort vorbei unmittelbar erleben? 



1 Kommentar:

  1. Danke für den Beitrag.
    Sind es tatsächlich Schwärmer, die Gott erleben?
    Viele Christen erlangen durch den Verstand, durch die Hl. Schrift den Zugang zu Jesus Christus. Allerdings gibt es eben doch noch einen anderen Zugang: Im erfahren und erleben des persönlichen Gottes. Dies ist eher der mystische Weg, der oft im und durch das Leid geschieht.
    Deshalb ist das Christentum keine Buchreligion, sondern eine Beziehung zum lebendigen Gott. Es ist ein Zustand.
    Ich erinnere mich an einfache alte Menschen in meiner Jugendzeit, die kaum ein Wort in der Hl. Schrift selbst gelesen haben, aber eine natürliche Frömmigkeit und Weisheit ausstrahlten, die bewundernswert war. In ihnen wirkte Gott, weil sie sich in ihm bewegten und er in sie bewegte.
    Vielleicht ist es gerade dieses sich nicht einlassen wollen auf eine persönliche Beziehung mit Gott, die den Glauben verdunsten lässt. Eine rationale, rein intellektuelle Glaubensgrundlage anhand eines Buches bietet nämlich dem Willen und den Gefühlen weitaus mehr Spielraum zur Interpretation, als eine sich schenkende Beziehung.

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