"Vor den Nonnen kam die Äbtissin nur selten auf Glaubensdinge zu sprechen:" Das ist als Lob in dem Roman: "Der Italiäner, oder Der Beichtstuhl der schwarzen Büssermönche" von Ann Radcliff aus dem Jahre 1797 gemeint. (zitiert nach der sehr gediegenen Überstzung von F. Polakovics 1973).
Statt von Glaubensdingen zu reden: "war aber mit Eifer darauf bedacht, all die moralischen Pflichten auszulegen und auch zu fordern, wie dieselben sonderlich in der Gemeinschaft, welcher sie vorstand, von Bedeutung waren: also namentlich diejenigen, welche geeignet sind, jedes Übermaß an Gemütsbewegung zu sänftigen und jene innere Ruhe zu stärken, wie sie nun einmal zur Übung schwesterlicher Güte, allgemeiner Nächstenliebe sowie zur reinsten und erhabenen Frömmigkeit gehört." (S.466).Positiv beurteilt wird also eine reine und erhabene Frömmigkeit, die genau genommen nichts mit den "Glaubensdingen", sprich den dogmatischen Lehren der Kirche zu tuen hat, ja das ist geradezu das Positive des von dieser Äbtissin Vorgelebten. Streicht man die etwas pathetisch anmutenden Formulierungen zusammen auf ihren bloßen Kern, besagt das nur noch, daß die Äbtissin die Verhaltensweisen unter den Nonnen stärkte, die erforderlich sind für ein gutes Gemeinschaftsleben. Das Ziel ist die sozialverträgliche Nonne und damit auch der sozialverträgliche Bürger. Dazu gehört die Affektbeherrschung im Ideal der inneren Ruhe. Religion reduziert sich so auf das Einüben zu einem sozialverträglichem Miteinanderleben.
" Die Regeln der Römisch-Katholischen Kirche befolgte sie zwar, doch ohne zu glauben, dieselben wären für die Erlösung ausnahmslos vonnöten." (S. 465).Wenn die wahre Frömmigkeit in der allgemeinen Nächstenliebe besteht, dann sind genau genommen alle Glaubensdinge für das Heil überflüssig und auch alle Regeln der Kirche, die nicht nur Modifikationen und Konkretisierungen der allgemeinen Nächstenliebe sind.
Aber einer so guten Äbtissin droht immer eine Gefahr: "Solchen Glauben mußte sie freilich geheimhalten, auf daß sie nicht um eben dieser Tugend willen sich die Bestrafung durch irgendwelche eifernden Kleriker zuzöge". (S. 465). Eifernde Kleriker bilden nun den Antitypus zum Idealbild der Äbtissin, die nur sehr zurückhaltend von Glaubensdingen" spricht vor ihren Nonnen. Das tuen nur eifernde Kleriker. Der Gemütsruhe korreliert also die Nichtbeschäftigung mit Glaubensdingen, während umgekehrt die Beschäftigung mit Glaubensdingen Christen zu eifernden Klerikern werden läßt.
So war diese Musteräbtissin auch nicht darauf aus, "jemanden mit List zur Nonne zu gewinnen und duldete dergleichen auch nicht unter ihrer Schwesternschaft." (S.471). Das Wort List meint hier nun nicht, daß es zweierlei Arten von Nonnengewinnung gäbe, eine verwerfliche, die mit List arbeitet und eine nicht verwerfliche, sondern ist hier tautologisch zu verstehen im Sinne von: Bei jeder Nonnengewinnung wird mit List gearbeitet, denn sonst gewönne die Kirche gar keine Nonnen. Die Musteräbtissin verzichtet also auf jede Art von missionarischer Ausrichtung, auf jede Art von Proselitenmacherei, um es modern auszudrücken, weil, ja weil es im Leben doch sowieso nur auf die allgemeine Menschenliebe ankäme und dazu bedarf es weder der Glaubenslehren der Kirche noch des geregelten Klosterlebens!
Und zu dieser antithetischen Struktur paßt es auch, daß die positiven Protagonisten stets im Erleben der Natur Trost und Zuversicht erfahren, während kirchliche Räume stets negativ qualifiziert sind als dunkle bedrückende.
Und zu dieser antithetischen Struktur paßt es auch, daß die positiven Protagonisten stets im Erleben der Natur Trost und Zuversicht erfahren, während kirchliche Räume stets negativ qualifiziert sind als dunkle bedrückende.
So tönte schon 1797 eine englische Schriftstelllerin in einem ihrer Erfolgsromanen wider alles Katholische! Wenn man sich dann noch die Schilderung der Inquisition vor Augen führt, die hier als der Antitypus zur guten Äbtissin fungiert, erahnt man die Kraft des Antikathoischen im 18. Jahrhundert wohl nicht nur in England.
Nur, daß im 21. Jahrhundert dieses Negativbild oder positiv formuliert die Parole: Nächstenliebe statt Lehre der Kirche zum Allgemeingut selbst innerhalb der Kirche wurde!
Nebenbei: Trotz dieser antikathoischen Tendenz ist der Roman gerade in der gediegenen Übersetzung von Polakovics mehr als lesenswert ob seiner dramatischen Handlung, der Erzählkunst der Autorin und des guten Sprachgefühls des Übersetzers, eine dem Gehalt gemäße Sprache zu finden! Es gibt auch von Polakovics eine Übersetzung von: Mattew Gregoy Lewis Roman: Der Mönch. "Der Italiäner" gilt auch als eine kritische Auseinandesetzung mit dem Stil des Mönch- Romanes.
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