Freitag, 24. Juni 2016

Aufklärung: krassester Aberglaube

"Es kann Euch nicht entgangen sein, daß Eure Eltern zum großen Unglück in dem krassesten Aberglauben befangen  sind. [...] In der Zeit, da Eure Frau Mutter mit Agnes schwanger ging, ward sie von einem so schweren Leiden befallen, daß die Ärzte sie aufgaben. In solcher Bedrängnis gelobte Donna Inesilla, sie würde,im Falle sie mit dem Leben davokäme, das unter ihrem Herzen keimende Wesen dem Klosterdienste weihen[...]Nun, ihr Flehen wurde erhört:die Krankheit ward  von ihr genommen, und sie genas in der Folge eines Mägdleins,das auf den Namen Agnes getauft und der Sancta Clara [einem Kloster]zugesprochen wurde." (M.G. Lewis, Der Mönch, 1796, übers: F.Polakovics, 1986, S.157)
Augenfällig ist die Parallele zur hl. Anna, der Mutter Mutter Gottes.Sie gelobte Gott, wenn er ihr Flehen erhören würde, daß sie dann ihr Kind Gott weihen würde, daß es dann im Jerusalemer Tempel als Tempeljungfrau Gott dienen würde. "So wahr der Herr mein Gott lebt, wenn ich dann gebären werde, ob männlich oder weiblich,will ich es dem Herrn meinem Gott als Gabe darbringen, und es soll ihm alle Tage seines Lebens nach Priesterart dienen." (Die Apokryphen, Verborgene Bücher der Bibel, Hrsg; E. Weidinger, 1989, S.434; vgl insgesamt: Das Protoevangelium des Jakobus)So wurde Maria, dreijährig in den Tempel gebracht und lebte dort, bis zu mit Joseph verlobt wurde. 
Was ist nun der krasseste Aberglaube in diesen beiden Geschichten? Der englische Schriftsteller weiß das genau:  daß eine Mutter Gott ein Gelübde macht: wenn ich schwanger werde, dann werde ich Dir zum Danke mein so geborenes Kind Dir weihen, indem es im Tempel, in einem Kloster Dir dann dienen wird. Abergläubisch ist die Vorstellung, daß Gott bereit ist, auf ein Gelübde einzugehen: Weil  ein Mensch mir das verspricht, wenn ich ihm dies gewähre, gewähre ich ihm das Erflehte. Abergläubisch ist wohl überhaupt die Vorstellung, daß Gott es ist, der Frauen eine Schwangerschaft gewährt oder verwehrt. Zudem ist es abergläubisch, daß dann das Gott geweihte Leben ein kontemplatives in dem Jerusalemer Tempel oder in einem Kloster sei. (Vgl: Denn der Herr hatte im Hause Abimelech jeden Mutterschoß verschlossen". Gen. 20, 18. Keine Frau konnte so mehr schwanger werden.) 
Als einen Akt ärgster Kindesmißhandlung wird nun im Roman: Der Mönch die Übergabe ihrer Tochter an das Kloster bezeichnet. Wie kann die arme Agnes nun von diesem Schicksal bewahrt werden?, ist eines der Handlungsmotive des Romanes. Und so hätte die Gottesmutter Maria eigentlich auch vom Kinderschutzbund davor bewahrt werden müssen, dreijährig zum Leben im Tempel von den eigenen Eltern Priestern übergeben zu werden- aber es gab da noch keinen Kinderschutzbund. 
Abergläubisch wird hier der christliche Glaube bezeichnet, daß Gott wirklich in der Geschichte der Menschen handelt, ja daß er sogar bereit ist, Gelübde von Menschen zu erhören. Die Praxis der Gelübde ist nun gewiß keine genuin christliche Praxis; man wird mutmaßen dürfen, daß sie eine in jeder Religion bekannte Praxis ist.Religion inkludiert immer die Vorstellung, daß es eine Kommunikation zwischen Gott und dem Menschen und dem Menschen und Gott gibt. Und zu dieser Kommunikationsgemeinschaft gehört eben auch die Vorstellung, daß Gott Gelübde erhören kann. Erst, wo eine Religion "aufgeklärt" wurde und nur noch eine Morallehre mit Gott als Letztbegründung der Moral ist, da fällt die Vorstellung eines in die Geschichte der Menschen real eingreifenden Gottes weg. Gott ist da nur noch der Moralgesetzgeber, der dann der Welt tatenlos zuschaut, ob und wie sie nach seinen Geboten lebt. Damit ist aber jeder Religion die Lebensenergie entzogen- sie wird zu Tode moralisiert.
Wenn die wahre Religion in den Grenzen der Vernunft nach Kant ausschließlich im Streben nach Sittlichkeit besteht und alles sonstige Religiöse als der Afterdinst der Kirche perhorresziert wird, dann entsteht eine wahrhaftig tote Religion, der das genuin Religiöse das kraß Abergläubische ist.              

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