Sonntag, 17. Oktober 2021

So viele Worte, wie da wahre erkennen! Probleme beim Lesen der Bibel- eine Einführung


Qui non est expertus, pauca recognoscit“ Jesus Sirach, 34,10. A.Arndt (Die heilige Schrift des Alten und Neuen Testamentes .Mit dem Urtexte der Vulgata, zweiter Band 1903 übersetzt so: Wer nichts erfahren hat, weiß auch wenig. Auch hier wird wohl zu frei übersetzt, das ist nun leider ein Problem aller Übersetzungen, aber durch diese Übersetzung wird eben auch eine sehr bedeutsame Wahrheit diese Aussage zum Verschwinden gebracht, denn das Verb: „recognoscit“ wird hier völlig falsch übersetzt: „Er wiedererkennt“ wäre richtig. Und „est expertus“ =ist erfahren.

Die Pointe dieser Aussage ist also, daß das Erkennen als ein Wiedererkennen begriffen wird. Es bedarf so eines Vorwissens von dem Zuerkennenden, um das Etwas dann erkennen zu können. Zur Veranschaulichung: Stelle ich jemanden ein Tablett mit 10 Gläsern hin und fordere ihn auf, aus den 10 das eine Bierglas herauszuheben,bereitet es kaum einen ein Problem, das eine unter den 10 Gläsern als das gesuchte Bierglas zu identifizieren. Damit diese Identifikation aber durchgeführt werden kann, muß ein Wissen, eine Vorstellung von dem, was ein Bierglas ist, vorhanden sein, damit dann das eine als ein Bierglas erkannt werden kann. Würde nun nachgefragt, was denn da für eine Vorstellung von dem Glas Bier vorhanden gewesen war, sodaß dies eine Glas richtig als Bierglas identifiziert werden konnte, wer könnte diese Frage destinkt beantworten? Ist an ein Weißbierglas, ein 0,2 Liter Glas, ein 0,5 Liter Glas oder oder gedacht worden? Nein so klar darf diese Vorstellung vom Glas Bier nicht sein, weil alle möglichen Biergläser ja durch diese eine Vorstellung zu identifizieren sind. Die Vorstellung müßte also das Wesen des Bierglases erfassen, damit jedes mögliche Einzelbierglas durch diese Vorstellung als ein Bierglas erkannt werden kann. Also verfügt der, der dies eine Bierglas erkennen konnte, über den Begriff des Glases, unter den jedes mögliche Glas Bier als eines subsumierbar ist.

Ein Bierglas wird so begriffen als ein Exemplar des Begriffes des Bierglases als individuierte Realisation des Begriffes. Aber genau dieser Begriff des Bierglases, den wir so einfach und unkompliziert applizieren können, wenn wir ein Glas als ein Bierglas erkennen,ist uns selbst, werden wir danach gefragt, ihn darzulegen, so unklar, daß wir spontan nicht diesen Begriff explizieren können. Versuche einmal, das Bierglas zu definieren! Streng genommen darf in der Definition das zu Definierende nicht selbst vorkommen, so daß auch „Bier“ und „Glas“ zu definieren wären. Wollte man sich aber mit der Definition: Ein zum Biertrinken geeignetes Glas zufriedengeben, bereitet das „geeignet“ größte Probleme, denn ich kann ja auch aus einem Wein- oder Schnapsglas Bier trinken- also muß das „geeignet“ noch näher bestimmt werden, aber wie?

Der „expertus est“, kann ein Bierglas erkennen, weil er es von seinem Vorwissen her wiedererkennen kann. Das zeigt nun an, was für ein komplexes etwas dies „expertus“ ist. Aber dies nur ermöglicht ein Erkennen, das in Wirklichkeit ein Wiedererkennen ist.

Man sieht nur,was man kennt“- diese Spruchweisheit las ich einmal auf einem Reiseführer als Ankaufsmotivierung. Was nützte es auch, irgendwohin zu reisen, da vieles zu sehen, und dann doch nicht zu sehen, weil das Gesehene nicht erkannt wird. So bestätigt diese Reiseführerweisheit diese Erkenntnis des Jesus Sirach.

Wer kein expertus ist, erkennt nichts. Ob damit unsere Talkshowkultur erklärbar wird, daß da über alles und jedes geredet wird von Nichterkennenden? Was nützte auch ein Meer an Informationen, wenn diese dann nicht erkannt werden können?

In der Theologie hat diese Einsicht Jesus Sirachs zu einer bedenkens-werten Distinktion geführt, der Ausdifferenzierung des Wortes (Gottes) in das äußere und das innere Wort. Damit sollte die Frage beantwortbar werden, wie denn in dem Meer der Worte das Wort Gottes erkennbar sein kann? Ist jedes Erkennen ein Recognizieren, so muß im äußeren Wort Gottes, das mir in der Bibel gegenübersteht in einem Meer von anderen Büchern, das schon vorausgewußte Wort Gottes wiedererkannt werden. Das ist dann das „innere Wort“ im Menschen, daß ihn dazu befähigt, das äußere Wort Gottes als Wort Gottes wiederzuerkennen. Fehlt dies, so bleibt das äußere Wort nur eines, das mit dem Anspruch versehen ist, daß es das Wort Gottes sei, das aber so nicht vom Leser erkannt werden kann.

So führte der Reformator Zwingli dies Konzept des Wortes Gottes aus, auch in kirchenkritischer Intention, da nun es nicht mehr der Autorität der Kirche bedurfte, um die Bibel als das Wort Gottes zu qualifizieren, sondern das innere Wort befähigt dazu den Bibelleser. Dies innere Wort könnte dann auch als ein Produkt des Einwirkens des Heiligen Geistes begriffen werden. Eines verdeutlicht dabei aber auch das simple Anschauungsbeispiel des zuerkennenden Bierglases. Das innere Wort wird erst im Akt des Wiedererkennens zu einer bestimmten Erkenntnis- fehlte das äußere Wort, wäre das innere so eigentümlich unklar wie die Vorstellung vom Bierglas, aber in der Begegnung mit dem äußeren Wort führt es dann zu einem Erkennen als einem Recognizieren.

 

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