Sonntag, 3. Oktober 2021

Geht unsere Kultur unter?- Fragmente zum Untergang des Abendlandes


Gewalt reicht nicht, um eine Zivilisation zu zerstören.Jede Zivilistion stirbt an der Gleichgültigkeit gegenüber den ihr eigentümlichen Werten, die sie begründen.“ Nikolas Gomez Davila, Es genügt, dass die Schönheit unseren Überdruss...Aphorismen, 2017, S.73.

Da es sich hier um eine Übersetzung ins Deutsche handelt, ist zu mutmaßen, daß „Kultur“ eine bessere Übersetzung des von diesem Aphorismenmeisters Gemeinten ist. Es könnte dann wie folgt differenziert werden: Die westliche Zivilisation ist die der technischen Beherrschung der Natur und die Optimierung der Ökonomie in ihrer Produktivität. Der instrumentellen Vernunft, das Vermögen, vorgegebene Ziel effektiv zu erreichen, steht dann die Einsicht gegenüber, daß diese Vernunft nicht mehr begründen kann, warum es vernunftwidrig sei, seinen Mitmenschen zu töten, aber sie kann effektive Wege aufzeigen, wie dies Ziel realisierbar sei. (vgl Horkheimers Kritik der instrumentellen Vernunft) Dies Fehlende, das zu erbringen, ist dann die Aufgabe der Kultur. Also, ich schlage vor, die Zivilisation und die Kultur als zwei Räume menschlicher Existenz zu verstehen, die Zivilisation als die Weise der Naturbeherrschung und die Kultur als das geistige Leben. So ist die Seßwerdung des Menschen, daß er statt Tiere zu jagen, anfing sie zu züchten und statt zu sammeln, zu säen und zu ernten, sicher eine der größten Revolutionen der Zivilisation, der Monotheismus und der jetzige sich verbreitende Atheismus sind dagegen Revolutionen der Kultur.

So lebt die Zivilisation nicht von Werten, sondern hier darf ruhig mal marxistisch formuliert werden, sondern ist bestimmt durch die Entwickelung der Produktivkräfte und der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit, der Produktion und der Konsumtion. Nur darf nun nicht die Kultur als etwas durch diese Zivilisation Determiniertes vorgestellt werden; es ist eher an eine Wechselwirkung zwischen diesen Sphären zu denken. Wenn die Frage, wie habe ich zu leben, um jenseitig ewig leben zu dürfen, die Zentralfrage der Kultur ist, dann wird die sich auch auf die Sphäre der Zivilisation auswirken: Was muß hier vermieden werden, (Sünde), um nicht das ewige Jenseitsleben zu gefährden? Wenn aber die Ideologie des Konsumismus die Kultur erfüllt, daß alles als Ware kaufbar ist, sodaß das menschliche Glück sich im Konsumieren ereignet, dann wirkt sich auch dies auf die Zivilisation aus, denn nun muß die Produktivität so gesteigert werden, daß alle ausreichend konsumieren können.

Wenn wir das Ende des christlichen Abendlandes voraussetzen, was bildet dann den Kern der westlichen Welt, der Kultur Westeuropas und Amerikas, die nun verglobalisiert werden soll? Die Zivilisation der westlichen Welt ist eindeutig die des weit entwickelten Kapitalismus. Was ist dann aber die Kultur des „freien Westens“? Meine These: Die spezifische Kultur ist die der Aufhebung der christlichen Religion der Verheißung des jenseitigen Reich Gottes in eine politische Aufgabe, die der vernünftigen Gestaltung der Welt. Die christliche Religion wird dabei nicht einfach negiert, sondern zu einer Aufgabe des Menschen transformiert: Jetzt soll der vernünftige Mensch seine Welt vernünftig gestalten. So verschieden dann auch die Konzeptionen ausgestaltet werden können, es sind alles nur Variationen dieses einen Grundgedankens. Philosophisch könnte von einem säkularisierten Logozentrismus gesprochen werden. Im Zentrum steht die Differenz von der Vernunft und der Natur und die Aufgabe, das Natürliche vernünftig zu gestalten, sowohl die äußere Natur wie auch die eigene des Menschen. Der „homo faber“ (Max Frisch) ist so eine säkularisierte Gestalt des allmächtigen Schöpfergottes.

Nur, wer glaubt noch an die Vernunft als dem Medium, durch das Alles zum Guten hin gestaltet werden kann? Der Zerfall dieses Glaubens an die Vernunft löst so die Kultur des „freien Westens“ auf, sie hört selbst auf, an ihre eigene Vernünftigkeit zu glauben. Damit bleibt nur noch die kapitalistische Zivilisation übrig- das könnte Oswald Spengler mit der Zivilisation nach dem Absterben der Kultur gemeint haben.

Die Werte und Normen des westlichen Kultur sind so selbst schon Zerfallsprodukte des christlichen Abendlandes, die nun aber selbst auch zu Grunde gehen. Was nach ihr kommt, das deutet uns der unbestimmte Begriff der Postmoderne an, der so unbestimmt ist, weil unsere Gegenwart noch nicht sich auf den Begriff gebracht hat.

 

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