Donnerstag, 5. April 2018

Gott und die Religion- eine These

Peter Sloterdijk überrascht: " Die Götter sind abhängig von Menschen, die sich von ihnen abhängig glauben. Auf dieses Schema reziproker Bedürfnisse verweist der lateinsche Ausdruck religio.Er bedeutet anfangs soviel wie die ängstliche Sorgfalt bei der Wahrung des Protokolls im Umgang mit den höheren Mächten." "Ist die Welt bejahbar?" in: Peter Sloterdijk, Nach Gott, 2017,S.40. Damit will dieser Philosoph den Opferkult bestimmen als ein wechselseitiges Geben und Nehmen. Einfach formuliert: Weil die Götter Opfer möchten, sind sie bereit für die dargebrachten Opfer auch als Gegenleistung etwas zu geben. Ja, nach Sloterdijk scheinen sie gar der Opfer zu bedürfen, sie litten einen Mangel, würde ihnen nicht kultische Opfer dargebracht.
Leicht ist diese Vorstellung, die wohl für die Götter gelten mag, für den christlichen Gott zurückweisbar. Er genügt sich als Dreieiniger in seiner reinen Selbstbezügichkeit und kann so auf keinen Fall einen Mangel an etwas leiden oder einen Bedarf an etwas haben. Er ist sich selbst vollkommen genügsam, so die Lehre von Gott in der christlichen Theologie.
Sloterdijk verkennt eben den christlichen Gott, den er gern in der Nähe solcher bedürftigen Götter sähe. Wenn dann auf S.39 geschrieben steht: "Später kam der liebende Gott hinzu; seine Liebe freilich bleibt oft ein Zwangsvertrag, von Drohungen durchsetzt." ,dann liegen wir sicher richtig, daß der Philosoph damit den christlichen Gott meint, von dem er auch zu berichten weiß, daß er 80 Mal seinem Volke "schriftlich die Auslöschung androht." (S.45)
Nur, wird so nicht dieser kritische Kommentar zum Opferkult und zum Verständnis der Götter zu schnell und zu leichtfertig abgetan? Sicher, es gab schon vor Jesus Christus in der Antike, man denke jetzt besonders an Platon und Aristoteles, eine Aufklärung der antiken Göttervorstellungen: daß ein Gott Opfer wolle, das wurde damit ad acta gelegt. Daß die christliche Theologie dann im Dialog mit den damaligen Aufklärungsphilosophen die christliche Gotteslehre konzipierten, ist offensichtlich. Neben die hl. Schrift trat eben das vernünftige Denken Gottes als weitere Quelle wahrer Gotteserkenntnis. 
Könnte es dann aber sein, daß uns unser Gott zu vernünftig geriet? Wer sich in das Alte Testament, in seine Gottesgeschichten vertieft und parallel dazu etwa die Gotteslehre bei Ott liest (sicher immer noch einer der besten deutschsprachigen Dogmatiker, auch wenn er der nachkonzilaren Theologie ein rotes Tuch ist) kann die sich da auftuende Differenz im Gottesverständnis nicht überlesen.  
Es sei an eine der großen Debatten zwischen der christlichen Theologie und der Aufklärungsphilosophie erinnert. Die Kritik der zeitgenössischen Philosophie lautete: Da die heilige Schrift der Christen von Gott aussage, daß er zürne, beweise das hinreichend, daß der Gott der Bibel kein wahrer Gott sein könne. Es sei vernunftwidrig, Gott als Zürnenden zu denken. Der große Apologet Lactantius widerlegte diesen Einwand allein durch vernünftige Argumente. Die Philosophen dächten Gott nicht vernünftig, wenn sie ihn als indifferent gegenüber Gut und Böse imaginieren. Der Zorn (Gottes) ist das vernünftige Verhalten wider das Böse.  Lactantius bewahrte so die Lebendigkeit Gottes, daß er eben auch ein Zürnender und Rächender sein kann und auch ist, weil er Gott ist. 
Nur, wie weit haben wir uns schon von diesem Gott entfernt! Der Gott der Postmoderne zürnt nicht, er richtet nicht, er ist immer nur noch liebend. Sloterdijk kennt auch diese Gottesvorstellung:"Indifferente Götter bilden ein sehr spätes Kapitel in der Geschichte der Transzendenz".(S.39). Ist nun in der Postmoderne Gott zu so einem indifferenten Gott geworden, daß es ihm gleichgültig geworden ist, ob und wie er verehrt wird, was und wie wir ihn glauben? Und nun fragen wir zum Anfang hin: Ist nicht der Anfang dieses indifferenten Gottesbildes die Aussage, daß Gott sich selbst genüge? Könnte nicht Gott diesbezüglich so gedacht werden: daß der, der sich selbst genügt und so keinen Mangel leidet, doch die Verehrung durch uns Menschen will? Daß Gott nicht nur der Gott für sich sein will, sondern daß er der Gott für seine ganze Schöpfung sein will, das würde dann die Lebendigkeit Gottes erst ausmachen. Religion gäbe es dann, weil zuvörderst Gott selbst von uns Menschen verehrt werden möchte. Sie wäre damit gar nicht primär ein menschliches Produkt sondern von Gott kreiert. Dort, wo die Religion so ausschließlich anthropologisch begriffen wird, würde so ihr eigenes Wesen verfehlt werden. 
Gott als indifferent zu denken, entspringt ja dem Bedürfnis multikultureller Gesellschaften, die Religionen zu domestizieren, sie friedfertig zu gestalten. Nicht wird dabei gefragt, wie den Gott ist, sondern: Wie ist er für unsere Gesellschaft nützlich zu denken? Wie hat er zu sein, damit er in unsere globalisierte Welt hineinpaßt. Waren nicht die philosophische Aufklärung der Antike wie die in der Moderne große Versuche der Domestikation Gottes, die in der postmodernen Vorstellung eines indifferenten Gottes ihr Ziel findet? (Vgl hierzu auch mein Buch: Der zensierte Gott)     

Zusatz:
Papst Franziskus antwortete so: „Sie werden nicht bestraft. Jene, die bereuen, erhalten die Vergebung Gottes und reihen sich unter die Seelen, die ihn betrachten. Aber jene, die nicht bereuen, denen kann nicht vergeben werden, und sie verschwinden. Es gibt keine Hölle. Es gibt das Verschwinden der sündigen Seelen.“ 
Gott straft also nicht- diese Aussage ist ein Zentralanliegen der Vorstellung eines indifferenten Gottes.

Allerdings erklärte der Vatican, daß der Papst das so nicht wörtlich gesagt habe, es aber so sein
Gesprächspartner wiedergegeben und der Papst hat diese häretische Äußerung nicht zurückgenommen. Kath info 4.4. 2018 
 

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