Dienstag, 25. Februar 2020

"Verstehst Du auch, was Du liest?"

Diese Frage dürfte eine kleine Irriation hervorrufen, denn im Regelfalle verstehe ich doch, was ich lese, ob ich nun an den Roman denke, den ich gestern las, oder die von mir angeklickten Internetseiten oder die eingegangene ePost. Ein kleines Experiment: Verstehst Du den Satz: „Ich ging zur Bank“? Es kam stets die selbe
Antwort: Ja, manchmal mit befremdlichen Unterton, warum denn so eine simple Frage gestellt wurde. Aber die Nachfrage, habe der so Gefragte dabei an eine Geld-Bank oder eine Sitz-Bank gedacht, verblüffte dann doch sehr: „Ich habe den Satz verstanden, weiß aber nicht zu sagen, an welche Bank ich gedacht hatte, an die Geld- oder an die Sitzbank!“ Aber es ist doch ein Riesenunterschied, ob ich zu einer Sitz- oder zu einer Geldbank ging. Genau genommen ist dieser Satz so nicht verstehbar und doch urteilten alle Befragten, daß sie ihn verstanden hätten.
Verstehen wir so, wie wir meinen, diesen Satz verstanden zu haben, auch viele andere Aussagen, daß wir sie faktisch nicht verstehen, nur meinen, sie zu verstehen? Wir leben in einer Medien- Text- und Bilder-Welt mit vielen Aussagen, aber verstehen wir das Ausgesendete auch. Nehmen wir eine weitere einfache Aussage: „München schieß t in der 89. Minute das 1:o.“ Was muß ich alles wissen, um diese einfache Aussage auch zu verstehen? Gewußt werden muß, daß mit München der Fußballverein Bayern München gemeint ist, daß das 1:0 ein Ereignis in einem Fußballspiel meint, nämlich einen erfolgreichen Torschuß, daß Fußball ein Gewinnspiel ist, in dem der Sieg definiert ist mit, daß mindestens ein Tor mehr geschossen sein muß als der Gegner erzielt, daß ein Fußballspiel 90 Minuten dauert mit der Option einer Überspielzeit von in der Regel 1 bis 6 Minuten und es muß eine Vorstellung davon geben, wie viele Tore durchschnittlich in einem Spiel geschossen werden, um einschätzen zu können, wie wahrscheinlich es ist, daß Bayern dies Spiel noch verlieren kann, daß die Mannschaft also nach der 89. Minute noch mindestens 2 Tore kassiert.
Nun gibt es Ereignisse in viel komplexer strukturierten Kontexten als ein Fußballspiel. Das hat aber zur Folge, daß dann viel mehr gewußt werden muß, um eine Einzelaussage über ein Teilereignis zu verstehen. Der Äthioper, der gefragt wurde: Verstehst Du, was Du liest? ,antwortete ehrlich: „Wie könnte ich, wenn mich niemand anleitet?“ Apg 8, 30f . Der selbstbewußte moderne Mensch weißt diese Antwort weit von sich, will er doch durch den eigenen Verstand alles selbst verstehen und meint das auch zu können, denkt er nur vernünftig. Aber wie könnte der Verstand, wenn er das Regelsystem Fußball nicht kennt, die Aussage, München schoß in der 89. Minute das 1:0 verstehen? Ist das Regelsystem, daß erst dieser Aussage einen Sinn gibt, aus rein vernünftigem Denken deduzierbar? Könnte aus der Analyse des Begriffes Ball das Regelsystem Fußball als sachgemäßer Umgang mit dem Ball ableitbar sein? Wie sollen dann aber Ausagen über Ereignisse in weit komplexer Strrukturiertem verstehbar sein? In der Regel vermittelt ja die postmoderne Medienwelt Einzelereignisaussagen, ohne daß der Kontext, durch den das Ereignis erst seinen Sinn bekommt, selbst noch vermittelt wird. Oder aber es werden ideologische Deutungen für das Einzelereignis gegeben. So ist ein Deutscher, wenn er einen Ausländer tötet, stets ein Rassist, ein Muslim, der einen Deutschen tötet, stets ein psychisch Erkrankter. Bei deutschen Tätern ist die Tat ideologisch motiviert, bei einem Muslim stets psychisch ohne einen Bezug so dieser Religion.
Oder es wird gar kein Deutungsmuster als Anleitung zum Verstehen der Einzelnachricht angeboten, sodaß ein Meer von unverständlichen Nachrichten entsteht, daß eben die Welt für uns Leser zu einem völlig unverständlichem Gesamttext wird. Die absurde Welt entsteht so. Aber ohne eine Weltanschauung können Einzelereignisse in der Welt nicht begriffen werden, sie werden nur beschrieben phänomelogisch. Aber in Folge des Nominalismus, der Meinung, nur das Einzelne sei und alles andere Darüberhinausgehende, etwa eine Familie, ein Volk, eine Rasse, die Menschheit nur Abstraktbegriffe, die auf keine Realität verwiesen, kann es eigentlich keine Weltanschauung mehr geben und die Religionen, die einst das leisteten, was dann nach der Aufklärung die Weltanschauungen leisten sollten, haben selbst ihre Glaubwürdigkeit verloren, daß sie nur noch im Privatleben gebraucht werden, sodaß sogar die Kirchen die christliche Religion in den öffentlichen Diskurs nicht mehr einbringen, man redet dann nur noch weltlich, um in der Welt verstanden zu werden.
Aber ohne die große Erzählung der christlichen Religion von der Erlösung des Menschen werden auch die Einzelaussagen und Praktiken der Kirche unverständlich, sie verlieren ihre ureigenste Bedeutung. So ihres Gehaltes beraubt, gleichen sie der Aussage: „Ich gehe zur Bank“, sodaß nun der Leser die Freiheit bekommt, sie nach seinem Geschmacke zu verstehen, so wenn etwa aus dem christlichen Bußfasten der Aufruf wird, auf den Menschen Schädigendes zu verzichten, etwa zu rauchen aufzuhören für eine befristete Zeit weningstens. Diese Umdeutung des Fastens ist aber nur möglich, indem dies Tuen aus seinem ihm zugehörigen Kontext herausgenommen wird, und damit es so abstrahiert nicht zu etwas Sinnlosen wird, in einen anderen Kontext neu integriert, etwa in den Gesundheitsdiskurs. Dieser Kontextwechsel ändert dann den Sinn des Begriffes des Fasten. So ist es ja auch mit dem Begriff der Bank. Lese ich: „Vom Wandern ermüdet, ging ich zur Bank“, bekommt der Begriff der Bank seine Klarheit durch diese Kontextualisierung durch den Begriff des Wanderns.Lese ich dagegen: „Um die Einkäufe tätigen zu können, ging ich zur Bank“, bekommt hier der Begriff der Bank eine ganz andere Bedeutung. Ein Verstehen verlangt so immer die Kenntnis des Kontextes, des Ereignises, der dem Ereignis erst seine Bedeutung gibt. Und komplexe Ereignisse erheischen so, um verstanden zu werden, einen religiösen oder metaphysischen, weltanschaulichen Deutungskontext, ohne den uns Ereignisse zu sinnlosen Aussagen werden.

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