Sonntag, 16. Februar 2020

Eine schöne Parole: Bureaukratieabbau


Diese Parole stößt überall auf Zustimmung, sodaß auch gern unbureaukratische Hilfe gefordert wird.Weniger Bureaukratie- mehr Leben? Bertold Brecht schrieb (dagegen) einmal, daß schlechte Zeitungen kein Grund für die Forderung ihrer Abschaffung seien, sondern Anlaß geben, bessere zu fordern. Es soll nun versucht werden, diesem Phänomen sich schrittweise anzunähern. In Wohnhäusern, in denen mehr als eine Partei wohnt, gibt es in der Regel schon eine kleine Hausordnung, was wer darf und nicht darf. Im Hintergrund steht dann noch ein komplexes Gebilde von Gesetzen und Vorschriften, das Mietrecht und maches andere. 
Was hieße hier nun- um der Veranschaulichung willen- ein Bureaukratieabbau? Sollen die Bestimmungen, wie lange und wie laut in Wohnungen etwa Musik gespielt oder gehört werden darf, aufgelöst werden, daß dann jeder nach seinem Belieben in dieser Causa verfahren dürfte? Die einen möchten des Nachts schlafen, die anderen feiern, sodaß ernsthafte Konflikte zu erwarten sind. Oder soll dann immer wieder aufs Neue ein Kompromiß ausgehandelt werden, wie in einem Wohnhause beide Interessen zu ihrem Recht kommen?Die kommunikative Kompetenz der Konfliktparteien wäre damit wohl überfordert (gegen Habermas).  Dann ist wohl eine generelle Lösung permanenten Neuverhandlungen vorzuziehen. Und welche Rechte hat dabei der Mieter und welche der Vermieter?
Ohne ein Regelwerk dürfte es kaum ein friedliches Miteinander in einem Wohnhaus geben können.
Bleiben wir in diesem Gebiet: In Zeiten  akuten Wohnungsmangels könnte ein Vermieter durch Wuchermieten schnell sich bereichern. Aber bureaukrtische Gesetze regeln, wie und  um wie viel höchstens in welchen Fällen der Vermieter die Miete erhöhen darf. Es ist nun leicht verständlich, daß aus der Perspektive des Vermieters diese Regeln als Einschränkung seiner unternehmerischen Freiheit empfunden werden und ein Bureaukratieabbau gefordert wird.Aber was hier die Freiheit des Einen limitiert, schützt den Anderen vor willkürlichen Mieterhöhungen. 
Gesetze und Regeln, heranwachsend zu einer Bureaukratisierung des Lebens, erfüllen so eine wichtige Aufgabe, in diesem Falle, durch das Mietrecht ein allgemeinwohlorientiertes Zusammenleben von Vermietern und Mietern zu ermöglichen. Gäbe es ein solches Gesamtgesetzeswerk nicht, würde eben nur die individuelle Freiheit einiger zu Lasten von vielen gestärkt. Nun können Einzelgesetze verbesserungswürdig sein, aber wer hier das Mietrecht in Gänze abschaffen wollte im Namen der individuellen Freiheit, der verstieße so gröblichst gegen das Allgemeinwohl.
Vor einiger Zeit hatte in Münchner Zeitungen ein Fall im Bereich des Mietrechtes für Aufsehen gesorgt: Einer Frau war eine Wohnung zur Miete angeboten, aber unter der Condition,daß sie auch regelmäßig zum Sex mit dem Vermieter bereit wäre. Sie unterschrieb diesen Mitvertrag, bekam die Wohnung und klagte dann gegen diesen Vertrag. Er wurde gerichtlich als sittenwidrig ungültig erklärt und die Frau konnte die Wohnung ohne Sex behalten. Liberale hätten nun doch auf die Freiwilligkeit der Unterschrift rekuriernd diesen Vertrag als gültig geschlossen beurteilen können. Es gibt nun aber einem den besonderen Einzelverträgen übergeordnetes Gesetz zur Bestimmung von sittenwidrigen Verträgen, das eben solche Verträge als ungültig qualifiziert. Das könnte als bureaukratische Einschränkung der Vertragsfreiheit gedeutet werden, aber es ist ad hoc einsichtig, warum solche Schutzbestimmungen nötig sind, um Menschen vor der Willkür ihrer Mitmenschen zu schützen. 
Wo es gar keine Gesetze und somit auch keine Bureaukratie gäbe, da herrschte die ungeregelte Willkür der Stärkeren wider die Schwächeren. Wären alle Menschen erfüllt vom Geiste der Nächstenliebe, es bräuchte solcher ausufernden Gesetzesopera nicht, aber so sind die Menschen nicht. Die Komplexität der zu  regulierenden Fälle läßt dann aber leider auch  die Gesetze zu komplexen Gesetzeswerken anschwellen mit der dazugehörigen Bureaukratie, die aber nur so der Mannigfaltigkeit und Komplexität des Zuregulierenden gerecht werden können.

Merksatz: Es ist ein grundlegender Denkfehler des Liberalismus, den Staat als Gefährdung und nicht als den Grund bürgerlicher Freiheiten mißzuverstehen.Der Staat, indem er seine Bürger vor der Willkür des Mitmenschen schützt, schafft erst die bürgerlichen Freiheiten.





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