„Die demokratische Gesellschaft begnügt sich selbst im besten Fall damit, das Zusammenleben zu sichern.Die aristokratischen Gesellschaften dagegen errichten auf der menschlichen Scholle einen Palast von Zeremonien und Riten, um den Menschen zu erziehen.“ Nicolas Gomez Davila, Es genügt, dass die Schönheit unseren Überdruss streift...Aphorismen, 2017, S.72.
Erziehen ist also keine Aufgabe einer demokratischen Gesellschaft. Diese Aussage muß auf den ersten Blick irritieren,denn verlangt nicht das Zusammenleben in einer Gesellschaft eine Erziehung zum Zusammenlebenkönnen? In diesem Aphorismus muß also: „den Menschen erziehen“ etwas anderes bedeuten als ein Erziehen zu einem gesellschaftlichen Zusammenlebenkönnen. Dies letztere Erziehen hat seinen Zweck in etwas vom Menschen Verschiedenes, er soll gesellschaftsfähig werden. Das bedeutet, für den Arbeitsmarkt sinnvoll ausgebildet zu werden, um in und für die Gesellschaft ein nützliches Wesen zu werden, das nicht nur nicht die Gesellschaft stört sondern für sie funktioniert. Das könnte unter dem Begriff der Sozialisation subsumiert werden, daß die Gesellschaft sich reproduziert durch die Hineinerziehung der Kinder in diese Gesellschaft. Diese Sozialisation würde so als oberstes Entwickelungsziel nur das Aufrechterhalten des jetzigen Gesellschaftslebens kennen.
Was könnte dann in Differenz dazu die „Erziehung des Menschen“ bedeuten? Diese Antwort legt sich nahe: Die Erziehung des Menschen zum Menschsein.
Der Mensch würde so als eine Aufgabe begriffen, daß er sich zu etwas zu entwickeln habe. Diese Selbstgestaltung soll nun aber keine Privatangelegenheit sein, daß es da zwei Sphären gäbe, die des funktionierenden gesellschaftlichen Lebens und die der Privatinnerlichkeit, in der sich dann jeder beliebig verwirklichen könne, wobei dies faktisch nichts anderes besagt als die Notwendigkeit, sich zu regenerieren, um dann wieder den Anforderungen des Gesellschaftslebens genügen zu können. Die Erziehung zum Menschsein meint dagegen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie verlangt auch nach Erziehern, die erziehen können. Die dazu Qualifizierten, die bezeichnet dieser Aphorismus als die Aristokratie . Eine Gesellschaft von Gleichen kann so nicht erziehen, weil jedes Erziehen eine Differenz zwischen dem Erzieher und dem Zuerziehenden präsumiert. Nur wenn keine Aristokratie mehr existiert, wer kann dann noch erziehen? Ist somit dieser Aphorismus so zu verstehen, daß es ein Privileg aristokratisch strukturierter Gesellschaften ist, erziehen zu können, daß dagegen eine bürgerlich strukturierte nur ihre Prolongierung erreichen kann, ohne daß sie ein Ziel über sich hinaus noch benennen könnte? Sie wäre dann alternativlos endgültig. So sich absolut setzend könnte sie nur noch in sich hinein Sozialisieren,aber nicht mehr erziehen.
Fragen wir nun aber ganz anders: Für wen verfaßte den der Autor diese Aphorismen- etwa für eine Leserschaft, die sich durch sie bilden will? Die Unterhaltungskunst will nur unterhaltsam sein, aber konstituiert sich die ernste Kunst nicht gerade dadurch, daß sie bilden will? Aber wer will sich denn noch bilden? Ist das das Tragische des künstlerische Schaffens dieses Autors, daß er nicht mehr wissen kann, für wen er dies als Bildungschance schreibt?
Das Bürgertum war der erste Adressat der bildenden Kunst in ihrem Aufbegehren gegen die mittelalterlich strukturierte Ständegesellschaft, die Aufklärungsliteratur. Nachdem nun das Bürgertum siegte durch ihre Revolutionen, wer hätte nun noch ein Adressat der Bildung sein können. Der Marxismus gab darauf die Antwort: das Proletariat. Dies Konzept scheiterte endgültig mit der Auflösung des realen Sozialismus 1989f. Und die Postmoderne, sie kennt kein Subjekt mehr, das sich bilden will, außer vielleicht die Hoffnung, daß Bildungstexte solche Subjekte hervorrufen.
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