G.K.Chesterton bezeichnet den nun folgenden Einwand gegen die christliche Religion als „den einzigen echten Einwand“ (Chesterton, Orthodoxie. Eine Handreichung für die Ungläubigen, 2015,S.172.): „daß sie eine Religion unter anderen ist.“ Die Partikularität dieser bestimmten Religion widerspräche so dem universalistischen Wahrheitsanspruch dieser Religion. Stattdessen gälte, daß „alle Menschen seien, ohne es zu wissen, vereint in einer einzigen großen Religionsgemeinschaft,die sich auf die Allgegenwart des menschlichen Gewissens gegründet“ . (S.172). Die Kritik gipfelt dann in der These: „Glaubenslehren spalten die Menschheit, die Sittlichkeit hingegen eint sie.“ (S.172)
Diese These kann als das Zentrum der Praxis des heutigen interreligiösen Dialoges und selbst der Ökumene angesehen werden. Die Partikularität der christlichen Confessionen soll so überwunden werden wie auch die Partikulariät der bestimmten Religionen. Nur der Terminus der Sittlichkeit klingt etwas antiquiert, so daß jetzt lieber von der großen Aufgabe der Humanisierung der Welt oder conservativ bescheidender von der Erhaltung und Bewahrung der Schöpfung geredet wird. Ideengeschichtlich orientiert könnte nun eruiert werden, die wievielte Neuauflage von Kants Schrift: „Die Religion in den Grenzen der bloßen Vernunft“ uns hier sehr verdünnt offeriert wird. Aber auch eine Ableitung von dieser Aufklärungsschrift macht diese Vorstellung nicht gehaltvoller.
Daß allen Menschen qua Gewissen eine universalistische Sittlichkeit zu eigen wäre,ist offenkundig ein Fehlurteil, verkennt es doch einfach die kulturelle Vermitteltheit der Gewissensinhalte. Nur die Globalisierungstendenz, die Vergleichförmigung der Welt erweckt den Anschein einer von allen bejahten substantiellen Sittlichkeit. Stößt aber das postmodern sozialisierte Gewissen auf das Wollen von Gotteskriegern, die einen heiligen Krieg führen, stößt es auch auf die Grenzen seiner Geltung. Schon jede Feministin mit ihrem für sich beanspruchten Menschenrecht, ihr eigenes Kind im Mutterleibe töten lassen zu dürfen, demonstriert die Brüchigkeit der Vorstellung einer substantiellen Einheit im Bereich der Sittlichkeit.
Warum soll nun aber die Partikularität der christlichen Religion gegen ihre Wahrheit sprechen? Liegt es nicht näher, zu urteilen, daß die denknotwendige Voraussetzung, daß es eine wahre Religion geben kann, die der Existenz von unwahren ist? Sonst wäre das Urteil, daß sei die wahre Religion, so tautologisch wie das Urteil, daß die Kugel rund ist.
Zudem: Wer sagt denn, daß die Wahrheit immer und zu allen Orten präsent ist? Eine Raupe muß erst zu einem Schmetterling werden, damit sie zu ihrer eigenen Wahrheit wird. So kann auch von einem Entstehungs- und Werdeprozeß der wahren Religion gesprochen werden, damit sie dem Menschen zur wirklich wahren Religion wird. Schulkinder erlernen ja auch erst das Zählen, bevor ihnen das Addieren und Subtrahieren beigebracht wird: Wie viel komplizierter ist damit verglichen aber die wahre Religion?
Aber grundlegender ist noch die Frage, ob das Wesen der Religion wirklich der Appell zum sittlichen Leben ist. Es drängt sich dabei doch der Verdacht auf, daß dies nur ein verbürgerlichtes Christentum ist, das so sich selbst mißversteht.
Noch ein gewichtiger Einwand ist zu erheben: Ist das Leben nicht bestimmt von Polaritäten, von Widersprüchen, die erst das Leben verlebendigen? Schon daß der Mensch entweder Frau oder Mann ist, daß er der einen oder der anderen Familie angehört, dem einen oder dem anderen Volk und Rasse, zeigt eines, daß nicht die Einheit sondern die Differenz das Lebenscharakterisierende ist. Dem entspricht auch der Widerstreit der Religionen untereinander, weil alles nur als etwas Bestimmtes ist in seinem Gegensatz zu den Anderen. Eine völlige Vereinerleiung wäre so das Ende des Lebens, es gäbe nur den alles nivellierenden Tod!
So gehört es zum Wahrsein der Religion, daß sie nur die wahre ist in ihrem Gegensatz, ihrer Differenz zu den nichtwahren Religionen.
Ein spekulativer Zusatz
Für Gott als das wahre Leben dürfte das nicht gelten, daß er nur lebendig ist durch seinen Gegensatz. Wie nun aber, wenn wir fragen, warum hat Gott denn die Existenz des Satans zugelassen als den Antigott? Könnte eine mögliche Antwort nicht die sein, daß Gott selbst diesen Gegensatz will, damit er sich ihm gegenüber verlebendigt? Gott wird ja den Satan nie ganz vernichten wollen, noch wird es je eine Versöhnung mit ihm geben, denn seine endgültige Bestimmung ist die der ewigen Hölle und so bleibt er als ewiger Gegensatz zu Gott. Dafür muß es gute Gründe geben, über die eine spekulative Theologie nachzudenken hat.
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