Sonntag, 4. Februar 2024

Zensur im Namen der Vernunft? Muß auch die Kirche und der theologische Diskurs zensiert werden?

 

Zensur im Namen der Vernunft? Muß auch die Kirche und der theologische Diskurs zensiert werden?


Auf der anderen Seite hat das,was man im allgemeinen Irrationalismus zu nennen pflegt,auch ein Wahrheitsmoment.Es ist der Versuch,immer wieder im Denken das zur Geltung zu bringen,was durch das Denken abgeschnitten,was durch die naturbeherrschende und sich selbst beherrschende Vernunft von der Erfahrung des Wirklichen verlorengeht,also gewissermaßen (der Versuch),in der Philosophie Rechnung zu tragen den Opfern des Aufklärungsprozesses.“ So kritisiert Theodor Adorno in der 5.Vorlesung seiner „Einführung der Dialektik“ (in der stw Ausgabe S.63) nicht nur Lukacs Werk: „Die Zerstörung der Vernunft“, in der der gesamten nachhegelischen und nachmarxschen Philosophie der Prozeß gemacht wird als Abfall vom vernünftigen Denken zum Irrationalismus, sondern prinzipiell den Ausschluß des „Irrationalen“ aus der Philosophie seit der Aufklärung, wenn diese Ausschlußpraxis nicht schon früher anhob.

Auch wenn Adorno hier nicht an den theologischen Diskurs gedacht hat, liegt es doch auf der Hand, daß auch eine Selbstzensur des theologischen Diskurses zu erwarten ist im Namen der Vernunft, daß eben alles „Irrationale“ aus ihm auszuschließen sei.Eine der meistverwendeten Vokabeln des heutigen innerkirchlichen Reformdiskurses ist ja die Parole der Zeitgemäßheit,und der Kompatibilität mit den Erkenntnissen der Wissenschaften. Es dürfte wohl geurteilt werden, daß damit das gemeint ist, was dem philosophischen Diskurs der Ausschluß des Irrationalen ist.

Naiv Gesinnte exemplifizieren sich das so: Das „irrationale Mittelalter“ glaubte, daß die Erde eine Scheibe sei, über die die Sonne auf- und unterging, daß Hexen Wesen im Bunde mit dem Teufel seien, aber im Lichte der Aufklärung lichtete sich uns die Welt: Sie ist eine Kugel, die sich um die Sonne dreht und der Teufel ist eine Erfindung von Klerikern, um das unwissende Volk einzuschüchtern und um Frauen bestialisch zu unterdrücken. Aber je lichter, je vernünftiger der Mensch wird, je vernünftiger er so die Welt gestaltet und alles Irrationale aus ihr exkommuniziert, desto humaner wird die Welt als Ganzes und jeder Einzelne in ihr.

Dann wäre die Erbsündenlehre, daß der Mensch, indem er in Adam sündigte, a priori ein Sünder, der nur durch die göttliche Gnade dvon erlöst werden kann, das Musteranschauungsbeispiel an Irrationalismus in der Katholischen Kirche. Erasmus von Rotterdam habe dann, indem er die Erbsündenlehre aus den Angeln hob durch seine Übersetzung: „weil wir alle wie Adam gesündigt haben“ (Röm 5,12) diesen Irrationalismus besiegt. Diese humanistische interpretierende Übersetzung hat sich inzwischen gegen Paulus und des hl. Augustin durchgesetzt. Die Erbsündenlehre ist ja nun mal unvereinbar mit dem Glauben, daß wir Menschen als zum Vernunftgebrauch Befähigte allein aus diesem Vermögen die Welt für uns alle gut gestalten können, handelten wir endlich rein vernünftig. Aber alle möglichen Irrationalismen hindern uns daran, wie etwa der Glaube an die erbsündliche Verfaßtheit des Menschen und seiner Gnadenangewiesenheit.

Wie sollte den auch eine Welt des Friedens und der Gerechtigkeit eine menschliche Möglichkeit sein, wenn real mit dem Wirken des Teufels zu rechnen wäre. Die naturbeherrschende und damit auch den Menschen selbst beherrschen sollende Vernunft ist ja gerade das Vermögen zur Optimierbarkeit der Welt und des Menschen. Was diesem Glauben an die guten Möglichkeiten des Fortschrittes in Frage stellt, ja als einen naiven Utopismus entlarvt, das ist dann das Irrationale, das so der Vernunft widerstreitet. Das, was dem Fortschrittsglauben widerspricht, das wird demnach als etwas Irrationalistisches verurteilt.

Dann kann sogar das Beten im Vertrauen auf Gottes Erhören als eine irrationalistische Praxis angeklagt werden, da sie ja so vom Tuen des Guten abhielte, da das von Gott erwartet würde, was aber allein unsere Aufgabe wäre.

Aber man könnte noch tiefgründiger werden: Ist das faktische Verschwinden von der Rede vom Zorn Gottes, von der Gottesfurcht und der Ehrfurcht ihm gegenüber, nicht auch eine konsequente Folg einer solchen Vernünftelung der Gotteslehre und dann auch der Kirche?

Vielleicht überblendet das Licht der Aufklärung das reale Dunkle in der Welt, das so unsichtbar wird, aber nicht verschwindet.Ist es nicht so, daß die Anziehungskraft der Horrorliteratur von E.T. A. Hoffmanns: "Elixiere des Teufels" über Edgar Allen Poe und H.P. Lovecraft bis zu so populären Romanserien wie "Tony Ballard", "Professor Zamorra" und anderer auf den verdrängten und doch realen Irrationalismus in der Welt beruht? Das Ausgeschlossene erscheint da in einer literarisch uns zumutbaren Weise.  

Im Hintergrund steht die Frage der Verhältnisbestimmung von Vernunft und Offenbarung, jetzt aber vernunftkritisch gewendet: Denkt die  Vernunft vernünftig, wenn sie den offenbarten Wahrheiten widerspricht, oder ereignet sich da eine Verwechslung von einem Wunschdenken, dem des Optatives mit der Vernunft des indikativischen, was ist?





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