Ist Antisozialsein en vogue? Ist die Freiheit das höchste Gut, dem alles andere unterzuordnen ist?
An den Anfang möchte ich eine Stellungnahme eines führenden Mitgliedes der CDL zum Vorhaben der Regierung, durch die Einführung einer Widerspruchsregelungen, daß jeder Staatsbürger bereit ist, Organe im Falle seines Todes zu spenden, sofern er dagegen nicht einen Widerspruch einlegt, die Zahl der Organspender zu erhöhen. Es ist eben eine bittere Wahrheit, daß in Deutschland Menschen sterben müssen, da es für sie keinen Organspender gibt. Diese Widerspruchslösung wird abgelehnt. (Vgl dazu den Kath net Artikel vom 27.6.2024 zu dieser Causa) CDL steht für „Christdemokraten für das Leben“ und diese Organisation stellt sich nun gegen eine Veränderung der Organspenderegelung, daß so weniger Menschen als bisher in Folge eines Mangels an Organspendern sterben. Die körperliche Unversehrtheit eines Menschen, bei dem der Gehirntod diagnostiziert wurde, dessen Organe aber noch nicht alle tot sind, sodaß sie noch transplantierar sind, sei höher zu schätzen als das Leben der ohne eine Organtransplation sterben müssenden Patienten: Mein Körper müsse bis zu seinem Ganztod unversehrt bleiben, auch wenn deshalb andere Menschen sterben müssen! Antisozialer geht es wirklich nicht mehr. Daß das von Christdemokraten vertreten wird, dürfte auf den ersten Blick irritieren, aber da in dieser C-Partei der Liberalismus zu der tonangebenden Parteiphilosophie aufgestiegen ist, verwundert es doch nicht, gehört doch die antisoziale Einstellung ja zur Substanz des Liberalismus.
So ist in einer Laudatio auf den neuen argentinischen Prasidenten (Tagespost vom 26.6.2024:“Soziale Marktwirtschaft statt entfesselter Kapitalismus“ ) zu lesen: „Wenn das kein Grund zur Freude ist! Zumindest für alle, die eine Abkehr von marktwirtschaftlichen Prinzipien und der schleichenden Siegeszug des Wohlfahrtstaates leid sind.“ Da heißt es dann weiter: „Christen haben keine Scheu vor ökonomischem Liberalismus. Schließlich sind Leistungsgedanke, Privateigentum, Unternehmertum oder Subsidiarität Schnittmengen.“
Dem Staat als Wohlfahrtsstaat negativ bewertet stellt dieser „Tagespost“ Artikel positiv eine Laudatio auf das freie Unternehmertum entgegen. Das Subsidaritätsprinzip soll hier als das Argument gegen den Sozialstaat fungieren, daß etwa Spitäler privatwirtschaftlich gestaltet staatlichen vorzuziehen seien, denn in ihnen würde eben eine bessere Leistung erbracht, da sie ja gewinn/profitorientiert agieren. Je mehr originär staatliche Aufgaben privatwirtschaftlich übernommen wird, desto besser. Denn der (Wohlfahrts)Staat sei ja der Feind der (unternehmerischen) Freiheit, wie dieser Vorzeigeliberaler Argentiniens nicht müde wird zu betonen.
Aber der „Tagespost“ ist dann dieser Liberaler doch ein wenig zu liberal: „Die Freude am Libertären hat aber klare Grenzen. Dazu zählen etwa Ideen von Robert Nozik, der Einkommensteuer als Zwangsarbeit ablehnte. Oder die Einsicht Friedrich A. von Hayeks, dass Sozialtransfers an Bedürftige libertär nur als Duldungsprämie zur Minderung gesellschaftlichen Drohpotenzials begründbar seien.“
Die freie Marktwirtschaft müsse doch sozialpolitisch begrenzt werden, um diese Ordnung aufrechtzuerhalten. Das ist in sich evident, wenn man bedenkt, daß um des Funktionierens der Wirtschaft willen eine Sockelarbeitslosigkeit notwendig ist, um die Löhne gering halten zu können und um die Arbeitsmoral zu erhöhen, daß eben viele sich nicht trauen, sich krank zu schreiben ob der Möglichkeit der Entlassung. Je höher die Arbeitslosigkeit, je besser die Gesundheit der Angestellten. Von was sollten denn dann die Arbeitslosen leben, wenn nicht der Sozialstaat mit der Zahlung von einem Arbeitslosengeld aushülfe! Der radicale Liberalismus destruierte so die Grundlagen der Möglichkeit der freien Marktwirtschaft, den Staat als Sozialstaat.
Aber das Ziel der Marktwirtschaft ist die Freiheit des Unternehmers, möglichst viel Gewinn zu erwirtschaften ohne daß es eine Orientierung auf das Gemeinwohl des Volkes gäbe. Die Wirtschaft dürfe eben keine Volkswirtschaft sein, so wie sie etwa der Philosoph Fichte in seinem Konzept des „geschlossenen Handelsstaates“ konzipiert sondern ist allein das Betätigungsfeld des Bourgeoise, seine individuelle Freiheit zu realisieren. Statt einer Allgemeinwohlorientierung tritt die Verabsolutierung von Privatinteressen, wobei der Staat nur noch aushelfen soll, um nicht hinnehmbare Negativfolgen dieses Freiheitsgebrauches abzumildern. Hegel würde wohl urteilen,hier wird nun der Verstandesstaat gekannt, aber nicht der Vernunftstaat, in dem der Bürger sein eigentiches Leben hat. So ist im Kern dieses liberalen Freiheitsverständnis asozial ausgerichtet, weil es nur den Einzelbürger in seinen egoistischen Interessen anerkennt und zu der Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft erhebt. Der Bürger wird so entsozialisiert zu einem bloßen Ich-Menschen, der keine Gemeinschaft mehr kennt und anerkennt, die über ihm stehend seinen Dienst in Anspruch nimmt, für das Ganze, das Allgemeine zu wirken.
Damit triumphiert die Ideologie des Liberalismus über den Menschen, der nach christlichem Verständnis ein Sozialwesen ist als Glied einer Familie und eines Volkes und als Christ als ein Glied der Kirche, stets als ein ihm Übergeordnetes eingeordnetes Menschsein.
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